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Auf der Münchner Sicherheitskonferenz vertrugen sich die Nato-Mitglieder wieder und verständigten sich auf eine Erweiterung des Einsatzes in Afghanistan. von frank brendle

Gäbe es Afghanistan nicht, die Nato müsste es erfinden. Das Land, in dem nichts zu holen ist und das dennoch seit Jahrzehnten eine wichtige Kulisse in der Weltpolitik darstellt, dient dem Militärbündnis dieser Tage als Blitzableiter.

Was passiert, wenn man sich um einen solchen nicht rechtzeitig bemüht, wurde im vergangenen Jahr der Weltöffentlichkeit vorgeführt. Der Bundesaußenminister Joschka Fischer rief auf der Münchner Sicherheitskonferenz dem US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vor dem Irakkrieg zu: »I am not convinced.« Anschließend stellten sich Frankreich, Belgien und Deutschland zunächst den Planungen für den »Schutz« der Türkei im Falle des Krieges entgegen, worauf der damalige Generalsekretär der Nato, George Robertson, den Partnern vereinsschädigendes Verhalten vorwarf. »Die Nato wird beschädigt«, meinte er. Die Angegriffenen wehrten sich gegen »ungerechtfertigte Unterstellungen«, wie Frankreichs Außenministerin Michèle Alliot-Marie es formulierte, Donald Rumsfeld hingegen fand das Verhalten Kerneuropas »schändlich«.

Kein Wunder, dass die Frage, wie tief Rumsfeld dieses Jahr auf der Konferenz Joschka Fischer in die Augen schauen würde, die Presse bewegte. Das jährliche Treffen in München vereint mehrere hundert Militärexperten aus Politik, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft. In diesem Jahr hat man sich wieder vertragen.

Oder tat zumindest so. Dass die Versöhnung zwischen dem »alten Europa« und den USA gelungen sei, war der Tenor der meisten Kommentare. Fischer betonte in München zwar die Punkte des Dissenses, aber niemand wollte alte Konflikte austragen. Man wollte »nach vorne diskutieren«. Allerdings liegen auch dort noch einige Minenfelder. Die an der »Koalition der Willigen« beteiligten Nato-Staaten möchten gern ihren Verein in die Pflicht nehmen. Die Mächte Kerneuropas zaudern aber noch; die direkte Beteiligung an der Besatzung des Iraks wäre ein allzu rasches Nachgeben gegenüber den USA.

Bevor nun deswegen der Streit vom Vorjahr wiederholt wurde, konzentrierte man sich lieber auf Afghanistan. Unmittelbar vor der Münchner Konferenz bestätigten sich die Mitglieder des Bündnisses darin, dass das nation building am Hindukusch »erste Priorität« habe. Die Afghanen sollen das unter anderem mit der Entsendung von mindestens fünf weiteren Regionalen Wiederaufbauteams (PRT) zu spüren bekommen. Der Bundesverteidigungsminister Peter Struck schlug vor, den Isaf-Einsatz, der bereits unter einem Nato-Kommando stattfindet, vom Eurocorps führen zu lassen. An diesem sind unter anderem Frankreich, Deutschland und Belgien beteiligt. Dass er für diesen Vorschlag von Rumsfeld gelobt wurde, verkündete Struck sogleich der Presse: »Der Kollege Rumsfeld hat es sehr begrüßt.« Da war jemandem die Erleichterung anzuhören.

Die Staaten, die gegen den Irakkrieg waren, drängt es nun nach Afghanistan. Der Mehrbedarf für die Intervention soll bei 5 000 bis 14 000 Soldaten liegen. Man wird noch abwarten müssen, wie viel von den Ankündigungen tatsächlich verwirklicht wird. Bisher hätten sich die Staaten, die jetzt drängeln, »nicht immer sehr aufgeschlossen gezeigt«, wenn es um Truppenentsendungen gegangen sei, klagte der neue Generalsekretär der Nato, Jaap de Hoop Scheffer, noch kurz vor der Konferenz.

Vorläufig scheint es vorteilhaft zu sein, dass Truppen, die für Afghanistan verplant sind, von den USA nicht für einen Irakeinsatz angefordert werden können. Die unwilligen Europäer verstecken ihre Soldaten am Hindukusch. Zeitlich passend erklärte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, in Bild am Sonntag, weitere Auslandseinsätze seien nun wirklich nicht mehr möglich.

