Interview mit Xavier Naidoo

Softer als die Taliban

Warum er beim Autofahren Gott ganz nahe kommt, wie er die Stadt Mannheim entschulden will und aus Deutschland ein Mekka des Musikbusiness machen will, erzählt Xavier Naidoo.

Xavier Naidoo ist einer der erfolgreichsten deutschen Popstars. Alle wichtigen Musikpreise sowie rund zwei Millionen Plattenverkäufe gehen auf das Konto des 30jährigen Soul-Sängers aus Mannheim. Jetzt hat der gläubige Christ seine dritte Soloplatte aufgenommen. Die 29 Songs auf dem Doppelalbum »Alles für den Herrn/ Zwischenspiel« wurden mit Musikern der Söhne Mannheims eingespielt und drehen sich um Naidoos Lieblingsthema Gott, aber auch um Liebe, Beziehungen, Gefühle und Politik.

Im vergangenen Jahr hast du mit befreundeten Künstlern wie Reamonn, Erkan Aki, Jan Delay, RZA, Edo Zanki, Brothers Keepers, Sekou, Curse, 4 Your Soul und Sommersault kooperiert, dein eigenes Label gegründet und zu guter Letzt ein Doppelalbum produziert. Kommst du da überhaupt noch zum Beten?

Halb so schlimm. Das Geschäftliche und die PR erledigen wir von zu Hause aus. Vor der Veröffentlichung einer neuen Platte geht es natürlich heiß her. Im Endeffekt brauchst du aber nur einen guten Steuerberater und ein paar zuverlässige Leute, die die Finanzen regeln. Da ich meinen Leuten vertraue, kann ich in Ruhe meine Musik machen. Ich reiße auch keinem den Kopf ab, wenn mal etwas schief geht. Wir gehen da zusammen durch und lernen gemeinsam. Sollte das neue Label zum Flop werden, haben wir ja noch das Söhne-Mannheims-Label. Da kann man es wieder versuchen.

Die Hälfte der neuen Lieder handelt von Gott. Wie fanatisch ist dein Glaube?

Wenn überhaupt, dann lebe ich einen toleranten Fanatismus: vernarrt in diesen Gott. Fände ich Wege und Mittel, würde ich mein Leben gern noch radikaler verändern. Aber lange nicht so fanatisch wie die Taliban. Mein Nachbar kann sein, was er will, nur wird er mich nicht dazu bringen, an etwas anderes zu glauben als an Gott.

Wie könnten diese radikalen Veränderungen aussehen?

Gerne würde ich die Fastenzeiten einhalten, ohne mich um den ganzen Dreck scheren zu müssen, der außen herum passiert. Vor zwei, drei Jahren habe ich das noch gemacht. Jetzt aber bin ich so eingespannt, dass es mich schon sehr stört. Letztes Jahr konnte ich mich Gott überhaupt nicht intensiv widmen, weil ich nicht Auto fahren durfte. Jetzt habe ich wieder einen Führerschein und komme langsam wieder dahin. Denn das Auto ist der einzige Ort, an dem ich wirklich alleine bin. Damit gelange ich an Plätze, wo ich absolut mit mir selbst und gleichzeitig ganz nahe bei ihm bin.

In der Vergangenheit gab es immer wieder juristischen Ärger. Zum Beispiel mit deinem Ex-Plattenchef Moses Pelham und auch um deinen Führerschein, der dir abgenommen wurde. Hat dich Gott jemals enttäuscht?

Man enttäuscht sich immer selbst, indem man das Falsche auf ihn projiziert. Der Wunsch »God bless America« ist im Grunde genommen fast schon ein Befehl. Auf der neuen Platte habe ich einen Song, »Der Himmel über Deutschland«, wo auch ich Gott sagen will, was er zu tun hat: Lass Deutschland bitte unberührt sein von all den Wirren, die da draußen sind!

Was kommt nach dem irdischen Dasein - das Paradies?

Ich will nicht erst nach dem Tod zu Gott kommen, wie es uns immer vorgekaut wird. Der Tod kommt nicht von Gott, warum also sollte ich ihn nicht besiegen können, wie es Jesus getan hat? Ich will mir das Paradies und den Himmel auf Erden bereiten. Egal durch welches Nadelöhr ich da kriechen muss. Ich habe ja noch ein bisschen Zeit, einen Weg zu finden, ohne dass ich irgendwelche Gene manipulieren muss.

Das ewige Leben fristen als frommer Mönch in den von dir so geliebten Bergen - eine schöne Vorstellung?

Selbst wenn ich wie Buddha irgendwo sitzen müsste, bis Gras auf mir wächst, werde ich versuchen, mich so nahe wie möglich an Gott zu bringen. Diesen Gott vermute ich aber als Menschen, dem ich ins Auge blicken kann. Allerdings ohne weißen Bart. Die Nikolaus-Arie habe ich irgendwann hinter mir gelassen. Er kann überall sein. Nicht zuletzt spricht David davon, dass er in dieser Zeit Gott ins Angesicht blicken will. Das hört sich alles sehr hochtrabend an, aber viele Wissenschaften klingen schließlich auch komplett verrückt.

