Genosse Kommandoleiter

Wegen eines Massakers im Zweiten Weltkrieg ermittelt die italienische Justiz gegen den ehemaligen Wehrmachtsoffizier und prominenten SPD-Politiker Klaus Konrad. von federica matteoni

Als ein Team des ARD-Fernsehmagazins »Kontraste« Klaus Konrad in seinem Haus in Scharbeutz an der Ostsee besuchte, empfing er es mit den Worten: »Ich wusste, dass Sie früher oder später kommen würden.« Am Donnerstag vor zwei Wochen strahlte die ARD einen Beitrag von René Althammer und Udo Gümpel aus. Seitdem ist bekannt, dass die italienische Justiz wegen eines Massakers im Zweiten Weltkrieg gegen den ehemaligen Wehrmachtsoffizier Klaus Konrad ermittelt. Dabei geht es um die Vergewaltigung, Folterung und Ermordung von italienischen Zivilisten und um einen mittlerweile 90 Jahre alten Mann, der nach dem Krieg als prominenter SPD-Funktionär Karriere machte. Von 1962 bis 1969 war er SPD-Abgeordneter im Landtag Schleswig-Holsteins, von 1969 bis 1980 saß er als Parlamentarier im Bundestag und bis vor zwei Wochen war er Ehrenkreisvorsitzender in Ostholstein.

Im Juli 1944 tat Konrad als Oberleutnant des 274. Grenadier-Regiments der Wehmacht in Italien Dienst. Der Mann erinnert sich noch gut an die Villa in San Polo in der Toskana, wo sich sein Regiment einquartiert hatte: »Sehr gemütlich war es dort«, erzählt er. Am 14. Juli mussten die Wehrmachtssoldaten ihren gemütlichen Aufenthalt für eine mühsame Aktion unterbrechen. In der 12 Kilometer von San Polo entfernten Bergortschaft Pietramala sollte man 19 deutsche Soldaten befreien, die in die Hände italienischer Partisanen geraten waren. Nach der Befreiung ihrer Kollegen brannten die Nazis das Dorf nieder und brachten 13 Zivilisten um. Weitere 48 Personen wurden als Geiseln nach San Polo abgeführt, gefoltert und am nächsten Tag ermordet. »Was wollen Sie mit 50 bis 60 Menschen machen, die wir ja gar nicht bewachen können?«, rechtfertigt sich Konrad vor der Kamera. »Es ist nicht zu leugnen, ich habe das auch gesehen, dass geprügelt worden ist. Ja, das ist klar«, meint er. Nach Angaben der Militärstaatsanwaltschaft von La Spezia, die seit einem Jahr im Fall dieses Massakers ermittelt, sei Konrad aber nicht nur bei den Folterungen dabei gewesen, er habe als Leiter des Kommandos die Exekutionen angeordnet.

Bereits von 1968 bis 1972 stellte die deutsche Justiz Nachforschungen über das Massaker in San Polo angestellt. Zur Anklage kam es jedoch nie, die Staatsanwaltschaft Gießen stellte das Verfahren ein. Von den sieben ehemaligen Wehrmachtsoffizieren, gegen die damals ermittelt wurde, ist Konrad der letzte, der für dieses Verbrechen noch büßen könnte. Alle anderen sind inzwischen tot.

Dass die »Akte Konrad« wieder hervorgeholt werden konnte, ist dem so genannten »Schrank der Schande« zu verdanken, der 1994 im Sitz der Militärgeneralstaatsanwaltschaft in Rom entdeckt wurde. Der alte Aktenschrank stand dort seit den fünfziger Jahren in einem dunklen Flur mit der Tür zur Wand und war zusätzlich mit Eisengittern verriegelt. In dem Schrank entdeckten die Justizbeamten, die damals nach Unterlagen für das Verfahren gegen Erich Priebke suchten, 695 von den Westalliierten angelegte Ermittlungsakten über Kriegsverbrechen, die zwischen 1943 und 1945 von deutschen und italienischen Soldaten in Italien verübt worden waren. In 415 dieser Akten sind die Namen der Verantwortlichen für zahlreiche Massaker zu lesen, die meisten von ihnen sind inzwischen tot.

Fünfzig Jahre lang ließ man die Akten in diesem Schrank unberührt verstauben. Zu Zeiten des Kalten Krieges wurden die Unterlagen aus Rücksicht gegenüber dem Nato-Bündnispartner Deutschland nicht verwendet, um gegen Kriegsverbrecher vorzugehen. Nach ihrer Entdeckung wurden die Akten an die zuständigen Militärstaatsanwälte verschickt; so wurde es möglich, einige Verfahren einzuleiten (Jungle World, 36/04). Falls es zum Prozess gegen Konrad kommen sollte, droht dem 90jährigen lebenslängliche Haft.

Die SPD Ostholstein erklärte in einer Internet-Mitteilung, Klaus Konrad nicht »vorverurteilen« zu wollen. Sein Rücktritt vom Amt des Ehrenkreisvorsitzenden sei jedoch, angesichts der Schwere der Vorwürfe, »die richtige Entscheidung« gewesen.