Bundeswehr in Afghanistan

Enduring Einsatz

Die Bundeswehr bekommt ständig neue Aufgaben. Trotz Streitigkeiten mit den Briten geht's jetzt nach Afghanistan.

Sie sind auf dem Weg. Oder schon da. Am vergangenen Wochenende war noch nicht sicher, wann die ersten Bundeswehrsoldaten nach Kabul fliegen würden. Am Samstag verkündete der Sprecher des Einsatzkommandos, Karl-Henning Kröger, die Erkundungsspezialisten könnten nicht starten, da es Sicherheitsprobleme auf dem Flughafen Kabul International gebe; auf der Startbahn sei eine US-amerikanische Bombe gefunden worden. Bis zu Silvester sollten jedoch die ersten der 1 200 Soldaten, die Deutschland im Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) nach Afghanistan schicken will, angekommen sein.

Also doch deutsche Bodentruppen in Afghanistan, auch wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder im November vor der Abstimmung über die deutsche Beteiligung an der Operation Enduring Freedom das Gegenteil versprochen hatte. Kein Einsatz in Afghanistan, keine Bodentruppen, beschwichtigte er damals die Öffentlichkeit und den grünen Koalitionspartner. Einen Monat später sieht alles anders aus. Die Bodentruppen heißen einfach Friedenstruppen, und der Fall ist erledigt.

Der Einsatz der Bundeswehr erfolgt auf der Grundlage der Beschlüsse der Petersberger Konferenz. Dort hatten Mitte Dezember Vertreter verschiedener afghanischer Gruppen den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ersucht, ein Mandat für eine internationale Truppe zur Sicherung von Kabul und Umgebung zu erteilen. Der UN-Sicherheitsrat folgte der Bitte am 21. Dezember, zwei Tage später segnete der Deutsche Bundestag in Windeseile und mit großer Mehrheit die deutsche Beteiligung ab. Selbst Christian Ströbele von den Grünen war diesmal dafür.

Zuvor jedoch hatte es Streitigkeiten zwischen den Partnern der Friedensmission gegeben. Denn das deutsche Quengeln und Drängeln nahm mal wieder Überhand. Von den USA war sowohl eine britische Führung des Kommandos als auch eine deutsche ins Gespräch gebracht worden. Die Augen von Scharping, Fischer und Schröder dürften geglänzt haben wie die von Kindern, die vor dem Weihnachtsbaum stehen, allein es kam nicht zur Bescherung.

Die Bundeswehr wäre mit der Führung des Einsatzes schlicht überfordert gewesen. Schließlich steht man in Bosnien und im Kosovo, man leitet den Einsatz in Mazedonien, man reist nach Dji-bouti zum Anti-Terror-Krieg, insgesamt sind momentan mehr als 60 000 Bundeswehrsoldaten direkt oder indirekt an internationalen Kriseneinsätzen beteiligt. Also mussten die Briten ran.

Das sah man nicht gerne in Berlin. Der außenpolitische Experte der SPD, Hans-Ulrich Klose, sprach sich gegen eine britische Einsatzleitung aus: »Sie würden als Besatzer wahrgenommen, und das wäre nicht gut für den Erfolg der UN-Mission.« Die Briten seien aus historischen Gründen ungeeignet zur Führung des Kommandos. Klose spielte damit auf die Kolonialkriege an, die die Briten in Afghanistan geführt haben.

Die Berliner Zeitung berichtete, die deutsche Seite habe dem britischen Premier Tony Blair sogar unterstellt, er sei mehr an Fernsehbildern seiner Soldaten beim Frieden bringenden Einsatz in Kabul interessiert als an einem Gelingen der Mission. Es gehe den Briten vor allem um den »CNN-Faktor«. Während sich der redliche Deutsche um den Frieden müht, sucht der Angelsachse eben nur die Show. Passend dazu wurde in den deutschen Medien verkündet, dass die Bundeswehr in Afghanistan besonders gerne gesehen werde. Passanten in Kabul durften »Guten Tag« in die Kamera sagen und winken.

