Sammelklage auf Entschädigung für Sklaverei

Geld statt Maultier

Über acht Millionen Menschen wurden zwischen 1619 und 1865 in den USA als Sklaven ausgebeutet. Nun ist eine Sammelklage gegen einige der Profiteure anhängig.

Forty acres and a mule« - genug Land, um eine Familie zu ernähren, und ein Maultier für die Bewirtschaftung: Das vor mehr als 150 Jahren gegebene und nicht eingehaltene Versprechen des US-Präsidenten Abraham Lincoln an die Sklaven der USA ist ein Symbol für die Schuld des weißen Amerika an den 35 Millionen Nachfahren der aus Afrika verschleppten Arbeitssklaven. Seitdem gab es viele Versuche, die auf die Zeiten der Sklaverei zurückgehende Benachteiligung der schwarzen Bevölkerung zu beheben oder zumindest zu mildern. Die bedeutendsten waren die Bürgerrechtsbewegung in den sechziger Jahren und das militante Black Panther Movement.

Diese politischen Bewegungen wandten sich vor allem gegen die bestehende rassistische Diskriminierung, also gegen geringere Löhne, Behinderungen und Einschüchterungsversuche bei Wahlen, Diskriminierung seitens der Polizei und Justiz etwa durch übermäßige Fahrzeugkontrollen und die Verhängung wesentlich härterer Strafen. Das Unrecht der Sklaverei lieferte nur den gesellschaftspolitischen Hintergrund und die historische Legitimation der Bewegungen. Der letzte Versuch, die Einlösung von Abraham Lincolns Versprechen juristisch einzufordern, scheiterte 1995 vor einem Bundesgericht. Die Botschaft war eindeutig und endgültig: Der Staat zahlt auf keinen Fall.

Doch seit dem 27. März steht das ursprüngliche Unrecht der Sklaverei wieder zur Debatte. Daedria Farmer-Paellmann, eine 36jährige Juristin aus Brooklyn, New York, hat bei einem Bundesgericht die erste Sammelklage auf Schadensersatz für die nicht gezahlten Löhne aus den Zeiten der Sklaverei eingereicht. Vertreten wird sie von der Reparations Assessment Group, einem »Dream Team« hochkarätiger Anwälte, darunter der Harvard-Professor Charles Ogletree. Angeklagt sind nicht die Vereinigten Staaten, sondern vorerst nur drei Firmen, die nachweislich von der Sklaverei profitiert haben: der Versicherungskonzern Aetna, die Eisenbahngesellschaft CSX und die FleetBoston Bank. Als Streitwert hat die Klägerpartei den heutigen Betrag der jahrhundertelang nicht gezahlten Löhne angesetzt, schätzungsweise etwa 1,4 Billionen Dollar. Im Falle eines Erfolges soll das Geld in einen Stiftungsfonds eingezahlt werden, der den etwa 35 Millionen Nachfahren der Verschleppten zugute käme. In der Anklageschrift heißt es weiterhin, dass die Sammelklage möglicherweise auf 1 000 Firmen ausgedehnt werden könnte.

Eine solche Klage führt natürlich zu ausführlichen Debatten, zumal die juristische Lage alles andere als eindeutig ist. Zur Verhandlung steht nicht die Verschleppung, Misshandlung und Ermordung der Millionen von Sklaven - das wäre ein Strafprozess ohne jede Aussicht auf Erfolg -, sondern die Forderung nach Schadensersatz. Juristisches Vorbild sind die Sammelklagen auf Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter. »Unrechtmäßige Bereicherung« ist der Hauptvorwurf. FleetBoston wird zur Last gelegt, Sklavenschiffe aus Afrika gegen der Verlust der Ladung versichert und damit am Sklavenhandel profitiert zu haben; die Eisenbahngesellschaft CSX besitzt Streckenabschnitte, die von Sklaven gebaut wurden; und der Versicherungskonzern Aetna hat Lebensversicherungen für Sklaven verkauft - mit dem jeweiligen Eigentümer als Versicherungsnehmer. Vertraglich ausgenommen von der Auszahlung waren Fälle, in denen das »Versicherungsobjekt« Selbstmord beging, vom Besitzer zu Tode gepeitscht oder dazu gezwungen wurde, sich zu Tode zu schuften.

Daedria Farmer-Paellmann hat nach eigenen Angaben ausschließlich deshalb Jura studiert, um einen Reparationsprozess führen zu können. Jahrelang hat sie geforscht, um einen juristischen Ansatzpunkt für eine Klage zu finden. In einer Fußnote in einem Artikel über Reparationsrecht fand sie den Hinweis, dass Nachfahren von Sklaven möglicherweise die Erben der Sklavenhalter verklagen könnten. Das Buch »Black Genealogy« von Charles L. Blockson, eine Anleitung zur Entdeckung der afrikanischen »Roots« der Schwarzen in den USA, brachte sie auf den Gedanken, ihre eigene Abstammung mit Hilfe alter Versicherungsakten zu erforschen. Dabei fand sie heraus, dass einige Versicherungen Policen auf Sklaven, unter anderem auf ihre Vorfahren, ausgestellt hatten. Von diesem Fund ermutigt, suchte sie weiter und entdeckte unter anderem, dass eine Vorgängerin der FleetBoston Bank sich am Sklavenhandel beteiligt hatte, auch nachdem der Import von Sklaven im Jahre 1808 offiziell verboten worden war.

Die Komplexität dieser Recherchen ist Farmer-Paellmanns wichtigstes Argument gegen das Hauptargument der Beklagten: Verjährung. Normalerweise verjähren zivilrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz nach zehn Jahren. Eine Ausnahme sind crimes against humanity, Verbrechen an der Menschheit. Dieser Begriff existiert juristisch erst seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, ob er auf die Sklaverei angewendet werden kann, ist zweifelhaft.

Die Reparations Assessment Group wird vermutlich die lange Zeit fehlenden Recherchemöglichkeiten sowie den aufgrund rassistischer Diskriminierung unzureichenden Zugang zu Gerichten als Gründe für eine Aufhebung der Verjährung anführen. Vor zwanzig Jahren wäre schließlich jeder Schwarze mit Schimpf und Schande davongejagt worden, der einen Reparationsprozess anzustrengen gewagt hätte.

Der wichtigste Aspekt dieser Sammelklage ist nicht unbedingt der Ausgang vor Gericht. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass das große öffentliche Aufsehen, das solche Verfahren begleitet, für die Beklagten dermaßen geschäftsschädigend ist, dass fast immer eine außergerichtliche Einigung auf hohem finanziellen Niveau zustande kommt. Darin liegt die außergewöhnliche Macht dieses juristischen Instruments.

Die Angst vor schlechter Presse ist einem Kommentar der Financial Times anzumerken, in dem die Rede ist von »gesetzlich gedeckter Erpressung« und die Kläger als unmoralisch und geldgierig denunziert werden. Der Ton erinnert an einige Reaktionen auf die Sammelklagen zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter.