Parlamentswahlen in den Niederlanden

Shooting Star

Der Rechtspopulist Pim Fortuyn hatte gute Chancen, die niederländischen Parlamentswahlen zu gewinnen. Am Montag wurde er erschossen.

Ein niederländischer Berlusconi muss eine charismatische Persönlicheit sein, muss Kapital besitzen und von einer Partei unterstützt werden, die sich seinen Wünschen fügt.« Diese Voraussetzungen, die Ruud Koole, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid (PvdA) formulierte, schienen erfüllt zu sein. Pim Fortuyn hieß der Mann, der mit seiner Partei Lijst Pim Fortuyn (LPF) die niederländischen Parlamentswahlen am 15. Mai gewinnen wollte.

Mehr als 20 Prozent wurden dem politischen Newcomer prognostiziert. Damit lag er knapp hinter der PvdA und vor den liberalen Parteien Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) und Democraten 66 (D'66). Die drei Parteien bildeten bis zu ihrem Rücktritt wegen eines Berichts über das Fehlverhalten der niederländischen Armee im bosnischen Srebrenica die Regierung (Jungle World, 18/02). Auch die größte Oppositionspartei, der Christen-Democratisch Appel (CDA), konnte nicht vom Fall der Regierung profitieren, sie lag bis Anfang der Woche gleichauf mit der LPF. Umfragen zufolge wurde vergangene Woche nicht mehr ausgeschlossen, dass Fortuyn, der zum ersten Mal bei einer Parlamentswahl antreten wollte, sogar die meisten Sitze hätte erhalten können.

Im Februar gründete der ehemalige Soziologieprofessor die LPF, nachdem er seine Position als Spitzenkandidat von Leefbaar Nederland (lebenswerte Niederlande) wegen fremdenfeindlicher Äußerungen aufgeben musste. Anlass war ein Interview, das er dem Volkskrant gegeben hatte. »Marokkanische Jugendliche bestehlen niemals einen Marokkaner. Wir können jedoch bestohlen werden, und ich natürlich doppelt, denn ich bin nicht nur ein Christenhund, sondern noch weniger wert als ein Ferkel. Wenn ich es juristisch durchsetzen kann, dann kommt kein Islamist mehr ins Land«, sagte er damals gegenüber der Zeitung.

Fortuyn sah sich als Beschützer der Interessen der »kleinen Leute«, den angeblichen Opfern einer sich bereichernden Elite. »Wir wollen das Land an die Menschen zurückgeben. Die Politik muss die Bürger einladen, mitzumachen.« Falls er an die Regierung komme, werde es in »vier Jahren keine Wartelisten mehr im Gesundheitswesen geben, aber dafür eine äußerst restriktive Migrationspolitik. Wenn du Flüchtling bist, bist du glücklich mit einem Zelt und Essen, aber dann fliegst du doch nicht mit dem Flugzeug in die Niederlande. Daher können Flüchtlinge nur aus Deutschland, England, Belgien, Dänemark oder Schweden kommen«, erklärte er noch im Februar.

Fortuyn gehörte zur Riege der Rechtspopulisten in Europa, die bei allen Wahlen der letzten Zeit enorme Stimmengewinne verbuchen konnten. Ihre Erfolge rühren daher, dass sich konservative wie sozialdemokratische Programme immer mehr angleichen und die Wähler sich von den etablierten Parteien distanzieren. »CDA, PvdA oder VVD, es ist alles dasselbe. Sie sind ein Teil der Elite, die aufgebrochen werden muss«, sagte Fortuyn und sprach damit aus, was viele Niederländer denken.

Harry Weterink von der Leidener Migranteninitiative De Fabel van de Illegaal sprach sich in der vergangenen Woche gegen eine Gleichsetzung der verschiedenen europäischen Rechtspopulisten aus. »Fortuyn ist zwar medienbesessen wie Silvio Berlusconi, impulsiv wie Jean Marie Le Pen, so wenig auf Parteilinie zu trimmen wie Jörg Haider und bürgerlich wie der belgische Vorsitzende des Vlaams Blok, Filip de Winter. Er spielt jedoch mit dem Selbstbild der Niederländer, die sich als gute, tolerante Nation sehen, wo das Böse immer aus dem Ausland kommt«, sagte er gegenüber Jungle World.

Fortuyn sah sich als Verteidiger der Toleranz. Damit begründete er auch, warum er vor allem keine Muslime mehr ins Land einreisen lassen mochte. »Ich hasse den Islam nicht, ich finde nur, dass er eine rückständige Kultur darstellt. In welchem Land kann ein Spitzenkandidat einer so großen Bewegung wie der meinen offen homosexuell sein? Phantastisch, dass das hier geht. Darauf darf man stolz sein, und das will ich so beibehalten.«

Diese Form des Nationalismus habe den liberalen Grundton des Landes untergraben, kritisierte der Amsterdamer Soziologe Eric van Ree. Denn nach Meinung von Fortuyn hätte man Menschen zwingen müssen, liberale Normen anzunehmen. »In Fortuyns Welt kann ein westlich gesinnter Bürger eines muslimischen Landes nicht auf die Menschenrechte pochen, weil sie nicht dem lokalen Wertekatalog entsprechen. Ein Niederländer, der nach Saudi-Arabien zieht, müsste sich zum Islam und zur Sharia bekennen.« Fortuyns Logik zufolge hätten niederländische Muslimen umgekehrt die Normen und Werte ihres Gastlandes übernehmen müssen, erklärte Van Ree.

»Professor Pim« war seit seinen überraschenden Erfolgen vom vergangenen Jahr das Gesprächsthema in den Niederlanden. Auch die Linke formierte sich, um vor dem drohenden Wahlsieg Fortuyns zu warnen. Aber eine Strategie, wie sie den Rechtspopulisten bekämpfen konnte, hatte sie nicht. Auch die etablierten Parteien, die ihn entweder ignorierten oder einfach seine Parolen kopierten, hatten kein Rezept gefunden, um den erfolgreichen Rechtspopulisten zu bremsen.

Unklar ist, wie es nach dem Tod von Fortuyn weitergeht. Seine Positionen waren so extrem, dass eine Koalition mit anderen Parteien nicht möglich erschien. Auch ein möglicher Nachfolger wird es schwer haben, die Forderungen nach dem Austritt aus dem Schengener Abkommen und aus der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Streichung des ersten Artikels der niederländischen Verfassung: »Du sollst nicht diskriminieren«, politisch durchzusetzen.

Das Programm der LPF besteht im Wesentlichen aus Zitaten aus Fortuyns Büchern, und auf keinem Parteitag wurde darüber abgestimmt. Die Listenplätze der LPF sind besetzt mit unerfahrenen Kandidaten und ultrakonservativen Politikern wie Jim Janssen van Raay und Ferry Hogendijk. Beide hatten sich nach Skandalen aus der Politik zurückziehen müssen und feiern nun ihr Comeback in einer Partei, die einen »ethischen Kreuzzug« gegen das »korrupte und dekadente System« führen will.

Am Montagabend, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe, wurde Pim Fortuyn vor der Rundfunkzentrale in Hilversum niedergeschossen und erlag kurz darauf seinen schweren Verletzungen. Ein Verdächtiger wurde verhaftet, die Hintergründe der Tat blieben zunächst unklar. Nach diesem ersten Mord an einem führendem Politiker in der jüngeren Geschichte des Landes haben mehrere niederländischen Parteien gefordert, den Wahlkampf abzusetzen. Ob die für den 15. Mai angesetzten Parlamentswahlen verschoben werden, war am Montag noch offen.