Eine diskrete Truppe

An den Entscheidungen über die geplanten internationalen Einsätze der Bundeswehr wird der Bundestag kaum noch beteiligt sein. von sebastian sedlmayr

Die Bundeswehr ist längst zum Global Player geworden. Anfang April war sie nach Angaben des Verteidigungsministeriums in acht verschiedenen Missionen unterwegs: in Afghanistan und Usbekistan (1 904 Männer, 96 Frauen), im Kosovo (3 580 Männer, 120 Frauen), in Bosnien-Herzegowina (1 248 Männer, 52 Frauen), in Mazedonien (12 Männer), in Georgien (11 Männer), am Horn von Afrika (281 Männer, 19 Frauen) sowie in Äthiopien und Eritrea (2 Männer). 450 weitere Soldaten befinden sich im Mittelmeer im »Anti-Terror-Einsatz«. Außerdem sind in Deutschland 58 Bundeswehrangehörige für Evakuierungsfälle in Bereitschaft.

Nicht eingerechnet sind hier selbstverständlich die aus den Mitteln des Auswärtigen Amtes und des Entwicklungsministeriums finanzierten zivilen Einsatzkräfte in Afghanistan und auf dem Balkan, zu denen zum Beispiel auch Polizeiausbilder gehören.

Insgesamt waren Anfang April also 7 833 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr »unmittelbar in Auslandseinsätze involviert«. Vor rund einem Monat sprachen der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, und der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtwei, noch fast übereinstimmend von 7 323 respektive 7 200 Soldaten im Einsatz. Wie ist es möglich, dass völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit das Kontingent der im Ausland befindlichen Bundeswehrsoldaten um 500 gestiegen ist?

Das liegt zum einen an dem Puffer, der bei den einzelnen Einsätzen gegeben ist. So hat der Bundestag zum Beispiel für den Einsatz in Bosnien-Herzegowina 3 000 Teilnehmer genehmigt. Verantwortlich für die nahezu unbemerkten Schwankungen im Bundeswehrkontingent sind aber auch die wachsende Unübersichtlichkeit der Auslandsaktivitäten und die Tatsache, dass über die Details im »weltweiten Kampf gegen den Terror«, den Bundeskanzler Gerhard Schröder Ende 2001 in »uneingeschränkter Solidarität« mit den USA ausrief, kaum informiert wird.

Doch nicht nur die Öffentlichkeit tappt im Dunkeln, was Missionen wie die maritime »Active Endeavour« betrifft. Auch das Wissen derjenigen, die eigentlich qua Verfassung über die Entsendungen zu befinden haben, geht im Fall des Anti-Terror-Einsatzes gegen null. »Ab und zu ein Geheimdienstbericht« sei das höchste der Gefühle, beschwert sich ein Abgeordneter im Auswärtigen Ausschuss, dessen Mitglieder ihren Fraktionen eigentlich bei der Entscheidung helfen sollen, ob Auslandseinsätze zu befürworten seien oder nicht. Die Informationen der Dienste müssten dann freilich wiederum geheim gehalten werden, sagt der Mandatsträger mit einem sarkastischen Unterton zur Jungle World.

Auch abgeschlossene Auslandseinsätze der Bundeswehr werden nicht aufgearbeitet. Im Gegensatz zu jedem größeren Posten im Wirtschaftsressort heißt es hier: Eine Evaluation findet nicht statt. Nachtwei monierte unlängst, er habe auf eine Auswertung des Kosovo-Luftkriegs im Jahr 1999 gedrängt. Allein, »dazu war die eigene Regierung nicht bereit«. So weiß bis heute niemand genau, was der Luftkrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien gekostet hat.

Unmut herrscht weiterhin über die Haltung von Außenminister Joschka Fischer gegenüber Parlamentariern: »›Jetzt komm ich!‹ und lautes Poltern«, beschreibt einer von ihnen die Auftritte des ruppigen Chefideologen im Auswärtigen Ausschuss. Vertreter des Außenministeriums und des Kanzleramts legten eine »ungeheure Arroganz« an den Tag.