Den Gipfel der Kampagne bildete ein Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 23. Dezember. Die FAS berichtete aus deutschen Offizierskreisen, die Briten hätten erst am 20. Dezember signalisiert, dass sie die Deutschen überhaupt dabeihaben wollen. Zudem wurde bemängelt, dass sich »in den operativen Schlüsselstellungen des Stabes nur britische Offiziere« fänden. Selbst was den Aufbruch nach Afghanistan betreffe, müsse man auf die Zustimmung der führenden Briten warten. Man befürchte, dass man als Nachzügler in Kabul schlechte Quartiere und einen Auftrag bekäme, den man nicht mehr beeinflussen könne.

Zudem wurde bemängelt, dass die Briten das Kommando nur für drei Monate ausüben wollen und eine Einbeziehung des Central Commands (Centcom) der US-Streitkräfte in die Führung planten, was von deutscher Seite entschieden abgelehnt wurde. Gerhard Schröder griff sogar zum Telefonhörer, um seinen Amtskollegen Tony Blair zu überreden.

Doch das deutsche Drängen blieb fruchtlos. Die Briten wollten es sich nicht nehmen lassen, bei Bedarf auf die Hilfe der USA zurückgreifen zu können. Denn was wäre, wenn die Situation in Afghanistan außer Kontrolle geriete? »Raushauen können uns nur die Amerikaner«, weiß selbst Harald Kujat, der Generalinspekteur der Bundeswehr.

Fragt sich nur, warum die deutsche Diplomatie wieder einmal wie wild um sich schlug. Ihr schien der Rausch vom Petersberg zu Kopfe gestiegen zu sein. Dass die Konferenz in Deutschland stattgefunden hatte, konnte die Bundesregierung als einen großen Erfolg für sich verbuchen, Schröder fand die zwei Millionen Mark Tagungskosten »verdammt gut ausgegeben«. Warum also nicht gleich auch noch den Einsatz führen?

Es gab ein Problem. Zwar ist Deutschland inzwischen längst »runter von der Zuschauertribüne«, wie es der frühere Außenminister Klaus Kinkel in den neunziger Jahren gefordert hatte. Doch die Teilnahme am großen Weltgeschehen gibt es nicht für lau. Allein der bis Juni befristete Afghanistan-Einsatz kostet 340 Millionen Euro. Schröder hatte angekündigt, dafür von allen Ressorts Geld einzusammeln.

Das brachte ihm die Häme der Opposition ein. Michael Glos (CSU) höhnte, Schröder wolle die Kosten durch ein »Winterhilfswerk« decken. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) forderte generell mehr Geld für die Truppe, denn: »So wenig gibt nur noch Luxemburg aus.«

Dabei entsteht ein Drittel der Einsatzkosten deshalb, weil sich die Bundeswehr für den Transport der Soldaten und ihrer Ausrüstung Großraumflugzeuge von den USA, Russland und der Ukraine ausleihen muss. Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat den neuen Militär-Airbus A400-M bereits bestellt, die 73 Flugzeuge im Wert von 8,5 Milliarden Euro werden aber erst 2009 geliefert. Das »außenpolitische Pygmäentum« Deutschlands (Scharping) mag also der Vergangenheit angehören, ein militärischer Riese ist man indes noch lange nicht.

Und diese Tatsache erklärt die in den vergangenen Tagen laut gewordenen Ressentiments gegen die Briten. Wirtschaftlich hat man die ehemaligen Weltkriegsgegner überholt, doch ihre militärische Potenz hat man noch nicht erreicht.

Gerne zitierte deshalb die deutsche Presse das Gedicht von Theodor Fontane mit dem Titel: »Trauerspiel von Afghanistan«, das den britisch-afghanischen Krieg von 1842 zum Motiv hat. Im erzreaktionären Rheinischen Merkur genauso wie in der »sozialistischen« Tageszeitung Neues Deutschland stand die Schadenfreude nicht nur zwischen den Zeilen: »Die hören sollen, / die hören nicht mehr, / Vernichtet ist das ganze Heer. / Mit dreizehntausend der Zug begann, / Einer kam heim aus Afghanistan.« Ein Brite, wohlgemerkt.