Kriegsdienstverweigerer in Bosnien-Herzegowina

Besser leben ohne Militär

In Bosnien-Herzegowina ruft eine Initiative dazu auf, den Kriegsdienst zu verweigern.

Die Sprüche gibt es wahrscheinlich schon so lange wie das Militär. »Schlappschwanz«, »schwule Sau«, »Vaterlandsverräter« oder »Feigling« werden jene geschimpft, die sich dem Dienst an der Waffe verweigern. Das dürfte in Frankreich, Großbritannien und Deutschland nicht anders sein als in Serbien, Kroatien oder Bosnien-Herzegowina.

Und doch unterscheiden sich die Verunglimpfungen, die Deserteure und Kriegsdienstverweiger in den ehemaligen jugoslawischen Staaten über sich ergehen lassen müssen, von denen, die ihre westeuropäischen Gesinnungsgenossen bisweilen zu ertragen haben.

Nicht selten kommt der Vorwurf des mangelnden Patriotismus von Freunden, denen das nationalistisch aufgeladenen Klima der neunziger Jahre den Kopf verdreht hat. Davon, dass ein kluger Kopf unter keinen Helm passt, wollten sie nichts mehr wissen, als die Kriege auf dem Balkan begannen. Entscheidend war plötzlich die Farbe des Helms.

So erging es auch Milan O. und Zoran P., die nach den Nato-Angriffen auf Jugoslawien aus Angst vor der Einberufung im Frühjahr 1999 aus Belgrad in Richtung Bosnien flüchteten. »Da unsere Freunde, die zu dieser Zeit in Sarajevo lebten, sich weigerten, uns zu helfen, klopften wir bei der Nichtregierungsorganisation Frauen für Frauen an und beschrieben unsere schwierige Situation. Selma Hadzihalilovic, die Frau, die uns die Tür öffnete, wurde in der folgenden Woche unsere Gastgeberin.«

Heute ist die 27jährige eine Mitarbeiterin der bosnischen Kampagne für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, die seit Anfang des Jahres in einem kleinen Einzimmerbüro in Sarajevo ihren Sitz hat. »Die Erfahrungen der beiden Männer waren für mich der Grund, die Propagierung des Rechts auf zivilen Ersatzdienst stärker in den Mittelpunkt meines politischen Engagements zu rücken«, sagt die einzige Frau in dem Projekt, das sieben Zweigstellen im ganzen Land unterhält. Finanziert wird es von der Heinrich Böll-Stiftung und der Jugendhilfsorganisation Schüler Helfen Leben.

Zwar wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung vor zwei Jahren in den Gesetzbüchern der beiden Entitäten des kleinen Landes verankert. Doch kaum einer der künftigen Rekruten in der Republika Srpska oder in der muslimisch-kroatischen Föderation weiß davon, sodass nach Angaben der Kampagne bislang lediglich 100 junge Männer von dem Gesetz Gebrauch gemacht haben. 24 Anträge wurden akzeptiert, seinen Zivildienst angetreten aber hat bis heute noch niemand.

»Deshalb geht es uns in erster Linie darum, darüber aufzuklären, dass diese Möglichkeit besteht«, erklärt Boris Brkan. »Antimilitaristisch ist das nicht, aber das wäre der Bevölkerung hier im jetzigen Stadium auch kaum zu vermitteln. Mittelfristig geht es aber natürlich darum, dass diese Gewissensentscheidung als selbstverständlich akzeptiert wird.«

Bevor der 21jährige gemeinsam mit Gleichaltrigen die Kampagne gründete, engagierte er sich bei der Initiative Zasto ne (Sag' nein). Kontakte zu spanischen Kriegsdienstverweigerern brachten die Gruppe im vorigen Jahr auf die Idee, ihr Projekt auszuweiten. Mit Aktionen in Fußgängerzonen der größeren bosnischen Städte und Fortbildungsseminaren in Mittelschulen soll vor allem bei Schülern das Bewusstsein geweckt werden, dass ein Leben ohne Militärdienst möglich ist.

Fast sieben Jahre nach dem Ende des Krieges ist das kein einfacher Job in einem Land, wo fast jede Familie Opfer zu beklagen hatte, und wo beinahe jeder Dritte nicht mehr in der Wohnung untergebracht ist, in der er oder sie vor dem Ausbruch der Kämpfe lebte. Zudem dauern die kriegsbedingten Spaltungen zwischen den politischen Eliten Bosniens an, was zu staatsrechtlich absurden Konstellationen führt.

So unterhält nicht nur die Republika Srpska ihre eigene Armee, die bis zuletzt aus dem jugoslawischen Bundeshaushalt mitfinanziert wurde. Auch die Divisionen der muslimisch-kroatischen Föderation sind nochmal unterteilt - in die Einheiten der muslimisch geführten Armee von Bosnien-Herzegowina und die des Kroatischen Verteidigungsrates.

Aus diesem Grund gibt es auch keine zentrale bundesstaatliche Einrichtung, an die sich die potenziellen Kriegsdienstverweigerer wenden könnten. Während in der Föderation immerhin eine eigens eingerichtete Kommission des Verteidigungsministeriums über die Anträge entscheidet, müssen diese in der Republika Srpska direkt in den örtlichen Büros des Wehrministers abgegeben werden.

Einen Vorteil aber hat die Gesetzgebung im Norden und Osten des Landes. Die Einberufung kommt hier erst mit 18 oder 19 Jahren, danach bleiben noch 15 Tage Zeit, die Verweigerung zu erklären. In der Föderation hingegen ereilt die Jugendlichen der Ruf zum Militär schon zwei Jahre vor dem eigentlichen Dienstbeginn.

»Ein Fall von Kindesmissbrauch«, wie Hadzihalilovic meint, die bei der Kampagne für die rechtlichen Aspekte und die Lobbyarbeit in den Ministerien und Parlamenten zuständig ist. Schließlich wüssten mit 16 Jahren die Wenigsten, auf was sie sich mit ihrer Entscheidung einlassen. Und selbst wenn, wäre für viele wahrscheinlich schon die Länge des Ersatzdienstes Grund genug, doch lieber zum Militär zu gehen: 24 Monate dauert der Dienst ohne Waffe, die Zeit bei der bosnisch-serbischen Armee hingegen nur sechs, in der Föderation neun.

Boris Brkan beschreibt ein anderes Dilemma, in dem die potenziellen Verweigerer stecken. »Ich bin mir sicher, dass ich nicht zur Armee will, aber genauso wenig will ich stattdessen irgendwo als Mechaniker arbeiten.« So führt die Liste des Verteidigungsministeriums zwar vom Trompeter bei der Armee über Kellnerjobs in privaten Restaurants und Arbeitsangeboten als Autolackierer und Elektriker so ziemlich alle Berufe auf, die man sich vorstellen kann, nur Stellen im sozialen Bereich sucht man vergeblich.

Im krassen Gegensatz dazu steht die Aussage von Thomas Schad. »Ich habe keine Sekunde darauf verschwendet, mir Gedanken darüber zu machen, ob ich zur Bundeswehr gehen soll oder nicht«, erklärt der 22jährige, der vom Sommer 2000 bis zum Herbst letzten Jahres seinen Ersatzdienst bei Schüler Helfen Leben in Sarajevo machte und auch nach dem Ende seiner Zivi-Zeit beim Aufbau der Kampagne half. Doch so einfach wie Wehrdienstverweigerer in Westeuropa haben es ihre Kollegen in Bosnien eben immer noch nicht.