Die Beziehung zwischen den USA und China

Harmonischer Abschied

Unerwartet musste der chinesische Präsident Jiang Zemin bei seinem Besuch in den USA über brisante politische Themen diskutieren. Doch derzeit sind die gemeinsamen Interessen größer als die strategische Konkurrenz.

Eigentlich hätte es ein stilvoller Abschied seiner Karriere als Politiker werden sollen. Für den chinesischen Präsidenten Jiang Zemin war das informelle, aber sehr symbolische Treffen mit George W. Bush auf dessen texanischer Ranch am Freitag der vergangenen Woche ein Teil der lange vorbereiteten Abschiedstournee. Beim anschließenden Treffen der Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) in Mexiko hätte er sich als einer der Architekten der Handelsorganisation feiern lassen können und wäre mit diesem außenpolitischen Sieg nach China zurückgereist, wo am 8. November der 16. Parteitag der KP beginnt .

Die maßgeblich auf Jiang zurückzuführende Verschiebung des eigentlich für Anfang Oktober geplanten Parteitages (Jungle World, 39/02) erscheint somit als geschicktes Manöver des innenpolitisch umstrittenen Präsidenten, das ihm einen glanzvollen Rückzug aus der aktiven Politik verschafft. Der Bürokrat mit einem Hang zur Selbstdarstellung will, wenn schon nicht als innenpolitischer Wunderheiler, so doch als kluger Außenpolitiker gelten. Die US-amerikanische Irakpolitik und das überraschende Geständnis Nordkoreas, sein Atomwaffenprogramm weiter zu betreiben, könnten allerdings Jiang an seinem Vorhaben hindern, in die Geschichte einzugehen.

Seit der Kollision eines chinesischen Jets mit einem US-amerikanischen Spionageflugzeug im April des Jahres 2001 über chinesischem Hoheitsgebiet waren beide Staaten sichtlich bemüht, die kurzfristig stark angespannten Beziehungen wieder zu normalisieren. Zwei Faktoren erwiesen sich dabei als hilfreich: die ständig wachsende ökonomische Verflechtung beider Länder und die Ereignisse des 11. September.

Auch wenn die VR China der auf die Stärkung ihrer weltweiten Dominanz ausgerichteten US-Politik skeptisch gegenübersteht, war der von den USA proklamierte »War on Terrorism« für die chinesische Führung ein Anlass, auf das eigene Terrorismusproblem im Nordwesten des Landes hinzuweisen. »Sowohl China als auch die USA sind Opfer des Terrorismus«, erklärte Jiang. Das war eine Aufforderung an die US-Regierung, das chinesische Vorgehen gegen separatistische Bewegungen im muslimischen Teil des Landes nicht zu kritisieren. Ähnlich wie zuvor in Tschetschenien, wurden nach dem 11. September aus im Westen häufig als »Freiheitskämpfer« deklarierten Guerillas islamische Terroristen. Die USA wollten sich der chinesischen Unterstützung ihrer Afghanistanpolitik sicher sein und profitieren außerdem von chinesischen Geheimdienstinformationen über das Netzwerk al-Qaida.

Ein Angriff der USA auf den Irak mit dem erklärten Ziel eines Regimewechsels hätte für die chinesische Führung jedoch eine äußerst beunruhigende Qualität. Hier ist es weniger die Gefährdung geostrategischer Interessen als vielmehr die Tatsache, dass sich die USA mit militärischen Mitteln offen in die innenpolitische Entwicklung eines Staates einmischen wollen, die den Chinesen missfällt.

Die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates ist eines der letzten Dogmen der chinesischen Außenpolitik. Gerade im Zusammenhang mit der Taiwan-Frage hatte die VR China beständig darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um ein innenpolitisches Problem handle und sich jegliche Einmischung, vor allen der USA, verbeten. Auch wenn die USA am Freitag der vergangenen Woche im UN-Sicherheitsrat einen neuen, leicht entschärften Resolutionsentwurf zum Irak vorlegten, ist unwahrscheinlich, dass die VR China zu den augenblicklichen Konditionen nachgibt.

