Zum 60. Geburstag Rosa von Praunheims

Der nervige Professor

Rosa von Praunheim zum Sechzigsten.

Rosa von Praunheim würde einen guten Bullen im Rotlichtmilieu abgeben. Es ist erstaunlich, was er aus Leuten rausholt, wenn er sie offensiv angeht. Seine Methode ist brachial; entweder brachial charmant, dann weiß sein Gegenüber plötzlich nicht mehr, woran es ist, oder brachial beleidigend, dann weiß sein Gegenüber auch nicht mehr, woran es ist.

So hat er einige sehr schöne Dokumentarfilme gedreht, aber als Student ist es nicht immer ein Spaß, mit ihm umzugehen. Nach der Sichtung eines Filmes gibt es zwei Varianten. Es folgt ein absoluter Verriss samt persönlicher Beleidigungen oder ein Lob in den Himmel samt einer persönlichen Liebeserklärung. Beides ist recht furchtbar. Jeden von uns erwischt es von Zeit zu Zeit, damit umzugehen hat noch keiner gelernt.

Es ist nicht leicht, nach einer seiner Kritikattacken wieder zu sich zu finden. Mich ereilte es in Los Angeles. Gerade einige Monate an der HFF, war es ihm gelungen, Arte und den ORB für ein Projekt in Amerika zu gewinnen. Acht Regiestudenten sollten innerhalb von vier Wochen vor Ort die Welt hinter dem Mythos Hollywood in ihren Kurzfilmen erkunden. Für uns, noch im ersten Studienjahr, eine grandiose Chance - vor allem darauf, mit wehenden Fahnen unterzugehen.

Vor unserer Reise veranstaltete Rosa eine Art Trainingsprogramm in Sachen Konfrontation und Grenzerfahrung. Wir besuchten mit unseren Digitalkameras den Arbeitsplatz einer berühmten Berliner Domina und den Obduktionssaal der Charité; wir inszenierten mit Obdachlosen und ließen Rosa im Glauben, uns hypnotisieren zu können. Nicht das Filmemachen wollte uns der neue Professor beibringen, sondern die Konfrontation mit Situationen, die uns als Menschen und Künstler herausforderten. »Ihr müsst immer einen Schritt weiter gehen als andere, sonst bleibt ihr nur Durchschnitt, normal sein kann jeder.«

So weit, so gut. Als ich Rosa nach drei Wochen in L.A. mein Material zeigte, konnte ich auf einige Extremsituationen in den USA zurückblicken. So hatte ich noch nie gearbeitet. Innerhalb weniger Tage mussten Schauspieler, Drehorte und ein Team gefunden werden. Das alles in einer merkwürdig fremden Stadt ohne Mitte. Wir waren beschimpft und verjagt worden, ich hatte einen Autounfall gehabt, und dann kam der 11. September. Das Blut gefror in den Adern. Wie viele Flugzeuge waren noch in der Luft?

Unserem besonnenen Gruppenleiter gelang es, innerhalb weniger Augenblicke mit seiner Vision vom nahenden Atomkrieg auch diejenigen, die noch einigermaßen Ruhe bewahrt hatten, in absolute Panik zu versetzen. Im Gegensatz zu den Amerikanern, die ihrem Tagesgeschäft nachgingen und abends in den Straßen Fahnen schwenkten, bereiteten wir Deutschen uns auf die Evakuierung vor, tankten die Autos auf, kauften Wasser, bildeten Kleingruppen, planten Fluchtwege in die Wüste.

Die amerikanischen Schauspieler hingegen waren schon am nächsten Tag bereit, weiterzumachen. Schnell lag der Gedanke an die nächste Einstellung wieder näher als der an den drohenden Krieg. Insgesamt kam es mir jedenfalls wie ein Wunder vor, überhaupt etwas von meinem geplanten Skript auf Film zu haben. Ich hätte eine Ermunterung gut gebrauchen können, um das ohnehin schwierige Pensum für die verbleibenden Tage zu bewältigen. Doch der Professor saß im ersten Stock mit Blick auf den Pool und schüttete einen Strom von Beschimpfungen und Kritik über mich. Nach den ersten Sätzen wurde es problematisch, überhaupt noch zu folgen. »Langweilige Scheiße« und »keine Emotion« waren Formulierungen, die haften blieben.

Leicht apathisch ließ ich mich über den Hollywood Boulevard treiben. Es dauerte einige Stunden, bis ich meine Fassung wiedergefunden hatte. Dieser alte Sack mit seinen Filmen in den Achtzigern über Westberliner Schwulen-WGs - was wusste der schon über Film? Keine Emotion! Dem würde ich es zeigen, jetzt erst recht. Ich schrieb eine Heulszene, die sich gewaschen hatte, ich würde sie später eh rausschneiden. Es wurde eine der schönsten Szenen des Films.

Es ist schwer zuzugeben, aber diese unberechenbaren Attacken treffen häufig einen wahren Kern und gerade deshalb hört man sie so ungern. Das nervt, fordert heraus und setzt Energien frei. Die gute alte Provokation funktioniert also doch? Mit dieser Masche muss Rosa von Praunheim als »nervigster Schwuler Deutschlands« in der alten Bundesrepublik seine Berühmtheit erlangt haben.

Ich hatte vor der Filmhochschule noch nie von ihm gehört, aber meine Großtante schwärmt für ihn und mein Vater kannte (aus bis heute nicht ganz geklärten Gründen) seine genaue Adresse. Rosa muss in dieser Funktion einiges für die Schwulenbewegung und später im Kampf gegen Aids getan haben, bis er sich dann zielsicher immer wieder selbst ins Abseits katapultierte. Beleidigung und Engagement liegen bei ihm eben nahe beieinander, jedenfalls in seinem Verhältnis zu uns. Der merkwürdige Professor setzt sich für seine Studenten ein, knüpft Kontakte in die Wirtschaft und besorgt Referenten von Tom Tykwer bis Michael Ballhaus. Aber er hört dabei nie auf zu nerven, penetriert das gesamte Lehrpersonal und wütet gegen den Luxus der Filmhochschulen. Das alles findet immer im Grenzbereich zur Peinlichkeit statt, ist aber aufgeladen mit unglaublicher Energie und bleibt vor allem nie ohne Wirkung.

Danke für diese Energie, und alles Gute zum Geburtstag - bis zur nächsten Attacke.