Reform der Europäischen Union

Trau keinem unter 35

»Mehr Demokratie«, »Bürgernähe« und natürlich »Reform« und »Effizienz« sind seit geraumer Zeit die großen Worte in der europäischen Institutionspolitik. Die Europäische Union hat Probleme. Nicht nur, dass sich trotz der gemeinsamen Währung kaum jemand für das interessiert, was in Brüssel passiert. Die Ost-Erweiterung rückt bedrohlich nahe, und der EU-Apparat ist keineswegs darauf vorbereitet. So beschlossen die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Laeken Ende des vorigen Jahres, einen Europäischen Konvent einzurichten, der die Probleme lösen solle.

In der vergangenen Woche traf sich dieser Konvent aus Parlamentariern und Regierungsvertretern zu seiner konstituierenden Sitzung. Ein Jahr hat das Gremium nun Zeit, die großen Worte mit Inhalten zu füllen. Er soll leisten, was bislang bei jedem Gipfel verlangt wurde - eine effiziente Reform der europäischen Institutionen, um die Union für die Aufnahme der neuen Kandidaten fit zu machen und ihr nebenbei zu mehr Demokratie und mehr Bürgernähe zu verhelfen.

Diesmal muss es klappen, so die Devise. Noch nie gab sich Brüssel derart demokratisch, jubeln selbst die, die sonst kritisch auf die Zentrale blicken. Gar eine »kleine Revolution« erlebt der deutsche Europa-Abgeordnete Klaus Hänsch (SPD). Doch schon der Auftakt dürfte selbst den größten Optimisten die Euphorie genommen haben.

An die Spitze setzten die Staats- und Regierungschefs drei alte Politiker: den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valérie Giscard d'Estaing sowie die ehemaligen Premierminister Jean-Luc Dehaene (Belgien) und Guiliano Amato (Italien). Dass unter den 105 Mitgliedern aus 28 Ländern nur ein gutes Dutzend Frauen zu finden ist, fiel erst auf, als die nationalen Nominierungen so gut wie abgeschlossen waren. Ebenso, dass keines der Mitglieder der Altherrenrunde unter 35 ist.

Doch die Kritik, der Konvent gehe über die alte EU nicht hinaus, will Giscard d'Estaing nicht auf sich sitzen lassen. Zum Auftakt läutete er am vergangenen Freitag vorsorglich eine »lange Zuhörphase« ein, in der vor allem die jungen europäischen Bürger und die Beitrittskandidaten zu Wort kommen sollen. Wer wie lange worüber reden darf, will der 71jährige Präsident des Konvents aber selbst entscheiden. Auch das Zuhören soll nicht überstrapaziert werden. Nach einer Präsidentenverfügung wird der Konvent nur in den elf Arbeitssprachen der EU tagen, die Neuen müssen sich anpassen.

Zu viel mitreden sollen die Vertreter der Beitrittsländer ohnehin nicht. Im Präsidium ist keiner von ihnen zugelassen, auch wenn sie im Gremium ein Drittel der Delegierten stellen. Die Message kam bei den Kandidaten an. Man werde von den wesentlichen Entscheidungen ausgeschlossen, kritisierten Vertreter aus der Tschechischen Republik, Polen, Ungarn und Rumänien.

Was das zentrale Ziel des Konvents, die Reform, betrifft, so ließ weder die Rede Giscard d'Estaings noch die des Kommissionspräsidenten Romano Prodi Zweifel aufkommen. Auch dieses neue Gremium wird nach dem konventionellen Muster der EU vorgehen und versuchen, europäische Einheit und nationale Interessen zusammenzubringen.

Dass zum Schluss ein brauchbares Konzept für einen europäischen Richtungswechsel herausspringt, ist kaum zu erwarten. Doch wenigstens sprachlich gab sich der überzeugte Franzose Giscard d'Estaing Mühe. »Vive l'Europe«, rief er den Anwesenden zu und begrüßte sie in den elf Amtssprachen der EU - und in Polnisch.