Gewerkschaft der Freier

Verdi-Konferenz. »Arbeitsplatz Prostitution« von anke schwarzer

Tarifverträge, Kündigungsschutz, Betriebsräte – hier sind die Gewerkschaften zu Hause. Ganz sachte nur öffnen sie sich für Bereiche jenseits der Normalarbeitsverhältnisse, zu denen auch die Sexbranche zählt. Schätzungen zufolge arbeiten dort 400 000 Frauen, jeden Tag nehmen 1,2 Millionen Männer sexuelle Dienstleistungen in Anspruch.

Die Gewerkschaft Verdi veranstaltete am 23. April in Hamburg die Konferenz »Arbeitsplatz Prostitution«. »Prostitution ist keine Arbeit wie jede andere, aber es müssen dort die gleichen Rechte gelten wie in anderen Berufen«, sagt Peter Bremme, der Verdi-Fachbereichsleiter »Besondere Dienstleistungen«. Deshalb setze man sich für mehr Rechtssicherheit und Gerechtigkeit in Steuer- und Versicherungsfragen ein. Weil in der Prostitution die Ausbeutungs- und Gewaltrate außergewöhnlich hoch ist, will Verdi auch Beratungsangebote einrichten und Ausstiegsprojekte unterstützen. Außerdem wurde ein Musterarbeitsvertrag für die Sexbranche vorgelegt, der auch Regelungen zum Gesundheitsschutz vorsieht. Zu schaffen macht den Juristen allerdings noch das eingeschränkte Weisungsrecht der Arbeitgeber gegenüber den Angestellten, wie es das Prostitutionsgesetz vorsieht.

Das neue Prostitutionsgesetz stuft Sexarbeit seit Januar 2002 nicht mehr als sittenwidrig ein. Aber die Bilanz nach zwei Jahren Liberalisierung sieht dennoch düster aus: »Überall wird anders mit dem Gesetz umgegangen, und sehr selten wird es zugunsten der Prostituierten ausgelegt«, sagt Emilija Mitrovic. Die Sozialwissenschaftlerin hat im Auftrag von Verdi in einer Feldstudie den gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit Prostitution untersucht. Während Hamburg liberal verfahre, werde das Gesetz in den südlichen Bundesländern sehr restriktiv gehandhabt, fand Mitrovic heraus. In Dresden und Stuttgart beispielsweise gelte die Sperrgebietsordnung noch in der ganzen Stadt, in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs verschicke die Polizei sogar Bußgeldbescheide an Freier.

Auch in Steuerfragen berichten Prostituierte von Willkür. In einigen Städten müssen etwa Tagespauschalen für Umsatzsteuer und Solidaritätszuschlag bis 25 Euro abgeführt werden. Es geht um viel Geld: Anfang des Jahres hat der Bundesrechnungshof beanstandet, dass die Finanzämter die Einkünfte der Prostituierten nur in Einzelfällen besteuerten. So entgingen dem Bund jährlich zwei Milliarden Euro an Einnahmen.

Ein gravierendes Problem sind weiterhin die Razzien in Bordellen, die vor allem Migrantinnen treffen. Viele Konferenzteilnehmer hoffen nun, dass es mit der EU-Osterweiterung auch zu einer Dienstleistungsfreiheit im Sexgewerbe ohne Restriktionen kommt.

Die Vorsitzende des Bundesverbands Sexuelle Dienstleistungen, Stephanie Klee, bemängelt, dass der Gesetzgeber die Sexbranche im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen immer noch benachteilige. Sie sieht ihre Organisation, der mehrere Bordellbetreiber angehören, als zukünftigen Arbeitgeberverband für die Sexbranche. Doch Vereinbarungen über Mindestlöhne oder Arbeitszeiten liegen noch in weiter Ferne. Nicht zuletzt zögern auch die Sexarbeiterinnen selbst: Viele wollen Mitrovic zufolge ihr Doppelleben nicht aufgeben, weil sie selbst Prostitution für keinen anständigen Beruf halten oder keine Abgaben zahlen wollen. Nur eine Hand voll hat sich bislang bei der Gewerkschaft als Prostituierte geoutet. Auf lange Sicht werden bei Verdi wohl mehr Freier als Sexarbeiterinnen organisiert sein.