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Ein Mann sieht rot

Gesundheitsreform. Eine rote Fliege trug Karl Lauterbach am vergangenen Donnerstag, dem Tag der Verkündung der Vorschläge zur großen Reform der Sozialsysteme. Und rot, das ist bekannt, macht aggressiv. Der einzige Mann aus der Rürup-Kommission, der es neben ihrem Namensgeber schaffte, sich in das eine oder andere Gedächtnis einzuprägen, weil er schon im März zum Ärger des Kanzlers »unausgegorene Ideen« ausplauderte, musste für das umstrittene 300seitige Werk büßen.

Büros in seinem Kölner Institut für Gesundheitsökonomie wurden von »jungen Leuten« mit Farbbeuteln beworfen. Sie ließen Flugblätter am Tatort zurück, in denen sie gegen die Vorschläge zur Gesundheitsreform und den Sozialabbau protestierten. Sie waren unterschrieben mit »attac-Projektgruppe Agenda 2010«.

Die Farbbeutel waren rot. Vermutlich deswegen war neben Karl Lauterbach auch das globalisierungskritische Netzwerk böse über die Verunglimpfung seines Namens. Denn Attac habe die Aktion nicht durchgeführt und stehe nur für »Proteste mit kreativen Aktionen, die geeignet sind, Anliegen einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen«. Dabei haben diese Botschaft alle verstanden.

Studieren macht süchtig

Studium. Dieses Jahr kann, ja, muss man froh sein, wenn man einen Studienplatz bekommt. Zum Wintersemester bewarben sich an den drei Berliner Universitäten ungefähr 67 000 Leute auf 16 500 Studienplätze, berichtete die taz. Auch in Hamburg, Leipzig, Freiburg oder Mainz gibt es immer mehr BewerberInnen für immer weniger Studienplätze.

Ohnehin sind die Zeiten vorbei, als StudentInnen dem Staat noch auf der Tasche liegen, das Bafög-Amt betrügen und ihr Leben lang studieren konnten. Nach Informationen des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren ist das Studium nur in Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg auch im nächsten Jahr noch für alle kostenlos, und es droht keine Zwangsexmatrikulation.

Dass Studieren darüber hinaus gesundheitsschädigend ist, belegt eine vom Spiegel veröffentlichte Studie der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen. Demnach leide ein Fünftel der Studierenden an Depressionen oder Essstörungen. Jeder Vierte gebe sich dem »exzessiven Rauschtrinken« hin, und der Cannabiskonsum habe zugenommen. Was bleibt denn sonst?

Eine weise Vermutung

Ausreise. »Ich würde Armend E. sofort ausweisen, wenn dies rechtlich möglich wäre«, erklärte Ronald Schill zu einer Zeit, da er noch Hamburger Innensenator war und ihm »Kindergangster« zu schaffen machten (Jungle World, 33/03). Heute hat er andere Sorgen.

Trotzdem kehrte Armend mit seiner Mutter und den zwei Geschwistern »freiwillig« in den Kosovo zurück. Damit erfüllte er auch den Wunsch vieler Hamburger, die die Stadt von kriminellen Ausländern »säubern« wollen. Der Rom verübte seit seinem neunten Lebensjahr mehrmals Straftaten. Abschieben konnte man ihn aber nicht, weil es bis Ende des Jahres einen Abschiebeschutz für Roma aus dem Kosovo gibt. Außerdem ist der Junge noch nicht strafmündig. Dass Armend seit Juli in einer offenen Wohngruppe in der schleswig-holsteinischen Provinz lebte, war vielen nicht Strafe genug. Sie forderten, wie auch die Hamburger Sozialbehörde, die Einweisung des Jungen in eine geschlossene Anstalt.

Das ist jetzt Schnee von gestern. »Ich freue mich immer, wenn potenzielle Straftäter die Stadt verlassen, ob nun durch Ausweisung oder freiwillig«, erklärte Klaus-Peter Hesse, der Jugendexperte der CDU, dem Hamburger Abendblatt. Er vermutet, dass der Junge und seine Familie dem öffentlichen und politischen Druck nachgegeben hätten. Wie weise.

Ein Auge zugedrückt

Homosexualität und Politik. Hätte Edmund Stoiber nächste Woche sein Coming Out, würde sich bei der bayerischen Landtagswahl im September wohl mindestens ein Zehntel seiner treuen Wählerschaft von ihm abwenden. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die der Stern und RTL in Auftrag gaben. Da aber die CSU-WählerInnen nicht als die Tolerantesten gelten und kein geringer Teil von ihnen bereits ein paar Jährchen auf dem Buckel hat, könnte die SPD sogar Hoffnung auf einen Wahlsieg schöpfen. Denn in der Altersgruppe der über 60jährigen sind es immerhin 26 Prozent, die keinen schwulen Politiker wählen würden, auch wenn er ihre Meinung verträte.

Aber das alles ist gar nicht der Rede wert. »Homosexualität spielt keine Rolle«, schlossen der Spiegel und unzählige andere Blätter aus den Forsa-Ergebnissen. Im Schnitt zehn Prozent und bei den unter 30jährigen mit sieben Prozent wieder mehr als bei den 30 bis 59jährigen – ach, wen stört das schon. Ansonsten sind die Deutschen doch ein tolerantes Völkchen.

Das Orakel von Ifo

Aufschwung. Jubelnde Menschen, Heiterkeit, Frohsinn, Konfetti und Raketen: Das Orakel hat gesprochen, und es hat Gutes verkündet. Zum vierten Mal in Folge stieg im August der so genannte Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. »Wir leben nicht mehr nur von den Erwartungen, sondern der Aufwärtstrend wird auch durch eine bessere Beurteilung der aktuellen Geschäftslage unterfüttert«, sagte Gernot Nerb, einer der Ifo-Klimaforscher. Der Aufschwung kommt, und zwar gewaltig. »Die Freisetzung von Arbeitskräften dürfte sich verlangsamen«, hieß es in perfektem Neusprech in einer Meldung der Presseagentur VWD.

Freilich sollte man nicht dem Glauben verfallen, das möglicherweise bevorstehende Ende der Rezession könnte den Zustand dieses Landes zum Guten wenden. Die Forderung nach höheren Löhnen etwa, in der Krise sowieso als unverantwortlich gescholten, wird in Phasen des Aufschwungs regelmäßig mit dem Argument abgewiesen, dass sie denselben gefährde. Zum Teufel also mit dem Orakel!