Um das Verhältnis zwischen Regierung und Bundestag neu zu regeln und künftige Auslandseinsätze besser legitimieren zu können, möchte die rot-grüne Bundesregierung noch vor der Sommerpause ein neues Gesetz zur Entsendung von Bundeswehrstreitkräften verabschieden. »Parlamentsbeteiligungsgesetz« heißt das Vorhaben euphemistisch, denn es betont zu Unrecht die parlamentarische Partizipation.

Sollte die Mehrheit des Bundestags dem Gesetz in seiner jetzigen Form wie erwartet zustimmen, würde die Kompetenz des Parlaments beschnitten. Schließlich regelt Paragraph 4 ein »vereinfachtes Zustimmungsverfahren«, demzufolge Einsätze »von geringer Bedeutung« nicht per Abstimmung genehmigt werden müssen, wenn nicht eine Fraktion oder fünf Prozent der Bundestagsmitglieder innerhalb von sieben Tagen Einspruch einlegen. Allerdings spricht nicht nur das in Paragraph 8 festgehaltene »Rückholrecht« dafür, dass mit dem »Beteiligungsgesetz« die Kontrollinstanz Bundestag erhalten bleibt. Schon die Festschreibung des Parlamentsvorbehalts in Gesetzesform ist ein Vorteil, dessen sich die deutschen Abgeordneten, verglichen mit ihren Kollegen in den meisten anderen europäischen Staaten, geradezu glücklich schätzen können. Über die Beteiligung am Kosovo-Luftkrieg zum Beispiel ließen von 17 europäischen Nato-Staaten außer Deutschland nur Italien, Ungarn und Dänemark ihre Parlamente abstimmen.

Jedoch vermag das Gesetz eine wichtige Lücke nicht zu füllen, die in Zukunft entstehen wird: wenn nämlich wie geplant rund 35 000 »Eingreifkräfte« der Bundeswehr für die Nato Response Force (NRF) und die schnelle EU-Eingreiftruppe bereit stehen. Für die EU-Truppe sollen rund 10 000 deutsche Soldaten in fünf bis 30 Tagen kampfbereit sein. Die Kompetenz, über einen Krieg mit deutscher Beteiligung zu entscheiden, geht faktisch auf die transnationale Ebene über. Daran ändert das »Beteiligungsgesetz« nichts, demgemäß ein Einsatz von »geringer Bedeutung« dann vorliegt, wenn ein »Erkundungskommando« gesendet wird, »einzelne Soldaten betroffen sind, die auf Grund von Austauschvereinbarungen Dienst in verbündeten Streitkräften leisten, oder einzelne Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der Vereinten Nationen, der OSZE, der Nato, der EU oder einer Organisation, die einen UN-Auftrag erfüllt, verwendet werden«.

Zunehmen werden nach der Verabschiedung dieses Gesetzes nicht zwangsläufig »friedenserzwingende Maßnahmen« wie die Operation »Enduring Freedom« in Afghanistan. Wahrscheinlicher ist eine Häufung kleiner, verdeckter Operationen, über die der Bundestag kaum je Details erfahren wird. Nach dem »vereinfachten Zustimmungsverfahren« muss die Bundesregierung keinen Antrag auf Entsendung mehr stellen. Sie muss auch nicht aufklären über Auftrag, Einsatzgebiet, rechtliche Grundlagen, Höchstzahl und Fähigkeiten der eingesetzten Soldaten, die geplante Einsatzdauer und die voraussichtlichen Kosten. Solange die Fraktionsvorsitzenden sich einig sind und ihre Parteifreunde im Griff haben, reicht künftig also eine Elefantenrunde, damit die Bundeswehr weltweit die deutsche Sicherheit verteidigt. Und für schnelle EU-Einsätze wie jüngst im Kongo wird das Parlament dann gar nicht mehr gebraucht.

In Afrika könnte übrigens die Zukunft vieler Bundeswehroperationen liegen. Aus den Reihen der Grünen heißt es, Deutschland solle sich »in angemessenem Rahmen« an von den UNO geführten Peace-Keeping-Missionen beteiligen, die hauptsächlich in Afrika stattfinden. Es stelle eine »Schwächung der Vereinten Nationen« (Nachtwei) dar, dass unter den ersten zehn Teilnehmerstaaten bei diesen UN-Einsätzen kein Land des Nordens sei.