Interview mit Feridun Zaimoglu über »German Amok« auf den deutschen Kulturbetrieb

Niemand wird geschont

Feridun Zaimoglu hat das Krass-Sprech-Milieu der Kanaksters verlassen und zielt mit »German Amok« auf den deutschen Kulturbetrieb

Ihre Bücher wurden bisher unter »Minderheitenproblematik« eingeordnet. Beim neuen Roman »German Amok« dürfte das nicht mehr der Fall sein, kratzen Sie doch damit am Sittenbild der deutschen Überflussgesellschaft.

Bisher war ich der Fetischautor, der seine Hinrichtungsprosa am äußersten Ende der deutschen Literatur verfasste. Am anderen Ende saßen die von mir heftig bekriegten Fräuleinwunder und Pop-Schnösel. Diese Nichtigkeitsbarden, die sich ausschließlich über Geläufigkeiten auslassen. Nun habe ich die Ethno-Nische ein für allemal verlassen. Ich habe dazu nichts mehr zu sagen. »German Amok« ist kapitalistischer Realismus. Im Mittelpunkt der aller Konventionen und des eigenen Willens beraubte Untertan. Ein Mensch, der ohne Wunsch nach Selbstverwirklichung mit dem zynischen Ton unserer Generation durch Lack und Firnis hindurchschaut. Es ist ja nicht falsch, was der Ich-Erzähler da an Derbheiten und Obszönitäten sagt. Es ist bloß pfui, wie er es ausspricht. Selbstverständlich werde ich mich nicht hinter der Kunstfigur verschanzen und behaupten wollen, dass da keine autobiografischen Momente eingeflossen sind. Als Nischenlurch und Kulturkiller habe ich mich ja schon immer durch die Kieze, Szenen und Viertel gepflügt. Und dabei ein Fazit gezogen: Uns ist die Gewissheit abhanden gekommen, dass die Kultur das Schöne und Edle vermittelt. Einen Scheißdreck tut sie!

Mit Ihren Büchern »Kanak Sprak«, »Abschaum« und »Koppstoff« wurden Sie zum Sprecher der Deutschtürken der zweiten Generation. Mittlerweile bewegen Sie sich aber selbst in der etablierten Kunstszene, die Sie mit »German Amok« blindwütig bekämpfen. Hat Ihre Wut auf die Reichen, die Angepassten und die Schmarotzer, die auf Kosten anderer leben, überhaupt eine Berechtigung?

Ich bin einwandfrei der Unterschicht zuzuschlagen. Der erste klare Gedanke in meinem Leben war: Nichts wie weg von diesen Barackenverhältnissen! Wie also kann meine Wut gegenüber der Niedlichkeitsshow und den heftigen Sozialschlachten jemals versiegen? Deshalb dulde ich keinen Filter zwischen mir und dem Ich-Erzähler! Nicht das Ethnische, sondern diese Wut ist das einzig Authentische an mir. Sie macht mich sogar froh. Wenn man die Illusionen einmal weggeknallt hat und den Glauben fahren lässt, fängt die Lust erst richtig an. Mit dieser Lust operiere ich in »German Amok«. Die Bosheit des Ich-Erzählers ist ja beträchtlich, er verschont absolut niemanden. Diese Wut ist auch sein Motor - bis zu einem gewissen Punkt. Deshalb habe ich auch das negative »Romeo und Julia«-Motiv aufgenommen. Mit der Liebe des Ich-Erzählers zu einer psychisch kranken Frau fängt eine besondere Form von Dekadenz an. Diese Dekadenz gehört zu unserer Kultur: die Lust, in viele Rollen zu schlüpfen, Menschen zu missbrauchen, in den Dingen und in den Ideen Gebrauchsartikel zu sehen. Diese Lust wird uns niemals abhanden kommen.

»German Amok« ist ein Rundumschlag gegen alles, was aus der Sicht des misanthropischen Anarchos hassenswert ist: selbstgefällige Kunstbohemiens, degenerierte Mittelschichtler, überkandidelte Theatermacher.

Niemand bleibt verschont. Der Ich-Erzähler richtet seinen persönlichen Höllenkreis ein in irgendeinem öden Kaff in Ostdeutschland; das tut er im Danteschen Sinne. Man darf an all diesen erbarmungswürdigen Figuren nicht vorbeigehen. Dennoch handelt es sich nicht um eine moralische Geschichte. Ich habe auch keine Lust mehr, gescheite Sprüche zu liefern. Deshalb will ich mich nicht hinter der Figur verschanzen. Lieber will ich persönliche Attacken kassieren, als den Streber zu markieren. Schluss mit dem Scheiß!

