Sardinien

Forza Sardegna

Ein Kuba des Mittelmeers wollten die sardischen Nationalisten einst gründen. Daraus wird wohl nichts mehr.

Bei den italienischen Regional- und Kommunalwahlen Ende Mai wurde auch in Sardinien in 60 Gemeinden gewählt. Selbst im Dorf Lula, das lange Zeit als nahezu unregierbar galt, gaben die Bewohner zum ersten Mal seit 13 Jahren wieder ihre Stimmen ab, um einen neuen Bürgermeister zu wählen. Seit 1989 war das Dorf in der Provinz Nuorese von einem Präfekturkommissar regiert worden. Die letzte demokratisch gewählte Gemeindeverwaltung war 1992 nach zahlreichen gewaltsamen Einschüchterungsversuchen zurückgetreten. Regelmäßig waren damals kleinere Bomben vor öffentlichen Gebäuden und Privatwohnungen explodiert. Zwar gab es keine Todesopfer, doch die so genannte Partei der Bomben hatte ihr Ziel erreicht, die Aufstellung jeder neuen politischen Liste zu verhindern.

In den siebziger Jahren war das Gebiet um Lula die Hochburg der sardischen Unabhängigskeitsbewegung. Die linksorientierte Bewegung, die in Sardinien große Zustimmung fand, träumte davon, sich des italienischen »Kolonialismus« zu entledigen und eine Art Kuba des Mittelmeers zu werden.

Doch wie das Beispiel Lula zeigt, erwächst der sardische Regionalismus vor allem aus den sozialen Problemen der ländlichen Bevölkerung. »Hauptgrund für die Bombenanschläge ist die Frage nach der Nutzung der Ländereien, die im Besitz der Kommune sind. Die Bauern fordern das Land für sich und lassen dort ihre Schafe weiden. Als die Verwaltung Einspruch dagegen erhob und die Nutzung für illegal erklärte, begannen die Probleme«, sagt der linksdemokratische Kommunalpolitiker Arcangelo Puddori.

Seither ist ein regelrechter Krieg um die Ländereien ausgebrochen, denn die Schafzucht ist der wichtigste Wirtschaftszweig im Inneren der Insel. Die Dorfbewohner sind überzeugt, dass der italienische Staat Sardinien vernachlässigt. In Lula glauben die Bewohner, dass sich die Bombenanschläge nur mit einer sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung dieser Region stoppen lassen.

Die Mitte-Links-Koalition hatte vor den Kommunalwahlen versucht, ein breites Bündnis mit Bürgern aus Lula aufzustellen, um zu einer friedlichen Lösung zu gelangen. Der Versuch, eine gemeinsame Liste mit verschiedenen politischen Kräften in der Gemeinde zusammenzustellen, scheiterte jedoch.

Dann kandidierte überraschend die Kommunalpolitikerin Maddalena Calia von der Partei Forza Italia. Die einzige Kandidatin für das Bürgermeisteramt trat ohne Konkurrenz an und gewann.

Damit eroberte Forza Italia auch die letzte linksgerichtete Region Sardiniens, in der die Partei von Silvio Berlusconi bisher völlig bedeutungslos war. Im Gegensatz zu den Ergebnissen im restlichen Italien hat die regierende Rechtskoalition in der ersten Wahlrunde ihre Mehrheit in Sardinien gehalten. Die Niederlage der Mitte-Links-Koalition kam umso überraschender, als sich das Olivenbaum-Bündnis mit Rifondazione comunista und dem separatistischen Partito Sardo d'Azione verbündetet hatte.

Noch in den achtziger Jahren konnte der Partito Sardo d'Azione mit mindestens zehn Prozent der Wahlstimmen rechnen. Der sardische Regionalismus hat nun an Bedeutung verloren.

Ihre Ursprünge hatte die Unabhängigkeitsbewegung in Sardinien in den späten sechziger Jahren. Vor allem in Lula und dem Barbagia-Bergland in Zentralsardinien, wo die Bevölkerung mit Armut, schlechter Infrastruktur und hoher Abwanderung zu kämpfen hat, formierte sich der Protest gegen die Marginalisierung. Die heterogene Bewegung des so genannten Neosardismus stieß auf viel Solidarität, nicht nur auf der Insel. Sympathisanten in ganz Italien idealisierten das dörfliche Leben auf Sardinien mit seiner kollektivistischen Bodennutzung und anderen Formen der kommunalen Kooperation und Solidarität. In vielen Orten auf der Insel entstanden Kulturvereine, die die lokalen Probleme aufgriffen und eine unmittelbar von unten geschaffene Autonomie propagierten, die den lokalen Verhältnissen entsprechen sollte.

Mitte der siebziger Jahre formierte sich mit Su populu sardu eine parteiähnliche Organisation, die erstmals eine zweisprachige, italienisch-sardische Zeitschrift herausgab. Unterstützt von Intellektuellen wandte sich Su populu sardu der Arbeiterbewegung und den sardischen Emigranten zu, sie pflegte auch Beziehungen zu bretonischen und baskischen Gruppen. Das politische Programm erklärte den »antikolonialen« Kampf und die Autonomie der »sardischen Nation« innerhalb einer sozialistischen Föderation zum Ziel.

Diese kulturell-politische Bewegung war Anfang der achtziger Jahre wegen interner Konflikte weitgehend paralysiert. Was blieb, war ein in weiten Teilen der sardischen Bevölkerung verbreitetes Gefühl von »sardità«, etwa: »Sardinisch-Sein«, das beispielsweise die Forderung nach einer symbolischen wie auch praktischen Aufwertung der sardischen Sprache nach sich zog. Erst 1997 wurde das Sardische schließlich offiziell als Zweitsprache anerkannt. Das Gesetz zur »Förderung und Erschließung der Kultur und Sprache Sardiniens« ist bislang jedoch kaum umgesetzt worden. In den Schulen wird weiterhin auf Italienisch unterrichtet.

In den neunziger Jahren entstanden nach dem Vorbild der separatistischen Lega Nord neue Organisationen, unter anderem die Sardigna Nazione. Diese rechten Gruppierungen wollen eine neue nationalistische sardische Bewegung begründen, bislang jedoch erhalten sie aus der Bevölkerung nicht viel Zuspruch. Aufmerksamkeit erregen die Aktivisten gelegentlich mit Protestkundgebungen, bei denen sie Seiten aus italienischen Wörterbüchern verspeisen, um ihre Verachtung für das Festland auszudrücken.

Die sardische Landesregierung in Cagliari debattiert derzeit über die Bildung einer konstituierenden Versammlung, die einen weit reichenden Autonomiestatus für Sardinien erarbeiten soll. Doch selbst, wenn sich die rechte Regionalregierung und die Opposition einigen sollten, müsste der zukünftige Status der Insel erst von Rom bestätigt werden.

»Das Verlangen nach Autonomie ist in der Realität fast vollständig aus den Herzen der Sarden verschwunden«, sagt Giorgio Melis von der Tageszeitung La nuova sardegna. Denn die Regionalverwaltung habe in den letzten zehn Jahren jede Glaubwürdigkeit verspielt. Sie sei versunken in zentralistischer Ineffizienz und Bürokratie, so Melis. Inzwischen verachten die Sarden die Regierung in Cagliari ebenso wie einst die Regierung in Rom.