Evo Morales, Präsidentschaftskandidat in Bolivien

»Es war ein bewusstes Votum«

In Bolivien sprechen alle über den »Faktor Evo«. Es geht um Juan Evo Morales Aima, den Kokapflanzer und Präsidentschaftskandidaten des linken Movimiento al Socialismo (MAS), der in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 30. Juni überraschend mit mehr als 20 Prozent der Stimmen auf dem zweiten Platz landete (Jungle World, 29/02). Am 25. Juli kündigten die Präsidentschaftskandidaten des Movimiento Nacionalista Revolucionario (MNR), Gonzalo Sánchez de Lozada, und des Movimiento de Izquierda Revolucionaria (MIR), Jaime Paz Zamora, die Bildung einer Koalition der »Nationalen Einheit« an. Sánchez de Lozada gewann den ersten Wahlgang mit 22,5 Prozent, Zamora kam mit gut 16 Prozent auf Platz vier. Da keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielt, wurde Lozada am Samstag vom Nationalkongress mit 84 von 157 Stimmen zum neuen Präsidenten gewählt.

Wie bewerten Sie die aktuellen politischen Entwicklungen in Bolivien?

Der MAS bleibt weiter aktiv. Wie am 30. Juni dem Neoliberalismus, dem nordamerikanischen Imperialismus, der Oligarchie Schach geboten wurde, so werden wir das Modell schnell Schachmatt setzen.

Was betrachten Sie als die hauptsächlichen Erfolge Ihrer Kandidatur?

Die Stärkung der Volksbewegung, insbesondere der ursprünglichen Einwohner Boliviens. Es ist der Beginn einer neuen Etappe des Kampfes. Ab 6. August wird die zweite Geschichte Boliviens anfangen, aber eine zweite Geschichte, in der die Quechuas, Aymarás, Guaraníes zusammen mit den anständigen Bolivianern anfangen werden, die Macht und das Land zurückzugewinnnen.

War das am 30. Juni eine Protestwahl, oder gibt es auch eine politisch bewusstere Intention?

Eine Mischung aus beidem, obwohl es im Grunde ein bewusstes Votum für die Würde, die Ehrlichkeit und für die Freiheit ist. Denn wir alle haben das Recht auf Freiheit, auf den Kampf für unsere Selbstbestimmung. Hier gibt es die Unterwerfung nicht nur der Bevölkerung, der Zivilgesellschaft, unter die politische Klasse, sondern auch der politischen Klasse unter die Vereinigten Staaten. Und die Ergebnisse vom 30. Juni sind ein bewusstes Votum, dass wir entschlossen sind, dieser Art der Diskriminierung, der Unterwerfung, der Erniedrigung, der Aggression und der Plünderung unserer natürlichen Ressourcen entgegenzutreten.

Existiert bereits eine Präsidentschaftskampagne für das Jahr 2007? Man kann sich eine Polarisierung vorstellen zwischen Evo Morales und den sozialen Bewegungen einerseits und dem scheidenden Amtsträger Jorge Quiroga und den traditionellen Parteien andererseits.

Wir sammeln noch keine Stimmen aus der Bevölkerung, sondern die Hilfe einiger Parlamentarier aus den Parteien, die in der Allianz sind, wie der MNR und die ADN (des bisherigen Präsidenten Jorge Quirogas Acción Democrática Nacionalista, d. Red.). Denn die Bevölkerung unterstützt keineswegs, dass Gonzalo Sánchez de Lozada neuerlich an die Regierung zurückkehrt, unter einer Allianz der politischen Mafia und der Patronage der Botschaft der Vereinigten Staaten. Diese Allianz des Drogenhandels will die indigenen Völker mit dem neuen Nationalkongress demütigen.

Deshalb bleiben wir aktiv, damit sich die Parteien oder die Kongressabgeordneten, die aus den sozialen Kämpfen kommen und in diesen Parteien sind, sich dem MAS anschließen. In diesem Rahmen haben wir bis jetzt noch nicht an eine Kampagne für 2007 gedacht. Außerdem, wer weiß, was 2007 sein wird? Wenn Sánchez de Lozada Präsident wird und erlaubt, dass das Erdgas nach Chile exportiert wird und vor allem nicht für die Bolivianer gewonnen wird, gebe ich dieser Regierung keine zwei Monate.

Einige halten Ihre Ankündigung, der MAS werde »Opposition im Parlament und auf den Straßen« sein, für unverantwortlich, weil im Rechtsstaat die Differenzen in der Legislative ausgetragen werden sollen. Was denken Sie darüber?