Auf dem weltlichen Album »Zwischenspiel« schlägst du hoffnungsvollere Töne an: »Wir haben alles Gute vor uns, alles Schlechte geht vorbei.« Also doch noch Licht am Ende des Tunnels?

Eben! Ich sehe nicht wirklich schwarz. Vor dieser guten Phase wird etwas kommen, was wir vorher nicht gekannt haben. Man kann nur hoffen, dass Deutschland mit dem Zweiten Weltkrieg seine Schuldigkeit getan hat. Die Straßen haben genug Blut gesehen. Aber in Afrika und Südamerika wird es dermaßen rasseln und krachen. Vielleicht bricht ja demnächst ein Krieg um das Wasser aus. Welche Naturkatastrophen werden noch auf uns zukommen? Klimawechsel hat die Erde immer durchgemacht, nur hat es nie so viele Menschen gegeben, die darunter leiden müssen.

Willst du deshalb keine Kinder in die Welt setzen?

Wenn die Leute, zu denen ich meine Kinder ja schicken müsste, mit ihnen nicht so umgingen wie ich, dann würde ich ziemlich wütend werden. Sollte mein Kind im Endeffekt wirklich nur auf diese elenden Aufnahmetests für irgendwelche elenden Firmen vorbereitet werden, dann wäre es in dieser Gesellschaft nicht gut aufgehoben. Ich weiß ja noch zu gut, wie ich darunter gelitten habe. Kinder werden auch bei uns zunehmend genormt. Wer nicht ins Raster passt, fällt gnadenlos durch.

Du könntest dir aber im Unterschied zu den meisten anderen den Luxus eines Privatlehrers leisten.

Ich hätte auch die Möglichkeit, in ein anderes Land zu ziehen und weniger Steuern zu zahlen. Aber wir sitzen doch alle im gleichen Boot. Ich bin hier geboren, lebe in Mannheim mit meinen Mitbürgern, und was die durchmachen, habe ich gefälligst auch durchzumachen. Wenn ich manchmal im Winter um halb sechs in der Früh aus dem Studio komme, sehe ich Dreikäsehochs an der Bushaltestelle stehen, die Augen noch halb zu. Das tut mir weh. Vielleicht denke ich gnadenlos romantisch, aber ich will nicht, dass Kinder aus dem Bett geprügelt werden, um irgendwelche Sachen zu lernen, damit sie am Ende in unsere Gesellschaft passen. Es gibt ein schönes afrikanisches Sprichwort: Es braucht ein Dorf, um ein Kind groß zu ziehen.

Was bedeutet »Heimat« für dich?

Wahrscheinlich zuerst der Dialekt, den man in der Mannheimer Gegend spricht, weil er mit Humor und allem, was ich kenne, verbunden ist. Dann die vertrauten Plätze. Man kann vielleicht ein oder zwei Orte gut kennen, ich traue mir sogar noch ein paar mehr zu, weil ich ein ganz guter Navigator bin. Jetzt noch einmal umziehen, könnte ich aber nicht. Die Mannheimer haben sich daran gewöhnt, dass ich hier meine Einkäufe mache. Ich bin einer von ihnen. Woanders müsste man sich das alles erst wieder erarbeiten. Ich bin so viel unterwegs und sehr froh, dass ich schon früh gemerkt habe, dass man eine Heimat einfach braucht. Ich kann problemlos fünf Monate durch die Weltgeschichte turnen, wenn ich nur weiß, dass ich irgendwann wieder nach Hause komme.

Wie steht es um das Projekt, Mannheim entschulden zu wollen?

Das war nie ein Projekt, sondern eine Vision. Ich wünsche mich in eine Zeit, wo ich sehr, sehr reich bin und soziale Projekte unterstützen kann. Mein größtes Glück wäre, wenn ich jetzt schon in Mannheim für bessere Verhältnisse sorgen könnte - ohne dass die Krankenhäuser gleich meinen Namen erhalten. Weil ich so gerne hier lebe und so gerne sehen würde, dass es allen gut geht.

Hast du einen Plan?

Am liebsten würde ich weltweit produzieren können und Deutschland zu einer florierenden Musiklandschaft machen, wo alle Musiker der Welt aufnehmen wollen, weil die Studios hier so geil sind. Daran könnte auch eine Stadt wie Mannheim sehr viel verdienen.

Hast du deshalb deine eigene Plattenfirma In-Motion gegründet?

