Getrübte Sternstunde

Daimler-Chrysler hat es schwer: weniger Gewinn, viel Kritik von den Aktionären und Klagen wegen der Rolle des Konzerns während der Militärdiktatur in Argentinien. von jessica zeller

Nachdem die Leitung von DaimlerChrysler eine Schweigeminute für ein verstorbenes Vorstandsmitglied einlegt hatte, rief der Flüchtlingsbeauftragte des schleswig-holsteinischen Landtags, Helmut Frenz, dazu auf, nun doch auch einmal der ermordeten argentinischen Gewerkschafter zu gedenken. Immerhin gut ein Viertel der anwesenden Aktionäre des Unternehmens erhob sich von den Sitzen. Das dürfte den Vorstandsmitgliedern um ihren Vorsitzenden Jürgen Schrempp nicht gefallen haben.

Denn auch ohne dieses dunkle Kapitel in der Vergangenheit des Konzerns war die Liste der zu behandelnden Konfliktthemen auf der Aktionärshauptversammlung, die am vergangenen Mittwoch in Berlin stattfand, lang. Neben der »gescheiterten Welt AG«, der Reduzierung der Aufsichtsratsgehälter und der Beteiligung an der Minen- und Atomwaffentechnologie des Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS wollten die »kritischen Aktionäre« auch die fehlenden Filter in Dieselfahrzeugen sowie das immer noch nicht gebaute Zweiliterauto ansprechen.

»Wir sind zwar sicherlich nicht die Mehrheitseigner, trotzdem tragen wir mit unseren Redebeiträgen dazu bei, dass der Konsens eben kein hundertprozentiges Einvernehmen aller Anteilseigner ist«, sagte der Pressesprecher Henry Mathews auf einer Veranstaltung der kritischen Aktionäre vor der Versammlung.

Es war sicherlich den internen Machtverhältnissen geschuldet, dass die Kritik an der Konzernführung in Berlin vor allem von den Großanlegern und den Vereinigungen der privaten Kleinaktionäre vorgetragen wurde. Anders als in den Jahren zuvor, kam die Führung unter Jürgen Schrempp auch bei ihnen diesmal nicht gut weg. Deutschlands größte Fondsgesellschaft DWS kritisierte die mangelhafte Informationspolitik der Konzernleitung und stellte vor allem deren Engagement bei Mitsubishi Motors ökonomisch in Frage.

Trotz der Kritik der Aktionäre verteidigte Schrempp seine Führungsstrategie. Zwar sei auch er mit dem Aktienkurs und den Zahlen für das Jahr 2003 nicht zufrieden – immerhin sanken die Gewinne im Vergleich zum Vorjahr von 4 718 auf 448 Millionen Euro –, dennoch hielt der Konzernchef am Ziel eines »Weltkonzerns« fest und machte auf der Hauptversammlung keine unmittelbaren Zugeständnisse. »Wenn es schwierig wird, darf man nicht davonlaufen«, sagte Schrempp. Mit Blick auf den tief in den roten Zahlen steckenden Autobauer Mitsubishi, an dem Daimler 37 Prozent hält, verwies Schrempp auf einen Sanierungsplan, an dem »mit Hochdruck« gearbeitet werde.

Den Höhepunkt der Konflikte während der Hauptversammlung bildete dennoch das Thema, das DaimlerChrysler eigentlich für längst erledigt hält, die Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur in Argentinien in den Jahren 1976 bis 1983 und die Beteiligung des Autokonzerns daran. Ein zentraler Redebeitrag der kritischen Aktionäre sollte der Frage nach der Beteilung von Daimler-Chrysler, damals noch Daimler Benz, am »Verschwinden« aktiver Gewerkschafter während der argentinischen Militärdiktatur gewidmet sein.

Die im Jahr 1999 von der Journalistin Gaby Weber ausgesprochenen Vorwürfe, wonach das Unternehmen zum Tod von 15 Gewerkschaftern beigetragen habe, waren jahrelang von der Konzernführung verleugnet worden. Auf der Aktionärshauptversammlung im Jahr 2002 wurde schließlich die Bildung einer unabhängigen Untersuchungskommission unter der Leitung des Berliner Völkerrechtlers Christian Tomuschat angekündigt, die im Dezember 2003 ihren Bericht veröffentlichte. Darin wird die Firma umfassend entlastet (Jungle World 52/03).

Mercedes Benz in Argentinien habe zwar mit den Militärs kollaboriert, trage jedoch keinerlei Verantwortung. Die Zeugenaussage des Gewerkschafters Héctor Ratto, wonach die Unternehmensführung in Argentinien den Militärs eine Liste mit den Adressen unliebsamer Arbeiter ausgehändigt habe, zweifelte Tomuschat an. Einige Tage vor der Veröffentlichung des Gutachtens wurde bereits in Deutschland ein Ermittlungsverfahren gegen den Autokonzern wegen Beihilfe zum Mord in mehreren Fällen eingestellt.

Der argentinische Menschenrechtsanwalt und ehemalige Betriebsrat Eduardo Fachal, der von den kritischen Aktionären und mehreren anderen Gruppen zur diesjährigen Aktionärshauptversammlung als Redner eingeladen wurde, sagte der Jungle World: »Ich wurde für den Bericht nie befragt und trotzdem taucht mein Name darin auf. Ich war Mitglied des unabhängigen Betriebrats bei Mercedes Benz Argentinien im Jahr 1976 und in den ersten Monaten von 1977. Als zwei Gewerkschafter und 13 Arbeiter verschwanden, legte ich meine politische Arbeit nieder. Ich habe zwar bis 1985 weiter bei Mercedes Benz gearbeitet, habe aber, um mich zu schützen, an ständig wechselnden Orten geschlafen. Ich hatte Angst.«

Gaby Weber, die mittlerweile auch einen Dokumentarfilm zu dem Thema gedreht hat, bezeichnete das Verhalten Tomuschats nicht nur als politisch falsch, sondern auch als schädlich für Daimler-Chrysler: »Der Schuss mit Herrn Tomuschat ist nach hinten losgegangen. Man hat sich davon versprochen, dass er das Gesicht der Firma weiß wäscht. Das hat er so gut getan, dass er übertrieben hat. Er hat auch handwerklich einfach schlecht gearbeitet.« Alle Kooperationsangebote, seien es Gespräche, Dokumente oder die Besichtigung des Originalschauplatzes, habe er abgelehnt. »Er wollte eigentlich nur seine Ruhe haben.«

Als Fachal und Weber ihre Ansichten am vergangenen Mittwoch dem Vorstand und den Aktionären von Daimler-Chrysler darlegen wollten, wurde dem ehemaligen Gewerkschafter das Mikrofon abgestellt. Der Kommentar dazu lautete, er sei auf der falschen Veranstaltung. Gaby Weber kam erst gar nicht richtig zu Wort. Jürgen Schrempp äußerte sich unmissverständlich, er habe zum Thema Argentinien nichts zu sagen.

Ob diese Strategie auf lange Sicht Erfolg hat, ist fraglich. Gegen die Einstellung des deutschen Verfahrens hat der Anwalt Wolfgang Kaleck bereits Widerspruch eingelegt, ein Prozess in Argentinien und seit Januar auch eine Zivilrechtsklage in den USA laufen weiter.