Rot-grüne Maßnahmen gegen Sexualstraftäter

Du sitzt nur zweimal

Ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht vor, Sexualstraftäter künftig lebenslang wegzusperren.

Anfang März war es so weit. Statt aus dem Gefängnis entlassen zu werden, wurde in Baden-Württemberg ein Gefangener, der seine Freiheitsstrafe eigentlich schon verbüßt hatte, nachträglich in Sicherungsverwahrung genommen.

Eine erneute Verurteilung des Mannes war dafür nicht nötig. Denn das so genannte baden-württembergische Unterbringungsgesetz erlaubt im Südwesten bereits heute, was bald auch bundesweit gängige Praxis sein könnte, zumindest wenn es nach den Vorstellungen von Rot-Grün ginge. Das Ziel der härteren Strafen sei die Verhinderung eines »sexuellen Supergau«, wie der Spiegel formulierte. Demnach soll die »vorbehaltene Sicherungsverwahrung« angeordnet werden, wenn es die Verantwortlichen für nötig halten.

Schon seit 1998 können Gerichte die Sicherungsverwahrung bei Sexualstraftaten zusätzlich zur normalen Freiheitsstrafe verhängen. Künftig könnte Verurteilten, von denen eine »Gefahr für die Gesellschaft« ausgeht, nach Verbüßen ihrer Haftstrafe nachträglich eine Sicherungsverwahrung aufgebrummt werden - selbst dann, wenn diese im ursprünglichen Urteil nicht vorgeschrieben war.

Mit dem Gesetzesentwurf knüpft die Regierung an die Ankündigung von Bundeskanzler Gerhard Schröder vom vergangenen Sommer an, mit »aller Härte« gegen Sexualstraftäter vorzugehen. Zwar ist die Zahl der Sexualverbrechen an Minderjährigen in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Dennoch ist der »Einzeltäter« inzwischen zum »Volksfeind« Nummer eins avanciert, der eben nicht mehr als Teil der Gesellschaft wahrgenommen wird.

Anstelle der Reintegration von Tätern wird deren endgültiger Ausschluss aus der Gesellschaft gefordert. Der Straftäter wird, wie Hans-Jörg Albrecht, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, es beschreibt, »nicht mehr als Bedrohung für individuelle Güter und Interessen, sondern als Bedrohung für die gesamte Gesellschaft« wahrgenommen. Und entsprechend soll er auch bestraft werden.

Sexualverbrechen an Minderjährigen mussten bereits in der Vergangenheit dafür herhalten, umstrittene Fahndungsmethoden und repressive Strafrechtsnormen durchzusetzen. Schon die Sicherungsverwahrung, die bereits seit Jahren praktiziert wird, läuft meist auf eine lebenslange Strafe hinaus, unter Bedingungen, die eine Resozialisierung kaum möglich machen.

Denn Sicherungsverwahrte sind Weggesperrte ohne ausreichende Therapie und Hoffnung, den Knast je lebend zu verlassen. Zwar sieht der Gesetzgeber vor, dass alle zwei Jahre eine so genannte Gefährlichkeitsprognose erstellt wird, um zu überprüfen, ob der Betroffene auch weiterhin weggesperrt werden soll. Doch eine Möglichkeit, sich im Sinne der Prognose positiv zu verhalten, besteht kaum. Vor allem Wiederholungstäter, denen ein »Hang zu schweren Straftaten« unterstellt wird, enden so im lebenslangen Verschluss. »Die Sicherheitsverwahrung in Deutschland«, meint Albrecht, »ist eine rechtsstaatlich gebremste Variante der 'Two' und 'Three-Strikes-Laws', die in den Vereinigten Staaten seit geraumer Zeit für die soziale Eliminierung von solchen Straftätern sorgen.«

Seit langem kritisierten Strafverteidigervereinigungen deshalb die Sicherungsverwahrung als unmenschlich und nicht konform mit dem verfassungsrechtlichen Gedanken, wonach dem Verurteilten eine reelle Chance gegeben werden muss, wieder die Freiheit zu erlangen.

Strafrechtler sehen in den Plänen der Regierung einen Bruch mit dem Prinzip, dass »niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf«. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention erlaubt die Freiheitsentziehung eines Menschen nur, wenn er rechtmäßig nach der Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird. Der von der Bundesregierung diskutierte Vorschlag aber sieht etwas anderes vor: Richtern soll die Möglichkeit vorbehalten bleiben, die Sicherungsverwahrung trotz Beendigung der festgelegten Freiheitsstrafe anzuordnen. Während der Verurteilte seine Strafe absitzt, soll er also gute Gründe schaffen, nicht anschließend verwahrt zu werden.

Genau das aber dürfte schwer fallen, wie Norbert Nedopil, Professor für forensische Psychiatrie in München, betont: »Der Gutachter wird eine günstige Prognose nur abgeben, wenn der Betroffene in Lockerungen unter Beweis gestellt hat, dass er seine erworbenen Strategien zur Konfliktbewältigung in Freiheit auch einsetzen kann.« Diese Lockerungen aber werden Sexualstraftätern von den Haftanstalten, die unter Überfüllung, Personalmangel und dem öffentlichen Anspruch leiden, eine mögliche Wiederholungstat zu verhindern, in der Regel nicht gewährt. Die darin enthaltene Umkehrung des bürgerlichen Rechtsverständnisses, wonach der Staat gute Gründe braucht, den Einzelnen seiner Freiheit zu berauben, muss als programmatisch für ein »Feindstrafrecht« gesehen werden, das sich in den vergangenen Jahren immer mehr durchgesetzt hat.

Der Trend geht hin zu Strafen, die eine Reintegration Verurteilter praktisch unmöglich machen. In Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt ist die von der Bundesregierung diskutierte nachträgliche Sicherungsverwahrung bereits ins Landesrecht aufgenommen worden, Hessen und Sachsen streben eine ähnliche Regelung an. In allen diesen Ländern ist die Zahl der Inhaftierten kontinuierlich gestiegen.

In Hessen sank zugleich der Anteil der Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, zwischen 1999 und 2000 von rund 58 auf 42 Prozent. »Eine qualifizierte Sozialarbeit«, meint Rechtsanwalt Thomas Scherzberg, »kann unter diesen Bedingungen kaum noch stattfinden.« Vor allem Sexualstraftäter werden auch im Vollzug immer öfter aus der notwendigen Betreuung hinausbefördert, obwohl bei entsprechender Therapie die Rückfallquote so genannter Hangtäter äußerst gering ist. Den realen Chancen auf Resozialisierung trägt der Entwurf der Bundesregierung aber ebenso wenig Rechnung wie der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung.