Vor dem Europäischen Sozialforum

Die dunkle Bedrohung

Während die italienische Regierung vor Ausschreitungen auf dem ersten Europäischen Sozialforum in Florenz warnt, fürchten die Teilnehmer die Übergriffe der Staatsgewalt.

Wo immer sich Globalisierungskritiker in Europa zusammenfinden, beschwören die Medien und Sicherheitspolitiker ein Gewaltszenario herauf und erinnern an die brutalen Ereignisse, die sich im Juli des vergangenen Jahres während des G 8-Gipfels in Genua abspielten. Die Vorberichte über das erste europäische Sozialforum, das vom Mittwoch bis zum Sonntag dieser Woche in Florenz stattfindet, bildeten da keine Ausnahmen.

»Wir garantieren die öffentliche Ordnung, aber ich kann nicht sagen, zu welchem Preis«, drohte der italienische Innenminister Giuseppe Pisanu (Forza Italia) bereits Ende Oktober. Gerüchte über geplante Aktionen »extremistischer Gruppen« gegen US-Basen und Abschiebegefängnisse wurden laut, von »unvermeidlichen Zerstörungen« war die Rede. So sorgte sich der Fraktionsvorsitzende der postfaschistischen Alleanza Nazionale, Ignazio La Russa, dass die Globalisierungsgegner Attentate auf Kunstwerke verüben könnten. Sogar die Verlegung der Konferenz in eine andere Stadt wurde zeitweilig erwogen.

Auch der unvermeidliche blocco nero, der Schwarze Block, tauchte in dem düsteren Szenario wieder auf. Es bestehe die »konkrete Gefahr«, dass sich Militante und »einzelne anarchistische Aufrührer« aus ganz Europa unter die Menge mischen, erklärte Pisanu. Mit keinem Wort erwähnte er die zahlreichen Indizien, die mittlerweile eine Beteiligung der Polizei und der Geheimdienste an den Ausschreitungen im vergangenen Jahr belegen.

Von Propaganda und Panikmache der Regierung spricht daher Luca Casarini von der Bewegung der Ungehorsamen. Die Furcht vor Zerstörungen sei »völlig unverständlich und unlogisch«. Vielmehr entstehe der Eindruck, als plane die Regierung selbst gewalttätige Aktionen.

Dennoch lässt die Regierung nichts unversucht, das Forum zu diskreditieren. Das Schengener Abkommen wurde zwar nicht außer Kraft gesetzt, es wurden jedoch für die betreffenden Tage Grenzkontrollen angeordnet, um »als gefährlich eingestufte Demonstranten an der Einreise zu hindern«.

Wer trotzdem unbelligt nach Florenz gelangt, kann dort unter dem Motto »Ein anderes Europa ist möglich« fünf Tage lang diskutieren. In insgesamt 18 Konferenzen, 150 Seminaren und unzähligen Workshops wollen 50 000 Mitglieder unterschiedlichster Organisationen und Gruppen aus ganz Europa zusammenkommen, um sich mit der Globalisierung und dem Neoliberalismus, den Menschenrechten und der Migration zu beschäftigen.

Eines der zentralen Themen ist dabei auch der mögliche Krieg gegen den Irak, gegen den sich die Großdemonstation, die für den kommenden Samstag geplant ist, wendet und zu der 300 000 Teilnehmer erwartet werden.

Das Europäische Sozialforum findet zum ersten Mal statt. Nach der Teilnahme von über 60 000 Menschen am diesjährigen zweiten Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre »hat die Bewegung beschlossen, sich künftig auch auf regionalen Sozialforen zusammenzufinden und damit noch mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, sich einzubringen«, ist in einem Aufruf der Globalisierungskritiker von attac zu lesen.

Wer als Gruppe oder als Delegierter am Forum teilnehmen will, muss die Prinzipiencharta des Weltsozialforums akzeptieren. Darin heißt es zwar, dass eine »andere Welt möglich« sei, gleichzeitig pocht man auf das »Selbstbestimmungsrecht der Völker«. Respekt für die Rechte der Bürger »aller Nationen« wird darin ebenso gefordert wie eine »Vielfalt der Geschlechter, der Ethnien, der Kulturen«.

