Diskussion über Soziales Zentrum

Italienische Lektionen

Ein Besetzungsversuch schlug fehl. Linke Gruppen wollen dennoch in einem Gewerkschaftshaus in Mitte ein Soziales Zentrum einrichten.

Kein Zweifel: Berlin wird in den nächsten Jahren eine starke außerparlamentarische Opposition gut gebrauchen können. Der Stadt steht mit dem geplanten rot-roten Sparkurs eine Zeit bevor, in der sich die sozialen Probleme weiter verschärfen werden. Wer aber könnte eine solche Opposition bilden? Die Regionalgruppe von Attac, die sich bis heute nicht mit der Landespolitik beschäftigt hat? Die Gewerkschaften, die die Interessen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst verteidigen, aber Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sich selbst überlassen? Oder die Linksradikalen, deren Revolution immer noch pünktlich am 1. Mai beginnt, je nach Gusto um 13 oder 18 Uhr?

Am 15. Dezember gerieten zwei potenzielle Oppositionsgruppen erst einmal aneinander. Ein gutes Dutzend radikaler Linker besetzte ein seit 1998 leer stehendes Gebäude am Michaelkirchplatz in Mitte und forderte die Gewerkschaft Verdi auf, ihnen das Haus als Soziales Zentrum zu überlassen. Die offensichtlich längst informierte Polizei nahm die Aktivisten fest, rund 100 Unterstützer auf der Straße protestierten vergeblich. Dennoch handelte es sich um mehr als einen weiteren schlecht geplanten Versuch, das seit 1990 geltende sofortige Räumungsgebot bei Neubesetzungen zu durchbrechen.

»Nach den Protesten von Genua gab es eine neue Aufbruchstimmung in der Berliner Linken«, sagt eine der Besetzerinnen. Und diese Stimmung soll zu neuen Aktivitäten führen. Dazu hat man eine Idee aus Italien importiert. Dort wurden die Centri Sociali (Soziale Zentren) in den neunziger Jahren zum Ausgangspunkt der Antiglobalisierungsbewegung; Gruppen wie die Tute Bianche, die mit ihrem Konzept des zivilen Ungehorsams für Aufsehen sorgten, gingen aus den Zentren hervor. Während die deutsche militante Linke weiterhin ihre in den achtziger Jahren entwickelte Politik der gesellschaftlichen Dialogverweigerung praktiziert, trat Luca Casarini, ein Sprecher der Tute Bianche, in den abendlichen Diskussionsrunden des italienischen Fernsehens auf.

Das Konzept der Centri Sociali sei natürlich auf die deutsche Situation »nicht eins zu eins übertragbar«, heißt es bei den Besetzern. Dafür fehle in Deutschland ein soziales Umfeld wie das der italienischen militanten Basisgewerkschaften Cobas. In dem Zentrum sollen nun die Aktivitäten der Berliner radikalen Linken gebündelt werden, es geht um Räume für Gruppen, einen Infoladen, Archive und Bibliotheken, Kneipen und um ein Medienbüro.

Zur Vorbereitung der Besetzung trafen sich seit dem Sommer verschiedene Gruppen und Einzelpersonen. Dabei waren pragmatisch orientierte Gruppen, die in der Vergangenheit beispielsweise in der Anti-Olympia-Kampagne klassische Bündnisarbeit betrieben, aber auch die Revolutionären Kommunisten (RK), die Anfang der neunziger Jahre noch mit Eisenstangen auf die autonome 1. Mai-Demonstration einprügelten. Auch mit den Gewerkschaftslinken habe man vor der Besetzung gesprochen und überwiegend Zustimmung erfahren, so die Besetzer.

Nun ist mit der Verdi-Landesbezirksleiterin Susanne Stumpenhusen für Anfang Januar ein Gesprächstermin vereinbart, obwohl sie formal nicht zuständig ist. Das Haus gehört der Stuttgarter Immobilienverwaltung der ÖTV. Was die mit dem Objekt vor hat, lässt sich im Dschungel der Gewerkschaftsbürokratie nicht herausfinden. Der Verantwortliche, ein Herr Schmidt, sei - leider, leider - bis zum 6. Januar in Urlaub, heißt es bei der ÖTV. Die Besetzer vermuten, eine Mischnutzung mit Lofts und Gewerberäumen sei geplant, die sich in die Gentrification des Gebiets zwischen Kreuzberg, Friedrichshain und Mitte einfügen würde (Jungle World, 47/01). Erste Verkaufsverhandlungen fänden bereits statt.

