Die Prärie regiert

Wahlen in den USA von william hiscott

»Politisches Kapital« habe er gewonnen, verkündete Präsident George W. Bush auf seiner ersten Pressekonferenz nach seinem Wahlsieg. Nun gelte es, dieses Kapital auszugeben. Und er habe viel vor.

Bei seiner Einschätzung der Wählermeinung irrt Bush nicht. Mit 60 Millionen Stimmen hat er nicht nur seinen Konkurrenten um knapp dreieinhalb Millionen Stimmen überflügelt, sondern auch eine seit Jahrzehnten von keinem US-Präsidenten erreichte Zahl an Stimmen eingefahren. Zudem gelang es seiner republikanischen Partei, ihre Kontrolle über den Kongress weiter zu erhöhen.

Nun ist es allen endlich klar, dass Bush eine große Unterstützung in der Bevölkerung genießt, was aber noch lange nicht heißt, dass die Bevölkerung geschlossen hinter ihrem Präsidenten steht. Vielmehr zeigt sich in der Zusammensetzung der Wählerschaft eine starke gesellschaftliche Polarisierung. So hat Bush die »weißen Stimmen« gewonnen, während die traditionelle »Regenbogenkoalition« das Gros der demokratischen Stimmen einsammelte. Diese Koalition aber löst sich auf, mehr denn je finden die Republikaner Zuspruch von Frauen, Afroamerikanern, Latinos und Arbeitern. Vor allem in ländlichen Regionen ist innerhalb dieser Wählerschichten eine Verschiebung nach rechts unübersehbar.

Verstärkt haben sich mit dieser Wahl die Gegensätze zwischen Stadt und Land. John Kerry gewann in den 18 bevölkerungsreichen, städtischen Bundesstaaten im Nordosten, im Mittelwesten und an der Westküste. Auch in zahlreichen anderen städtischen Ballungsgebieten hatte er die Oberhand. Bush dagegen holte die 32 bevölkerungsarmen und ländlichen Bundesstaaten: den Hinterwald sozusagen, das Farmerland, den Südstaatensumpf, die Wüste und die Prärie. Wahlentscheidend war letztlich die Mehrheit, die Bush in den suburbanen Zentren, etwa in den swing states Florida und Ohio, erringen konnte.

Einen großen Anteil an Bushs Sieg hatte wieder einmal die protestantische Rechte, die in elf Bundesstaaten gegen die gleichzeitig und ausnahmslos zu ihren Gunsten verlaufenden Volksabstimmungen über eine Homo-Ehe mobilisieren konnte. Zusammen mit den traditionellen konservativen Wählern hat die religiös-konservative Wählerschaft die säkulare und liberale deutlich überstimmt. Nicht einmal die traditionell demokratisch wählenden Katholiken konnte der Glaubensbruder Kerry halten.

Zudem zeigen sich soziale Unterschiede der Wählerschaft. Kerry gewann deutlich mehr Stimmen beim unteren Drittel und verlor katastrophal bei den rund 55 Prozent der Wähler, die mehr als 50 000 Dollar im Jahr verdienen. So gesehen ist Bushs Mehrheit eine ziemlich reaktionäre: ländlich, religiös-konservativ und wohlstandschauvinistisch. Die demokratische Minderheit konzentriert sich soziokulturell auf die Städte und kann als nahezu entmachtet betrachtet werden.

Die Linke tut sich keinen Gefallen, wenn sie die Polarisierung und die Mehrheitsverhältnisse in der US-amerikanischen Bevölkerung ignoriert. Und albern wäre es, die tatsächlichen Unterschiede zwischen Bush und Kerry, die jeweils die ideologisch gegensätzlichen Teile der Bevölkerung repräsentieren, nachträglich zu verwischen oder gar zu bestreiten. Denn am Ende darf nur einer das politische Kapital ausgeben. Und der protestantische Geschäftsmann Bush wird wissen, wo dies für Seinesgleichen am rentabelsten ist.