Friede aus den Palästen

Die umstrittene saudi-arabische Initiative zur Beilegung des Nahost-Konfliktes steht im Mittelpunkt des Gipfels der Arabischen Liga in Beirut.

Der Plan hat eine ungeahnte Dynamik in Gang gesetzt - im Nahen Osten ebenso wie in den Hauptstädten Europas und der USA. Denn nichts weniger als die volle Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten versprach der saudi-arabische Kronprinz Abdullah Mitte Februar, sollte Ministerpräsident Ariel Sharon seine Truppen aus den besetzten Palästinensergebieten zurückziehen.

Auch auf dem Gipfeltreffen der Arabischen Liga, das am Mittwoch in Beirut beginnt, wird die Initiative Abdullahs im Mittelpunkt der Diskussionen stehen. Sehr zum Missfallen der alten Feinde Israels. »Eine Schande« wäre es, meinte etwa der Anführer der pro-iranischen libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, am Sonntag, sollten die Vertreter der 22 Mitgliedstaaten der Arabischen Liga einer Anerkennung Israels tatsächlich zustimmen. Kein arabischer Führer habe das Recht, ein Stück palästinensischen Landes aufzugeben.

Dabei stützt sich Abdullahs Vorschlag auf das schon seit der Uno-Sicherheitsratsresolution 242 von 1967 bekannte Prinzip »Land gegen Frieden«. Die entscheidende Neuerung besteht deshalb lediglich in der Verwendung des Begriffs »volle Normalisierung der Beziehungen«.

Derartige Beziehungen, die die diplomatische Anerkennung, den Austausch von Botschaftern sowie ungehinderten Handel und Tourismus bedeuten, unterhalten bislang lediglich Ägypten und Jordanien mit Israel. Andere arabische Staaten, wie Marokko, Tunesien und Mauretanien oder die Golfmonarchien Oman und Katar, waren zumindest bis zum Beginn der so genannten al-Aqsa-Intifada auf dem Weg zu einer solchen Normalisierung, vorwiegend allerdings auf der Ebene von Handelskontakten. Doch die großen und strategisch wichtigeren arabischen Länder befinden sich bis heute formell im Krieg mit Israel. Das gilt sowohl für dessen nördliche Nachbarn Syrien und Libanon als auch für Saudi-Arabien, den Irak und Libyen.

Nun hat mit Kronprinz Abdullah erstmals ein Vertreter eines dieser Länder einen neuen Weg eingeschlagen. Nach einiger Verzögerung sind Anfang März die weit reichenden Implikationen der Initiative Abdullahs sowohl in den USA, in Europa und in Israel als auch in den Mitgliedsländern der Arabischen Liga klar geworden. Die Reaktionen aus Washington und Jerusalem waren zunächst zurückhaltend, weil man nicht zu Unrecht vermutete, dass es sich in erster Linie um eine saudische Propagandaoffensive zur Imageverbesserung handelte. Nach einiger Zeit begriff man jedoch, dass der Vorschlag einer »völligen Normalisierung« eine neue Qualität bedeutete.

Genau diese Formulierung sorgte dann auch in den arabischen Ländern für hitzige Diskussionen. So analysierte Thomas Friedman, ein Kolumnist der New York Times, der als Protokollant der Äußerungen Abdullahs eine Schlüsselrolle in der gesamten Debatte spielt, die widersprüchlichen arabischen Kommentare mit der Bemerkung: »Klar ist, dass ein Kampf begonnen hat in der Arabischen Liga (...) und in Saudi-Arabien.«

Denn von Handelsbeziehungen oder gar israelischen Touristen wollen viele arabische Politiker nichts wissen. Abdullahs eigener Außenminister, Prinz Saud Faisal, sprach beispielsweise Mitte März von einem »vollen Frieden« anstelle von »voller Normalisierung« - ein Indiz für den von Friedman vermuteten innersaudischen Kampf. Wegen der schweren Erkrankung des Königs ist Abdullah de facto bereits Herrscher des Landes. Dass er seinen Vorstoß offenbar ohne vorherige interne Konsultationen unternommen hat, stieß jedoch auf Widerspruch. Die Gegner jeglicher Annäherung an die »ungläubigen« Amerikaner und Israelis im saudischen Königshaus dürften sich vom eigenen Herrscher in aller Öffentlichkeit brüskiert gefühlt haben.