Das breite Spektrum der Aufrufenden macht deutlich, dass es vielen der sich als zivilgesellschaftlich oder emanzipatorisch verstehenden Initiativen keine Schwierigkeiten bereitet, sich hinter solche Losungen zu stellen. Dazu gehören kirchennahe Organisationen und Gewerkschaften, trotzkistische und kommunistische Parteien aus zahlreichen Ländern und natürlich auch attac. Hinzu kommen Dutzende weiterer Nichtregierungsorganisationen sowie die italienischen Basisgewerkschaften Cobas.

Der sich als radikaler verstehende Teil der Bewegungslinken steht dem Forum skeptisch gegenüber. So kritisieren einige Gruppen des weltweiten Netzwerks Peoples' Global Action den »starken Einfluss von hierarchisch strukturierten Organisationen und Parteien« und den »Vorrang staatsorientierter Lösungsansätze für kapitalistische Krisen«. Deshalb wird dieses Spektrum auch einen so genannten »autonomen Raum« in Florenz organisieren, in dem unter anderem die Kampagnen des nächsten Jahres geplant werden sollen.

Gruppen und Initiativen aus Deutschland sind auf dem Sozialforum ebenfalls zahlreich vertreten. In ihrem Aufruf ist jedoch nicht nur von »sozialer Gerechtigkeit« die Rede, sondern es wird auch die Hoffnung formuliert, die »europaweite Bewegung« könne in Florenz ihre Forderungen nach »nationaler und kultureller Vielfalt« zum Ausdruck bringen. Unterstützt wird das Pamphlet unter anderem von verschiedenen Gewerkschaftern, vom Bundesausschuss Friedensratschlag und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Offenbar stört sich niemand daran, dass selbst die rechtskonservative Ökopartei ÖDP zur Teilnahme aufruft.

In einem Workshop des »Netzwerkes gegen Konzernherrschaft und neoliberale Politik« will die protektionistische Ökonomin Maria Mies über »die Notwendigkeit, Europa zu dekolonisieren« referieren. Um sich von den als Kolonialmacht halluzinierten USA und der mit ihnen identifizierten freien Marktwirtschaft zu lösen, spricht sie von einem »Aufbau von Subsistenzwirtschaften des Lebens«.

Auch die großen international besetzten Konferenzen werden zum Teil ähnliche Themen behandeln. Auf einem Podium geht es um »Europa und die Selbstversorgung mit Lebensmitteln«, bei dem, wenig überraschend, der französische Protektionist und Bauernaktivist José Bové auftreten wird.

Der Friedensforscher Johan Galtung kann hingegen zum Thema »Kein Frieden ohne Gerechtigkeit« seine merkwürdigen ethischen Maßstäbe zum Besten geben. Die USA bezeichnete er kürzlich in einem Interview in der taz als ein »geofaschistisches Land«, während die Massaker des irakischen Regimes an der kurdischen Bevölkerung »kleine Sachen« und »nicht faschistisch« gewesen seien.

Auch die obligatorische Diskussion über den Nahostkonflikt ist eindeutig besetzt. In einem Workshop spricht Julia Deeg, die durch ihren Aufenthalt im belagerten Amtssitz des Palästinenserpräsidenten Yassir Arafat bekannt wurde und nun in einer Veranstaltung die »Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf« fordert.

Neben zwei Vertretern der israelischen Friedensbewegung stehen zwei Vertraute Arafats, Hanan Ashrawi und Leila Chahid, sowie Fadwa Barghouti, die Ehefrau des in Israel vor Gericht stehenden Führers der Fatah, Marwan Barghouti, auf der Rednerliste. Außerdem diskutiert die italienische Abgeordnete des Europäischen Parlaments Luisa Morgantini (Rifondazione Comunista), die bereits angesichts der Bilder von Genua gefragt hatte, ob sich »die israelische Politik globalisiert« habe.

Vom wachsenden Antisemitismus in Europa ist hingegen in keiner der angekündigten Veranstaltungen die Rede.