Bündnis gegen die Regierung

Sicher unsozial

In Frankreich bildet sich ein neues Bündnis aus sozialen Bewegungen und Bürgerrechtsgruppen gegen die konservative Regierung. von

Es war ein ungewöhnliches Bündnis, das sich in der vergangenen Woche in Paris an die Öffentlichkeit wendete. Die progressive Anwältegewerkschaft SAF und die traditionsreiche Liga für Menschenrechte protestierten gemeinsam mit den linksalternativen Basisgewerkschaften der SUD, der Bauerngewerkschaft José Bovés, alternativen Internetgruppen, der CGT und der Antirassismusbewegung MRAP.

Ihr Protest richtet sich gegen die geplante Strafrechtsreform des französischen Innenministers Nicolas Sarkozy, die eine drastische Verschärfung der Strafen für zahlreichen Delikte vorsieht. Der Entwurf, den die Demonstranten als eine »Kriegserklärung an die Armen« bezeichneten, wurde am Mittwoch der vergangenen Woche vom Kabinett verabschiedet und soll bis zum Jahresende vom Parlament angenommen werden.

In einem Anfang der letzten Woche von 34 Gruppen und Organisationen veröffentlichten Aufruf heißt es ferner, das Gesetzesvorhaben »könnte zu einem autoritären Staat führen und all jene unterdrücken, die das Pech haben, an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden«. Tatsächlich richten sich die geplanten Verschärfungen in besonderem Maße gegen gesellschaftlich marginalisierte Gruppen wie etwa Sinti und Roma, ausländische Prostitutierte oder Obdachlose. (Jungle World, 43/02)

Selbst die etablierten Linksparteien und die Sozialdemokraten unterstützten den Aufruf, allerdings erst nach heftigen internen Debatten. Der ehemalige sozialistische Innenminister Daniel Vaillant erklärte zuvor noch, dass er beim jetzigen Amtsinhaber vor allem »Kontinuität« zu seinem eigenen Handeln sehe. Außerdem unterzeichneten auch die KP, die Grünen sowie die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) den Text.

Zum Auftakt der Demonstration versammelte sich auf dem Pariser Platz der Republik vor allem die autonome und anarchistische Szene unter dem Motto: »Hören wir auf, Angst zu haben!« Zwischen den Technosound-Wagen fanden sich aber auch afrikanische Familien ein, die gemeinsam mit der kämpferischen Wohnrauminitiative DAL (Droit au logement) auf die Straße gingen. Innenminister Sarkozy hatte erst in der vergangenen Woche nach heftigen Protesten einen Passus aus seinem Entwurf gestrichen, der für Hausbesetzungen Haftstrafen bis sechs Monate vorsah.

Zur gleichen Zeit trafen sich etwa 4 000 junge Linke, Juristen und Migranten in der Konzerthalle Le Zénith, um gegen die so genannte double peine zu protestieren. Nach dem französischen Strafgesetz werden Einwanderer doppelt bestraft, da sie nach der Haft sofort abgeschoben werden können. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen die Gleichheit vor dem Gesetz, wie viele Kritiker meinen.

Die Veranstaltungen vom vergangenen Wochenende könnten den Auftakt für eine neue Oppositionsbewegung gegen die konservative Regierung bilden. Denn bislang war die von den bürgerlichen Parteien befürchtete Mobilisierung gegen ihre Politik weitgehend ausgeblieben. Auch die Konservativen haben ihre Lektion aus dem Scheitern der Regierung Alain Juppés gelernt, die 1997 nach heftigen sozialen Protesten zurücktrat.

Diesmal will die Regierung von Premierminister Jean-Pierre Raffarin, in der faktisch der Innenminister Sarkozy den Ton angibt, den Fehler nicht wiederholen, ihre Amtszeit mit besonders unpopulären Maßnahmen zu beginnen und eine umfassende wirtschafts- und sozialpolitische Reform einzuleiten.

Stattdessen bemüht sie sich vor allem um die Innen- und Sicherheitspolitik. Sie ist sich gewiss, dass vor allem die zunehmende Gewalt in den Banlieues dafür sorgt, dass diese Maßnahmen in der Bevölkerung durchaus populär sind.

Doch das bedeutet noch lange nicht, dass es keine Veränderungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt. So schränkte die konservative Regierung die Anwendung der in den letzten fünf Jahren schrittweise eingeführten 35-Stundenwoche deutlich ein. Sie erließ ein Dekret, das die jährlichen Kontingente von derzeit 130 auf 180 Überstunden anhebt. Zudem wird der Überstundenzuschlag, den die Beschäftigten erhalten, für kleinere Betriebe herabgesetzt.

Aber diese Maßnahme trifft nur einen Teil der abhängig Beschäftigten. Die Reform der ehemaligen Regierung Lionel Jospins zur Einführung der 35-Stundenwoche trug bereits zu einer Demontage des Arbeitsrechts bei, da sie Einzelabkommen für jeden Betrieb vorsah. Die konservativen Vorhaben verstärken diese Entwicklung lediglich. Sie betreffen im Grunde nur jene Beschäftigten in kleinen und mittelständischen Unternehmen, die bislang von der Arbeitszeitverkürzung ausgenommen blieben.

Eine weitere Initiative betrifft die staatlich subventionierten Stellen für Jugendliche. Die sozialdemokratische Vorgängerregierung führte 1997 die so genannten emplois jeunes ein, subventionierte Stellen für rund 300 000 Jugendliche im öffentlichen Dienst, aber auch bei gemeinnützigen Initiativen und Vereinigungen. Diese Maßnahme war damals zwar kritisiert worden, weil sie befristete Verträge und eine oft schlechte Bezahlung nach sich zog. Immerhin wurden aber auch zahlreiche neue Jobs etwa im Umweltbereich geschaffen.

Die konservative Regierung hat diese Programme bereits im Frühsommer gestrichen, die Finanzierung der emplois jeunes läuft in den kommenden Monaten aus. Stattdessen will sie nun speziell für Jugendliche neue Jobs in der Privatwirtschaft, vor allem in der Industrie, auf ähnliche Weise finanziell unterstützen. Schon jetzt ist abzusehen, dass von dieser Initiative vor allem die Unternehmer profitieren werden. Sie könnten die Subventionen einstreichen und die Jugendlichen zum staatlich festgelegten Mindestlohn einstellen.

Die großen Gewerkschaften haben bislang wenig auf die sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung reagiert. Dass die Opposition nun gegen den »Krieg gegen die Armen« protestiert, sorgt aber dafür, dass die sozialen Implikationen der Regierungspolitik aufgedeckt und die beiden Themen - die Verteidigung bürgerlicher Freiheitsrechte und soziale Belange - miteinander verbunden werden.

Auch in anderen Landesteilen zeigt sich langsam der Unmut über die Regierung. So wurde Premierminister Raffarin am Freitag der vergangenen Woche bei seiner Ankunft in Marseille von einer Demonstration empfangen, an der etwa 10 000 Linke und Gewerkschafter teilnahmen.