Solche Meinungsverschiedenheiten könnten auch die Erklärung sein für widersprüchliche Berichte über den aktuellen Stand der auf beiden Seiten umstrittenen saudisch-amerikanischen Beziehungen. US-Präsident George W. Bush hat Abdullah zu einem Treffen eingeladen, das im April auf Bushs Ranch in Texas stattfinden soll. Andererseits gibt es bisher unbestätigte Berichte aus Geheimdienstkreisen, dass Saudi-Arabien den USA verwehrt habe, von saudischem Territorium einen Militärschlag gegen den Irak zu führen. Demnach habe die US-Armee bereits begonnen, größere Mengen an Truppen und schwerem Gerät von der saudischen Prinz-Sultan-Militärbasis ins benachbarte Emirat Katar zu verlegen. Sich erfolgreich als arabischer Vermittler zu profilieren, würde das diplomatische Gewicht Saudi-Arabiens erhöhen und auch die Verhandlungsposition gegenüber den USA stärken.

Derweil hat Kronprinz Abdullah kurz nach den Äußerungen seines Außenministers Faisal in einem Interview mit einem amerikanischen Fernsehsender präzisiert, dass »Normalisierung« im Falle eines vollständigen israelischen Rückzugs diplomatische Anerkennung, den Austausch von Botschaftern und bilaterale Handelsbeziehungen bedeuten würde. Er werde dem arabischen Gipfel einen vollständigen Friedensplan präsentieren, von dem er hoffe, dass er den Status einer gesamtarabischen Initiative bekomme. Der Plan berücksichtige auch den Status Jerusalems und das Recht der palästinensischen Flüchtlinge.

Neben dem Begriff »Normalisierung« waren vor allem diese beiden Themen in den arabischen Ländern umstritten. So lehnte der syrische Informationsminister Adnan Omran nicht nur die Normalisierung als eine »israelische Erfindung« ab, sondern kritisierte auch die fehlende Berücksichtigung des »Rückkehrrechts« der palästinensischen Flüchtlinge. Demgegenüber sprach der jordanische Außenminister Marwan Moasher von einer »gerechten Lösung« des »Flüchtlingsproblems«.

Tatsächlich fallen an diesem Punkt die Interessen Jordaniens, Ägyptens und Saudi-Arabiens einerseits und Syriens und Libanons andererseits auseinander. In Ägypten und Saudi-Arabien sind kaum palästinensische Flüchtlinge ansässig, Jordanien würde sich mit ausreichenden finanziellen Kompensationen zufrieden geben. Vor allem im Libanon aber fürchtet man eine Destabilisierung des fragilen Gleichgewichts der unterschiedlichen religiösen und politischen Strömungen, sollte es zu einer bloß symbolischen Anerkennung des »palästinensischen Rückkehrrechts« kommen.

Nicht zu unterschätzen wäre auch der Verlust des einigenden äußeren Feindes Israel als Garanten inneren Stabilität Syriens und Libanons. Schließlich wurde in Damaskus die Parole ausgegeben, den saudischen Vorschlag zu unterstützen, um damit der Welt zu zeigen, dass »die Araber« den Frieden wollen, während Israel weiter an seiner »Kriegspolitik« festhalte.

Ägypten und Jordanien hingegen erhoffen sich im Falle einer Beilegung des arabisch-israelischen Konflikts eine höhere politische Reputation in der arabischen Welt sowie ökonomische Vorteile durch allgemeine Handelserleichterungen. So zählen die beiden Staaten zu den wichtigsten Befürwortern der Initiative Abdullahs.

Relativ unklar blieb bis zuletzt die Haltung der absoluten Hardliner-Staaten Libyen und Irak. Libyens Herrscher Muammar al-Gaddafi reagierte auf den Vorschlag der Saudis zunächst empört und kündigte an, sich aus der Arabischen Liga zurückzuziehen. Diese Drohung zog er später jedoch wieder zurück. Auch aus Bagdad kamen keine klaren Signale. Saddam Hussein könnte sich durch eine ablehnende Haltung, wie Serge Schmemann in der New York Times vermutete, einmal mehr als »wahrer Champion der arabischen Sache« aufspielen oder aber durch Zustimmung zu einem arabischen Friedensplan seinen guten Willen gegenüber Washington demonstrieren. In arabischen Zeitungen wurden beide Möglichkeiten diskutiert.

Die zweite Möglichkeit verweist auf die Gefahren für Israel und die USA. Sollte die Arabische Liga tatsächlich auf der Basis des saudischen Vorschlages eine offizielle Friedensinitiative beschließen, würde diese zunächst kaum praktische Auswirkungen haben, die Regierungen in Washington und Jerusalem aber trotzdem unter Zugzwang setzen, weil sie andernfalls als Zerstörer dieser Initiative gelten würden. Nicht ohne Grund wurde Abdullahs Vorschlag besonders von palästinensischen Politikern unterstützt.