»Wir wollten mit der ersten Besetzung Kaufinteressenten abschrecken«, so eine der Besetzerinnen. Für den 15. Januar ist eine Veranstaltung im Kato angesetzt, in den darauf folgenden Tagen und Wochen ist mit einem zweiten Besetzungsversuch zu rechnen. Ob der gelingt, hängt wohl vom guten Willen der Gewerkschaftsleitung ab. »Die Gewerkschaften haben abgewartet, ob es sich nur um ein paar Autonome handelt, die mal eine symbolische Aktion machen«, sagt eine Besetzerin. Eine breite Unterstützung der Linken sei jetzt notwendig, um das Zentrum realisieren zu können.

Aber es mögen nicht alle mitmachen. Auf der Indymedia-Website meldeten sich Skeptiker zu Wort: »Ist es so voll geworden im Zielona Gora (Stadtteilladen in Friedrichshain), dass wir mehr Raum brauchen? Wusste ich noch gar nicht! Ich glaube, wir brauchen erst mal eine Bewegung und dann einen Raum und nicht einen Raum, um dann auf eine Bewegung zu warten.« In der Tat hat die Berliner Linke in den letzten Jahren einige ihrer Zentren und Räume wie die Kneipe »Ex« im Mehringhof aufgegeben, weil sich niemand mehr fand, der sie nutzen wollte. Die Szene war längst in die Ost-Bezirke gezogen.

»Die Anziehungskraft kleinerer Veranstaltungsorte wie des Zielona Gora reicht auch in der Szene kaum über den eigenen Kiez hinaus«, meint einer der Besetzer. Friedrichshainer gehen nicht nach Kreuzberg, Kreuzberger nicht nach Friedrichshain. »Ein Soziales Zentrum am Michaelkirchplatz wäre an einem neutralen Ort«, hofft daher eine Besetzerin. Und neben einem harten Kern von Aktivisten gibt es ein Szeneumfeld, das sich nur dann sehen lässt, wenn von Zeit zu Zeit ein neues Schwein durchs Dorf getrieben wird. In einem Jahr gibt's den Häuserkampf in Friedrichshain, in einem anderen den Antiglobalisierungsprotest und jetzt vielleicht ein Soziales Zentrum.

So bleibt der schale Beigeschmack, dass die Idee eines Sozialen Zentrums mehr mit den internen Mobilisierungsproblemen der Linken zu tun hat als mit den sozialen Problemen der Stadt. Natürlich ist es ein kluger Schachzug, die eigenen Kräfte in einem Zentrum zu bündeln und sichtbarer zu machen. Ob es aber legitim ist, die Gewerkschaft mit erhobenem Zeigefinger zur Überlassung ihres Hauses aufzufordern, bloß weil die durchaus vorhandenen eigenen Räume nicht mehr für ein gutes Image ausreichen, steht auf einem anderen Blatt.

Letztlich wird der Erfolg des Sozialen Zentrums davon abhängen, ob es nur darum geht, den linksradikalen Aktivitäten Berlins ein neues Etikett zu verpassen oder ob man in der Lage sein wird, die Erfolgsbedingungen der italienischen Centri Sociali zu berücksichtigen und auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen. Der erste Konzeptionsentwurf lässt jedenfalls nichts Gutes ahnen. Das Zentrum sei nötig, »weil utopische Vorstellungen und Ideen einen sichtbaren Raum brauchen, wo anderes Leben experimentell ausprobiert werden kann, um gesellschaftlich zu wirken«, heißt es in einem Text, der genauso gut 1980 wie 2010 hätte erscheinen können.

Von den aktuellen Problemen Berlins, von Regierungswechsel, Sparhaushalt und Privatisierungen öffentlicher Unternehmen wird nicht gesprochen. Manchmal bringt eine blöde Realpolitik eben eine ebenso blöde Opposition hervor, die sich im gesellschaftlichen Nirgendwo bewegt und nicht einmal mehr über mittelfristige Perspektiven nachdenken will.