Bei keiner Major-Company ist es mir je gelungen, auch nur eine Platte loszuwerden. Die wollen dich immer gleich für zehn Jahre oder zehn Alben verpflichten. Das geht bei mir absolut nicht mehr. So würde ich es auch gern für andere Künstler machen. Wenn man aneinander Gefallen gefunden hat und die Arbeit auch gut geworden ist, verlängert man den Deal doch ohnehin. Die Musikerverträge sind in Deutschland überhaupt nicht gut geregelt. Als Künstler sieht man immer alt aus, weil man zu Sachen gezwungen wird, die einem nicht gut tun. Nach zehn Jahren bist du eine zerstörte Existenz, während sich irgendwelche Leute die Taschen voll gestopft haben.

Du hast jahrelang an Magenkrämpfen gelitten.

Warum tragen Weisheitszähne ihren Namen? Ich habe meine jedenfalls nicht entfernen lassen und bin die Schmerzen auf Knien winselnd durchgegangen. Das sind Momente, wo man Gott sehr nahe kommt. Die Magenschmerzen haben sich schließlich als relativ harmlose Hefepilzerkrankung erwiesen, aber zwei Monate lang dachte ich wirklich, ich hätte Krebs und müsste sterben.

Schon Hiob hat gesagt, dass Gott dir zwei- oder dreimal im Leben die Möglichkeit gibt, zu ihm zu finden. Nicht zuletzt über ein schlimmes Schicksal, Krankheit oder Tod. Wenn du reich und gesund bist, verspürst du ja nicht unbedingt den Drang, Gott zu suchen. Damals war ich bei ihm, gleichzeitig hatte ich in mir immer ein Gefühl von Unsterblichkeit. Auf einmal war das wie weggeblasen. War ich doch angetreten, um zu beweisen, dass wir ewiges Leben bestreiten können. Jetzt sollte ich einfach so an Darmkrebs verrecken. Damit betrat ich sogar noch eine weitere Stufe auf dem Weg zu Gott.

Spiegeln die Liebeslieder auf »Zwischenspiel« eigene Erfahrungen wider?

Sie könnten zumindest wahr sein. Nicht undenkbar, dass meine Freundin eines Tages sagt, sie wolle mein Leben mit Gott einfach nicht mehr mitmachen. Dann muss ich mir die Frage stellen, ob ich mich ändern will, um sie zu halten. Die Aussage bei »Wo willst du hin?« ist ja, dass man sich nicht wirklich ändern wird, aber erst mal so tut, als ob man alles in die Waagschale werfen würde.

Du bist seit acht Jahren in festen Händen. Hat sich deine Partnerin mit deinem Glauben arrangiert?

Ich muss mich immer wieder wundern, dass sie es mit mir so lange aushält. Sie beschäftigt sich vorwiegend mit Gott, weil sie ihren Typen verstehen will. Aber sie hat auch ihre eigene Beziehung zu ihm. Niemals aber würde ich sie oder irgend eine andere Person zwingen, so drauf zu sein wie ich.

Müssen die Menschen um dich herum viel Geduld aufbringen?

Viele Leute müssen Geduld haben, bis ich mich wieder um die Belange kümmere, um die es sich in meiner Position zu kümmern gilt. Weil ich doch immer wieder Gott für wichtiger erachte.

Würdest du als gläubiger Christ Werbung für Bücher wie »Kraft zum Leben« machen?

Dann lieber gleich für das Buch der Bücher. Alles andere dient nicht unbedingt der Wahrheit. Es sind schon so viele Geschichten um die Bibel herum gesponnen. Natürlich finden manche Leute leichter zur Bibel, wenn sie lesen, wie es anderen ergangen ist. Aber ich versuche lieber, den Menschen die Bibel selbst nahe zu bringen.

Du schauspielerst jetzt auch. Wie bist du in den neuen Till-Schweiger-Film »Auf Herz und Nieren« geraten?

Till Schweiger habe ich bei einer Veranstaltung in München kennen gelernt, wo ich zusammen mit Boris Becker hingegangen bin. Danach haben wir zusammen ein Doppel gespielt und uns köstlich amüsiert. Till erzählte von einem Filmprojekt, für das noch ein dunkelhäutiger Boxer gesucht wurde. Ich ging also zum Casting, und am Ende bekam ich eine ganz andere Rolle: Ein illegaler Inder, auf dessen Organe man es abgesehen hat. Nicht unbedingt oscarverdächtig.

Gegen Boris Becker Tennis spielen - da kann man doch nur verlieren!

Ich war sein Doppelpartner. Wir haben allerdings verloren, weil er scheiße gespielt hat und nicht ich. Das war überhaupt mein allererstes Tennis-Match, und ich habe relativ viele Bälle übers Netz gebracht. Da steht man neben dem Herrn Becker, der die ganze Zeit diesen berühmten Wimbledon-Aufschlag macht, und trotzdem landet sein Ball öfter im Netz als auf der anderen Seite. Der Boris verliert ja gar nicht gerne, aber bei diesem Match hat er sich einfach nicht richtig angestrengt.

Xavier Naidoo: Alles für den Herrn/Zwischenspiel (In-Motion/SPV)