Die Nachricht, dass Nordkorea sein Atomwaffenprogramm entgegen den Bestimmungen eines 1994 mit den USA abgeschlossenen Vertrages weiter betreibt, gibt der chinesischen Haltung zum Irak zusätzliche Brisanz. Die Duldung eines Angriffs der USA auf den Irak könnte einen Präzedenzfall für den Umgang mit Nordkorea darstellen. Also verwies das chinesische Außenministerium Mitte der letzten Woche auch eilends darauf, dass die Probleme mit Nordkorea nur durch Dialoge und Verhandlungen zu lösen seien.

Nichts käme den Chinesen weniger gelegen als eine verstärkte Präsenz der USA direkt vor der eigenen Haustür. Zumal vor allem in chinesischen Militärkreisen unangenehme Erinnerungen aufkommen könnten. Schon einmal standen sich chinesische und amerikanische Truppen auf der koreanischen Halbinsel gegenüber - als Feinde im Koreakrieg zu Beginn der fünfziger Jahre.

Der VR China muss sowohl an einer diplomatischen Lösung der Nordkoreafrage gelegen sein, als auch daran, hierbei eine maßgebliche Rolle zu spielen. Sie gilt international als einziges Land, das einen gewissen Einfluss auf die Politik Nordkoreas hat. China ist der wichtigste Lebensmittel- und Energielieferant und spielte schon 1994 in der letzten Nordkorea-Krise eine wichtige Vermittlerrolle.

Dennoch war in der letzten Woche wenig Engagement von chinesischer Seite zu sehen, ein weiterer Hinweis darauf, dass vor dem Parteitag nicht nur Unklarheit über die Innenpolitik, sondern auch über die künftigen außenpolitischen Positionen Chinas herrscht. Mit jedwedem Entgegenkommen der VR China in der Nordkorea-Frage würde Jiang Zemin innenpolitische Probleme bekommen. Dasselbe gilt für eventuelle Sanktionen Chinas gegen das Nachbarland.

Neben einer eng abgestimmten Vorgehensweise gegenüber Nordkorea wünscht die chinesische Regierung die Aussetzung der unter Bush verstärkten Waffenlieferungen an Taiwan sowie die Aufhebung des vor 13 Jahren verhängten Exportverbots rüstungsrelevanter Technologie. Die Regierung der USA erwartet derzeit vor allem die chinesische Duldung einer Intervention im Irak. Aber Jiang kann sich Zugeständnisse in der Irak-Frage ebenso wenig leisten, wie Bush die Taiwan- und Rüstungslobby in den USA vor den Kopf stoßen kann.

So konnte die Harmonie beim Treffen beider Staatsmänner nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich mit der chinesischen und der US-amerikanischen Position grundlegend verschiedene geo- und innenpolitische Interessen gegenüberstehen. Jiang zitierte Konfuzius, der gesagt habe, ein Gentleman suche »Harmonie, aber nicht Uniformität«; beide Staaten sollten ihre »Unterschiede bewahren, ohne in Konflikt zu kommen«.

Doch die VR China zeigt sowohl in der Irak- als auch in der Nordkoreafrage erstaunlich wenig Profil. Die Außenpolitik Jiangs steckt in einem Dilemma, denn das Streben nach Harmonie mit den USA kollidiert mit den ehrgeizigen Ambitionen, künftig eine größere Rolle in der internationalen Politik zu spielen.

In der augenblicklichen Situation scheint sich Jiang fürs Aussitzen entschieden zu haben. Um aber den bevorstehenden Parteitag als strahlender Sieger zu verlassen, und erst recht, um China auf dem Weg zur Supermacht des 21. Jahrhunderts voranzubringen, wird das zu wenig sein.