Zunächst sind in der politischen Verfassung des bolivianischen Staates soziale Proteste anerkannt. Wenn unsere Gesetzesvorschläge angenommen werden, werden wir die sozialen Konflikte mit Sicherheit friedlich im Parlament lösen.

Was stört Sie mehr? Dass das Erdgas über einen chilenischen Hafen exportiert werden könnte, oder dass die transnationalen Konzerne die größten Gewinner dieses Geschäftes wären?

Bei diesen beiden Dingen will ich sehr ehrlich und verantwortlich sein. Ich bedaure sehr, dass einige Journalisten uns als »antichilenisch« bezeichnen, auch ohne unsere Position zu kennen. Die Verfügung über das Gas muss in die Hände der Bolivianer zurückkehren, und es darf nicht möglich sein, dass die Transnationalen unsere natürlichen Ressourcen ausplündern.

Andererseits bedaure ich sehr, dass wir bis jetzt das Problem des Zugangs zum Meer nicht gelöst haben. Es gibt ein weit verbreitetes Gefühl in Bolivien, dass das Gas nicht über Chile ausgeführt werden soll, weil wir historische Probleme miteinander haben. Außerdem bedaure ich sehr, dass einige Politiker, sei es Jorge Quiroda oder Gonzalo Sánchez de Lozada, aus Gründen der Provision, des Schmiergelds, mit Chile verhandeln. Hier wird öffentlich darüber geredet, dass derjenige, der bestimmt, dass das Gas über Chile ausgeführt wird, 300 Millionen Dollar erhält.

Welche Vorgehensweise betrachten Sie als angemessen, um die Frage eines Pazifikhafens zu lösen?

Wenn die Verfügung über das Gas in den Händen der Bolivianer bleibt, sollten wir ein großes nationales Referendum machen, um zu bestimmen, auf welchem Weg es exportiert wird. Ich würde folgendes sagen: Wenn der chilenische Staat wieder einen Zugang zum Meer eröffnet, im Einvernehmen mit der bolivianischen Bevölkerung, gäbe es vielleicht irgendeinen Weg, dass das Gas über Chile exportiert wird. Davor halte ich das nicht für möglich. Wenn irgendeine Regierung sich erdreistet (für einen chilenischen Hafen einzutreten, d. Red.), wird es viele innere Probleme in Bolivien geben.

Warum gehen Sie nicht davon aus, dass Verhandlungen eine Lösung der schwebenden bilateralen Probleme näher bringen?

Zunächst muss man das diplomatische Problem lösen. Dann kann man über andere Themen sprechen. Ich weiß, dass Peru Bolivien bald gratis einen souveränen Zugang zum Meer anbieten wird. Auch wenn es sich nicht um unser Territorium handelt, hatten wir doch nie Probleme mit Peru, wenn es um einen Zugang zum Meer ging.

Wie sieht die Zukunft des Anbaus von Kokablättern aus?

Dabei handelt es sich um eine erneuerbare, natürliche Ressource, ein Agrarprodukt, einen wesentlichen Teil der Quechua- und Aymará-Kultur. Spricht man von »Zero Koka«, spricht man von einer Apokalypse für die Anden. Das Kokablatt ist das beste Nahrungsmittel der Welt, was wissenschaftlich bewiesen ist. Die Weltgesundheitsorganisation erkennt in ihrer jüngsten Untersuchung an, dass das Kokablatt der menschlichen Gesundheit nicht schadet. Anstatt es auszurotten, sollte man es industriell herstellen, zu wohltätigen Zwecken für die Menschheit.

Sie lehnen die Anwesenheit von Agenten der US-Drogenpolizei DEA in Bolivien ab. Könnten Sie 2007 unter dem Druck der USA überhaupt regieren?

Wir haben nie gesagt, dass wir die Beziehungen mit den USA abbrechen werden, wir wollen lediglich Beziehungen auf der Grundlage gegenseitigen Respekts. Als ich meinen Wehrdienst ableistete, brachten sie mir grundsätzlich bei, nicht zu erlauben, dass ausländische Uniformierte im Land operieren. Und bedauerlicherweise sind die Angehörigen der DEA der Vereinigten Staaten uniformiert und bewaffnet, vor allem führen sie Einsätze unserer Streitkräfte und der Nationalen Polizei. Das ist eine Verletzung der Souveränität. Wenn wir den Streitkräften und der Nationalen Polizei unseres Landes die Frage der Würde stellen, gewinnen wir Stimmen in einigen Kasernen.