Die entscheidende Frage wird dennoch beantwortet werden müssen. Noch sei »der Zeitpunkt nicht gekommen«, über einen Nato-Einsatz im Irak zu entscheiden, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder. Joschka Fischer sprach sich in München zwar entschieden gegen die Entsendung deutscher Soldaten aus und warnte vor den Risiken eines Nato-Einsatzes im Irak. Einem Konsens werde sich Deutschland aber nicht verweigern, fügte er hinzu, schließlich müsse die Nato »den Frieden gemeinsam gewinnen«. Darum kämpfen sollen aber lieber die anderen.

Einer rasch etablierten Sprachregelung zufolge könne es ab Juli ernst für die Nato werden. Bis dahin soll nämlich eine »souveräne irakische Regierung« installiert sein, und diese könnte ein Hilfeersuchen an das Bündnis richten. Wie in fünf Monaten eine solche Regierung entstehen, wie weit deren Souveränität tatsächlich reichen soll und ob ein Ende des andauernden Kriegszustandes erreicht werden könne, wurde nicht erörtert. Die Washington Post berichtete indes, die US-Regierung diskutiere, die Einsetzung einer irakischen Übergangsregierung auf das nächste Jahr zu verschieben.

Jedenfalls kann von einer grundsätzlichen Abneigung der Bundesregierung, sich an der Besatzung des Irak zu beteiligen, kaum noch gesprochen werden. Außer einem Einsatz von Bodentruppen ist inzwischen vieles denkbar, den Anfang dürften wohl »humanitäre Hilfsmaßnahmen« machen. Kerneuropa will als ernst zu nehmende Weltmacht in Gründung betrachtet werden. So dürfte auch Fischers Engagement für eine Nato-Initiative im Nahen Osten motiviert gewesen sein. Die Anrainerstaaten des Mittelmeers sollten demnach bis 2010 eine Freihandelszone bilden und die Staaten des Mittleren und Nahen Ostens »stabilisiert und modernisiert« werden.

Der Plan ist allerdings recht vage gehalten. Die USA reagierten reserviert, was möglicherweise auch daran liegt, dass er so neu gar nicht ist und einige US-amerikanische Ideen aufgreift. Jordaniens König Abdullah II. ging in seiner Münchner Rede bemerkenswerterweise nicht auf den Vorschlag ein.

Das Thema Irak wird im Juni auf der Tagesordnung des nächsten Treffens der Nato-Verteidigungsminister in Istanbul stehen. Die Nato ist keineswegs tot, wie es Die Welt vor einem Jahr verkündete. Das Bündnis gibt sich Mühe, ein wichtiger Kriegsakteur zu bleiben, wenn auch derzeit die Bewältigung von Besatzungsaufgaben im Vordergrund steht. In München ging es weniger um konkrete Beschlüsse, sondern um die Beschreibung von Rahmenbedingungen, wie Horst Teltschik, der Organisator der Konferenz, schon zu Anfang erklärte.

Auch die Antikriegsbewegung war in diesem Jahr wieder dort. Mit rund 10 000 TeilnehmerInnen erhielt die Demonstration ein überraschend hohes Maß an Unterstützung. Vertreter traditioneller Friedensgruppen, die sich Gedanken über die richtige Form der Terrorprävention machen, demonstrierten Seite an Seite mit autonomen Kriegsgegnern, die für die »Zersetzung von Herrschaftsverhältnissen«, wie es das »Bündnis Krieg ist Frieden« ausdrückt, eintreten.

Die geplanten Blockaden der Zufahrtsrouten konnten zwar nicht verwirklicht werden, die Mischung aus Tausenden von Demonstranten und fast 4 000 Polizisten sorgte allerdings dafür, dass es mit der gemütlichen Stimmung in der Innenstadt vorbei war. Einige Demonstranten kamen recht nahe an die Teilnehmer der Tagung heran. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sprach sich dafür aus, das Treffen doch bitte woanders durchzuführen. Horst Teltschik reagierte alarmiert: Das wäre der »Todesstoß« für die Konferenz. Genau daran aber arbeiten die Antikriegsgruppen.