Wahlniederlage der Konservativen

Die Achse des Guten

Die Wahlhilfe von deutschen und österreichischen Konservativen hat Ungarns ehemaligem Premier Victor Orban nicht genützt.

Einen echten Helmut Kohl bekommt man heute auch schon in der ungarischen Provinz. Wenige Tage vor dem entscheidenden zweiten Durchgang der Parlamentswahlen flog der Altkanzler im westungarischen Städtchen Györ ein und bekundete dem nach dem ersten Wahlgang in die Defensive geratenen konservativen Premierminister Victor Orban seine Unterstützung. »Das Volk muss die richtige Wahl treffen, damit Victor Orban als Ministerpräsident weitermachen kann. Das wäre gut für Ungarn und gut für Europa«, erklärte Kohl vor zwei Wochen. Dabei ist Györ nicht unbedingt eine Metropole, vielmehr gilt die Stadt wegen ihrer Grenznähe als Einkaufs- und Schmuggeleldorado österreichischer Konsumenten.

»Das Volk« aber hat »die richtige Wahl« nicht getroffen. Mit einer Mehrheit von zehn Mandaten im 386 Sitze zählenden Parlament wird voraussichtlich eine Koalition aus Sozialisten (MSZP) und Liberalen (SZDSZ) künftig das Land regieren. Orbans konservatives Sammelbecken Fidesz wird sich hingegen mit der Opposition begnügen müssen. Dabei hatte der Regierungschef noch weitere ausländische Wahlkämpfer verpflichtet: Edmund Stoiber und den österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel.

Dass auch die vereinigte Rechte nichts an Orbans Wahlniederlage ändern konnte, ist für die europäischen Konservativen ein schwerer Rückschlag. Schließlich war Budapest als wichtiger Bestandteil einer konservativen Achse entlang der Donau eingeplant. Mit Stoiber und Schüssel bildete Orban ein Triumvirat gemeinsamer Interessen. Wolfgang Schüssel nannte das bemerkenswerte Gebilde unlängst eine »Zusammenarbeit des Guten«.

Die konservativen Politiker eint vor allem ein europapolitischer Gedanke revisionistischer Art. Sowohl Orban wie auch Schüssel und Stoiber drohen, den EU-Beitritt Tschechiens zu verhindern, wenn Prag die Benes-Dekrete nicht zurücknimmt. In dieser Frage »scheint es ein merkwürdiges politisches Bündnis zwischen der von der CSU geführten bayrischen Landesregierung, dem Schüssel-Kabinett in Wien und Orbans Fidesz zu geben«, meint der Budapester Politikwissenschaftler Györgyi Wiener.

Mit der Wahlniederlage Orbans aber ist die Sperrminorität gegen einen EU-Beitritt Tschechiens dahin. Dieser Umstand könnte auch den Erweiterungsprozess der Union wieder beschleunigen, der wegen des Konflikts um die Benes-Dekrete jüngst ins Stocken kam.

Denn Orban wandte sich nicht nur gegen einen EU-Beitritt Tschechiens, sondern polemisierte immer wieder auch gegen die europäische Integration des eigenen Landes. Seit 1989 führte er die Jungdemokraten der Fidesz nach rechts, und im Wahlkampf betrieb er eine politische »Blut und Boden«-Kampagne.

Nach dem Vorbild der österreichischen FPÖ wurde unter seiner Führung aus der Fidesz eine nationalliberale Partei. So warnte Orban seine Anhänger während der Wahl, dass das »Großkapital Ungarn regieren wird, wenn die Sozialisten an die Macht kommen«. Gemeint waren damit ausländische Unternehmen und Investitionen, vornehmlich aus der Europäischen Union.

Obwohl Stoiber bei seinem Besuch in Ungarn ankündigte, die Mitwirkung des Landes im Kampf gegen die Benes-Dekrete mit einer bevorzugten Behandlung Budapests bei den EU-Beitrittsverhandlungen honorieren zu wollen, war der Regierung Orbans ein anderes Ziel vielleicht wichtiger als die Annäherung an die EU, nämlich die ethno-nationalistische Politik über die Landesgrenzen hinweg.

