»Augen zu und durch!«

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler George Friedman über Vermittlungsversuche im Nahost-Konflikt

Die Chancen auf einen Frieden im Nahen Osten stehen schlechter denn je, und alle bisherigen Vermittlungsversuche sind gescheitert. Was tun?

Die Europäer fallen als Vermittler aus, weil sie sich vielleicht gut mit den innereuropäischen Beziehungen auskennen, so wie wir Amerikaner uns gut auskennen mit den Beziehungen zwischen Texas und Kalifornien. Aber von den Wurzeln des Nahost-Problems haben die Europäer keine Ahnung. Sie glauben, alles sei nur ein großes Missverständnis, und haben deshalb den unbedingten Willen zum Frieden. Vielleicht kommt das daher, dass die Europäer so viel Krieg auf ihrem Kontinent hatten und das Leid inzwischen satt haben.

Aber sie verstehen die tiefen Ängste der Israelis und der Palästinenser nicht. Sie glauben, man könnte eine nette Formulierung finden, einen Vertrag basteln und das war's. Doch dabei übersehen sie ein simples Problem: Da leben zwei Völker auf einem viel zu kleinen Landstrich und beide haben vollkommen legitime Ansprüche, die aber gleichzeitig unmöglich einzulösen sind. Ich könnte mich jeden Tag totlachen über Ihren Meisterdiplomaten Joschka Fischer.

Wie könnte eine grundlegende Lösung des Nahost-Problems aussehen?

Es gibt gar keine umfassende und fundamentale Lösung. Die Geschichte der Vermittlungsmissionen hat gezeigt, dass allein der Anspruch der großartigen Vermittler, eine solche Lösung herbeizuführen, katastrophale Auswirkungen hatte. Was man wirklich bewegen muss, ist ein Transfer der Verantwortlichkeiten von der internationalen Ebene zu den Betroffenen selbst. Solange beide Seiten annehmen können, dass der Tod eines israelischen oder eines palästinensischen Kindes in Wien, Berlin, Paris oder Washington mehr Aufsehen erregt als in Israel oder Palästina, wird es zu keiner Lösung kommen können.

Ein fatalistischer Ansatz...

... aber einer, der funktionieren kann. Die internationale Gemeinschaft müsste beiden Konfliktparteien folgendes signalisieren: Ihr seid ein paar Millionen Menschen und euer Schicksal ist nicht besonders bedeutend für uns. Wenn Ihr Euch umbringen wollt, bitteschön. Psychologisch hätte so etwas wahrscheinlich einen reinigenden Effekt. Augen zu und durch!

Also wie bei einem Selbstmörder, den man dadurch vom Sprung von der Brücke abhält, dass man ihm immer wieder zuruft: »Spring doch!«

Lassen Sie es mich so formulieren: Wenn es zwei Männer gibt, die seit 50 Jahren in Ihrem Beisein und unter Ihrer Beobachtung kämpfen, so besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie aufhören zu kämpfen, wenn keiner mehr zuschaut. Denn die Verhandlungsposition von Arafat und Sharon wird durch die Notwendigkeit, gegenüber der internationalen Gemeinschaft dauernd PR-Arbeit zu leisten, geschwächt.

Was macht dann der Vermittler Zinni im Nahen Osten und welche Lösung haben die USA?

Die USA haben keinen blassen Schimmer, was sie tun sollen. Es gibt keinen Plan von Zinni, zu einem Frieden zu kommen. Der einzige Grund, warum er dort ist, ist die Koalition gegen den Terror. Die Israelis haben durch ihre Aktionen und ihre Berufung auf den »Kampf gegen den Terror« bei ihren Aktionen die Araber so weit gebracht, dass sie die USA nicht mehr unterstützen in diesem Kampf. Zinni ist dort, um den Kampf gegen al-Qaida zu erleichtern und nicht, weil er weiß, wie man den Nahost-Konflikt löst.