Bei den Lesungen von »Kanak Sprak« haben sich noch viele Zuhörer in den Figuren wieder erkannt. Das dürfte bei »German Amok« sicher nicht mehr passieren.

Jetzt erlebe ich Menschen, die plötzlich aufspringen und in geducktem Galopp den Ausgang suchen. Oder sie schweigen betreten. Andere sprechen von Pornografie, von Kränkungen, von faschistoiden Inhalten. Das Buch ist ja überhaupt nicht politisch korrekt. Die jungen Leute bleiben aber sitzen, die können diese ganze Aufregung nicht verstehen. Die wollen mit mir lieber über diesen morbiden Ästhetizismus diskutieren.

Halten Sie es wie der französische Schriftsteller Michel Houellebecq, der sich in seinem Land mit Gott und der Welt auf Kriegsfuß befindet?

Ich liebe diesen Autor. Aber ich habe keine Lust, den verbrauchten Konsumenten oder den mürben Angestellten im Drama seiner Verunsicherung zu zeigen. Ich verspüre auch keine Lust, den Kleinbürger auf dem Weg in den Swingerclub zu beschreiben. Ich finde eine andere Erfahrung viel entscheidender, nämlich selber als Sexsklave auf Kreta oder an der Ägäis auf europäische Frauen zu warten und als Mietrüde in Anspruch genommen zu werden. Darüber werde ich demnächst einmal schreiben.

Welche Reaktionen wollen Sie provozieren?

Ich habe das Buch nicht auf Schock und Provokation angelegt. »German Amok« ist ein Sittenbild: Man spürt ein Unbehagen im falschen Leben. Dennoch ist dieses Gefühl lustvoll. Es ist der deutsche Herbst, die Ahnung einer Kraft, die einen übersteigt. Diese sehr leise, sich ins Monströse steigernde Verzweiflung beschreibt ein deutsches Gefühlsmoment: eine große Lust am herbeigesehnten Untergang, vor dem man sich gleichzeitig fürchtet. Wenn ich eins erahnt habe als Türke in Deutschland, dann ist es dieses Gefühl der Ohnmacht und der Übermacht. Hier muss ich bleiben!

In »Kanak Sprak« hieß es, »die Beschmutzten kennen keine Ästhetik«. Nun gibt es in »German Amok« reichlich rüden Sex, Blut und andere Derbheiten. Ist das die einzig wirkungsvolle Sprache der Beschmutzten, Ausgegrenzten und Schikanierten unserer Gesellschaft?

In meinen Romanen kommt Dreck immer vor. Diese Verschmutzung ist aber nicht nur ein Effekt aus meinem tatsächlichen Leben. Mein Buch besteht praktisch aus protokollierten und literarisch ziselierten Zeugenaussagen. In »German Amok« will ich all diesen Dreck abstreifen. Die Lauge des Hasses reinigt das Herz, durch radikale Negation wird man klüger. Und man gewinnt an Auftritts-Charme. Wichtiger noch aber ist die Tatsache, dass die Deklassierten immer mehr abschmieren, als überflüssig bezeichnet werden. Mensch und Müll kommen sich immer näher, und in manchen Grauzonen sind sie nicht mehr unterscheidbar. Die Sauberen in Politik und Gesellschaft haben dafür gekämpft, dass es besser wird - sprich sauberer. Unsereins hat aber wenig am Hut mit dem Reinheitsgebot. Das Unbehagen wird ja nicht einfach weggeduscht.

Wird es mal eine Gesellschaft geben, in der nicht mehr zwischen Deutschen und so genannten Kanaken unterschieden wird?

Anfangs wollten uns die Politiker erzählen, dass unsere Gesellschaft nach ein oder zwei Dekaden zu einer besseren wird. Dabei machte man keinen Hehl daraus, dass Migration für beide Seiten eine ungeheure Belästigung ist. Ich aber sage, 50 Jahre sind nur ein Katzensprung innerhalb der Migrationsgeschichte. Dabei gehöre ich noch zu den Kulturoptimisten, denn es hat sich ja schon viel getan. Dennoch werden die Versager innerhalb des Ethno-Proletariats noch immer disqualifiziert. Deshalb kann man von denen auch nicht erwarten, dass sie für die Integration sind. Wenn sie aber beschäftigt wären, würden sie das machen. Es handelt sich also nicht um kulturelle, sondern um soziale Schlachten.

Feridun Zaimoglu: German Amok. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2002, 240 S., 18,90 Euro