»Ungarns Stärke liegt nicht in einem Land mit zehn Millionen Einwohnern, wie es von anderen Parteien behauptet wird, sondern in einer ungarischen Nation mit 15 Millionen Menschen«, sagte der Premier im Wahlkampf. Das »Statusgesetz« mit seinen speziellen Ausweisen für die im Ausland lebenden Ungarn, die den Mitgliedern ungarischer Bevölkerungsgruppen in den Nachbarstaaten einige Privilegien zuerkennen, war wohl die spektakulärste außenpolitische Maßnahme der abgewählten Regierung (Jungle World, 17/02).

Dem scheidenden Regierungschef Großmachtallüren zu unterstellen, wäre allerdings etwas kühn. Vielmehr versuchte er mit solchen Aktionen, die extreme Rechte des Landes zu umarmen, vor allem die antisemitische Partei Miep (Partei für Gerechtigkeit und Leben), und sich deren politische Evergreens zu Eigen zu machen. »Orbans erstes Ziel war es, die Wähler der rechtsextremen Miep zu gewinnen«, sagt der Politologe Wiener.

Dieselbe Taktik wendet Edmund Stoiber an, wenn er die »hohe Integrationskraft der CSU« betont und darauf das schlechte Abschneiden von faschistischen Parteien bei bayrischen Landtagswahlen zurückführt. Und auch Wolfgang Schüssel hat sich in der Vergangenheit wiederholt damit gebrüstet, eine Kanzlerschaft Jörg Haiders durch die Koalition mit dessen Freiheitlicher Partei verhindert zu haben.

Da nützt es auch wenig, wenn Orban hin und wieder die Vorwürfe, er stehe extrem rechts, von sich gewiesen hat: »Wir sind keine Faschisten, keine Nationalisten und keine Antisemiten. Wir Ungarn sind ein friedliches Volk und wollen nur als Ungarn in Europa leben.«

Was auch immer davon zu halten sein mag, die Annäherung an die Rechtsextremisten hat dem Premier schließlich nicht mehr geholfen. Allerdings haben eindeutige Antisemiten und Nationalisten wie Istvan Csurka, der Vorsitzende der Miep, den Sprung ins neue Parlament nicht mehr geschafft.

Dass hingegen die Sozialisten unter dem mäßig charismatischen Spitzenkandidaten Peter Medgyessy zusammen mit den Liberalen den Sieg bei diesen Wahlen errungen haben, entspricht dem Gesetz der Serie. Wie in ganz Osteuropa hat es auch in Ungarn keine einzige Regierung seit 1989 geschafft, als Sieger aus den Parlamentswahlen hervorzugehen. Alle Regierungsangehörigen mussten am Ende der Legislaturperiode ihre Ämter wieder abgeben.

Doch diesmal scheint es nicht nur die Experimentierlust der ungarischen Wähler gewesen zu sein, die zum Wechsel führte. Der Prozess der Europäisierung ist in Ungarn inzwischen so weit fortgeschritten, dass die rückwärts gewandten Parolen Orbans und seiner Gehilfen deplatziert wirkten. »Die Politik der Linken nimmt eher Fragen der Zukunft ins Visier und konzentriert sich nicht so auf die Vergangenheit«, erklärt Wiener deren Erfolg.

Für das Leben der Ungarn bedeutungslose Fragen wie die tschechischen Benes-Dekrete haben die Sozialisten und Liberalen in ihrem Wahlkampf praktisch nicht beachtet. Sie konzentrierten sich vor allem auf pragmatische Fragen der europäischen Integration und verzichteten darauf, eine privilegierte Stellung unter den Beitrittswerbern einzufordern.

Der künftige Premierminister Medgyessy hat schon angekündigt, dass Budapest einen EU-Beitritt am 1. Januar 2004 anstrebe. Ein so ehrgeiziges Ziel hätte sich unter einer Regierung Orban wohl nicht verwirklichen lassen.

Den Nerv der Wähler hat Medgyessy offenbar auch dadurch getroffen, dass er die antidemokratischen Allüren der Rechten attackierte. Orban versuchte während seiner Regierungszeit, alle wichtigen Institutionen des Landes unter seine Kontrolle zu bringen, und galt nicht unbedingt als gewissenhafter Verfechter eines funktionierenden Parlamentarismus.

Dem setzte Medgyessy ein anderes Konzept entgegen, das er so formuliert: »Wir möchten eine Regierung, die die Menschen liebt, und nicht Menschen, die die Regierung lieben müssen.«