Arafat müsste das ganz gut passen, denn er möchte das Problem ja internationalisieren. Hat er damit Erfolg?

Die Palästinenser suchen natürlich Verbündete unter den arabischen Staaten. Aber die haben sie nicht und sie kriegen sie nicht. Den arabischen Staaten ist das Schicksal der Palästinenser ziemlich egal. Die Jordanier hassen die Palästinenser, weil sie das haschemitische Königshaus stürzen wollen. Den Syrern sind die Palästinenser völlig egal, die haben eher Sorgen um den Libanon. Und die Saudis, die plötzlich mit ihrem Friedensplan winken, sind die Todfeinde von Arafat. Immerhin haben die Gruppierungen um Arafat in den sechziger und siebziger Jahren mehrmals versucht, das saudische Königshaus zu bekämpfen.

Wenn also die Palästinenser kein Glück haben, wie steht es um Sharon?

Sharon hat sich total verkalkuliert. Er hatte die Erwartung, wenn er den Druck auf die Palästinenser erhöht, dann könnte er ihren Willen brechen. Er wurde mit dem Mandat gewählt, etwas gegen den Terror zu tun, aber er hat die Palästinenser unterschätzt. Ihr Wille wurde nicht gebrochen, ganz im Gegenteil. Sein Problem ist folgendes: Egal, welcher Lösung er zustimmt, er hat keine Garantie auf ein Ende der Gewalt. Es ist für den israelischen Regierungschef schwierig, einem Abkommen zuzustimmen und dabei einzukalkulieren, dass es dennoch einmal pro Woche einen Selbstmordanschlag gibt. Nicht mehr jeden Tag wie jetzt, aber immerhin jede Woche.

Aber hat Sharon nicht auch das Problem, dass er über keinen Verhandlungspartner auf palästinensischer Seite verfügt?

Richtig. Arafat ist kein Partner, er ist machtlos. Er kann zwar jedes Abkommen unterschreiben, aber er bekommt seine Leute nicht unter Kontrolle. Deshalb ist ja auch die CIA involviert. Sie versucht, Arafat Informationen zu geben, wo jene fundamentalistischen Gruppierungen sitzen, die kein Abkommen wollen und keinen Respekt vor Arafat haben. Trotzdem bleibt ein Hindernis. Wenn Arafat ein Abkommen unterschreibt, so ist das ein politisches Problem für ihn. Für die fundamentalistischen Gruppierungen aber ist die Existenzberechtigung Israels ein theologisches Problem. Daher kommt es auch, dass Arafat auf Englisch anders redet als auf Arabisch. Auf Arabisch versucht er, Brücken zu den Fundamentalisten zu bauen, auf Englisch versucht er, ein Abkommen zu erreichen. In Wirklichkeit will er nur überleben. Alle Vermittler scheitern also daran, dass auf palästinensischer Seite einfach niemand zuständig ist.

Es gibt den Vorschlag, Uno-Truppen in das Krisengebiet zu entsenden. Ist das eine praktikable Lösung?

Dass ich nicht lache! Wir haben auf der einen Seite ein Land, das über Atomwaffen verfügt, und wir haben auf der anderen Seite Gruppierungen wie etwa die Hamas, die vor niemandem Angst haben. Nicht vor einer der besten Armeen der Welt, nicht vor einem nuklearen Arsenal, nicht vor der internationalen Öffentlichkeit. Diese Gruppierungen werden auch UN-Truppen attackieren. Denn warum sollten Menschen, die bereit sind, Selbstmord zu begehen und andere mit in den Tod zu reißen, plötzlich Angst vor norwegischen Fallschirmjägern haben?

George Friedman ist Gründer und Vorsitzender des Think Tanks Stratfor in Austin, Texas. Er gründete auch das Zentrum für geopolitische Studien an der Louisiana State University und berät die US-Armee in strategischen Angelegenheiten.