Underground mit Gleitgel

Die rumänische Gesellschaft ist geprägt von Homophobie. Versteckte Clubs dienen der schwulen Szene als Anlauf- und Hilfestellen. von stefan coronensis, brasov

Die Altstadt von Brasov hat drei Hauptstraßen. An der Straße mit dem Namen »Nummer drei« steht etwas unterhalb des Marktplatzes ein neoklassizistisches Haus mit einem großen Torbogen. Es verfällt langsam. Noch kann man an den aufwendigen Verzierungen den einst strahlenden Luxus des Gebäudes erkennen.

Es ist Nacht. Kleine Firmenlogos auf den Außenwänden schmücken das alte Gemäuer. Der Besucher geht durch einen langen, dunklen Hof. Kein Licht, nichts verrät, was sich darin versteckt. Dennoch geht der Eingeweihte weiter, denn er weiß, dass er hier richtig ist. Plötzlich geht ein Halogenleuchter an, der als Bewegungsmelder funktioniert. Nun sieht man am Ende des Hofes eine hochmoderne Sicherheitstür und klingelt. Dahinter wacht ein Türsteher, der das Aussehen der Gäste begutachtet und sie einlässt oder auch nicht. In den gesicherten Räumen verbirgt sich der Club V. Im ersten Raum stehen ein Tresen, mehrere Barhocker und ein Tisch mit Stühlen. Im zweiten Raum befinden sich ebenfalls Tische und Hocker. Eine Sitzbank zieht sich an der Wand entlang und säumt die Tanzfläche mit den Tischen. Schwarzlichtlampen und skurrile Zeichnungen verzieren die ansonsten kahlen Wände.

In dem Lokal treffen sich die etwa 300 Männer der schwulen Minderheit von Brasov. Erst die Regenbogenfahne auf den Getränkekarten verrät, dass es sich hier um einen nicht ganz alltäglichen Club handelt. Über dem Tresen sind mehrere Warnhinweise angebracht. »Fotografieren und Filmen strengstens untersagt«, ist unter anderem darauf zu lesen. Auch innerhalb des Lokals sind Männer eines privaten Sicherheitsunternehmens präsent. Gäste kommen herein und gehen wieder. Es sind vor allem Männer, deren Outfit und Verhalten für einen Besucher aus Westeuropa nicht einmal im Traum darauf hindeuten würde, dass sie schwul sein könnten.

Der Inhaber des Clubs ist Dan Ene. Sein Lokal ist nicht nur ein Treffpunkt, um zu reden, anzubandeln und zu feiern, sondern gleichzeitig eine Hilfe- und Anlaufstelle für die Schwulen der Stadt. Ene überweist Hilfsbedürftige an Ärzte, Anwälte oder Apotheken und teilt Infobroschüren, Kondome und Gleitgel aus, was er alles aus eigener Tasche bezahlt. Der Club ist ein Nonprofit-Unternehmen. Ene macht einen monatlichen Umsatz von etwa 50 Millionen Lei, was 1 250 Euro entspricht. Allein die Miete für das Lokal beträgt allerdings 2 000 Euro. Zum Glück steuert sein Partner finanzielle Mittel bei und sichert so das Überleben des Lokals.

Der Club V ist eine Besonderheit in einer Stadt wie Brasov. Wie überall gibt es auch in Rumänien Unterschiede zwischen den einzelnen Städten. Sibiu und Cluj sind Universitätsstädte, in denen wegen der Präsenz von Intellektuellen und Westeuropäern die Toleranz gegenüber Homosexuellen größer ist. Brasov, eine Stadt mit 320 000 Einwohnern, ist hingegen von jeher eine Handels- und Industriestadt, in der es von verbohrten Traditionen und Konventionen nur so wimmelt. Natürlich leidet dadurch die Akzeptanz der Homosexuellen.

Die rumänische Gesellschaft ist geprägt von Urteilen und Vorurteilen, die die Menschen voneinander haben. Ist ein Mitglied der Gesellschaft »krank« – und Schwulsein wird in Rumänien in aller Regel als Krankheit definiert –, muss ihm dringend geholfen werden, auf welche Art und Weise auch immer. Wenn man sich in der Öffentlichkeit als Homosexueller outet, wird man im besten Fall als gestört betrachtet. Schwulsein wird als vergängliche Krankheit betrachtet, die mit der richtigen Medizin zu heilen ist. Was meistens bedeutet, dass eine Ehefrau empfohlen wird. Trifft man in seinem Umfeld auf weniger tolerante Menschen, wird man als Schwuler nicht selten ausgelacht, gedemütigt oder sogar zusammengeschlagen. Die einzige Möglichkeit, sich gegen öffentliche Demütigung zu wehren, ist eine Klage wegen Beleidigung. Das Vergehen wird im besten Fall mit einer geringen Geldbuße bestraft.

Die rumänische Regierung versucht, den Vorurteilen in der Gesellschaft entgegenzuwirken, in dem sie mediale Aufklärungsarbeit leistet. Um einen Beitritt in die EU überhaupt möglich zu machen, musste die Regierung mehrere Gesetze von Grund auf ändern. Im Jahr 2001 strich sie etwa den Paragraphen 200, der sexuelle Handlungen zwischen Gleichgeschlechtlichen mit hohen Geldstrafen und Gefängnis bestrafte, aus dem Gesetzbuch, bis auf einen Absatz. Es ist nach wie vor verboten, in der Öffentlichkeit seine Zuneigung zum gleichen Geschlecht zu zeigen oder Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen zu haben.

Die Regierung setzte die Änderung im Senat durch, obwohl viele Abgeordnete dagegen waren. Der letzte Vertreter von »Moral und Vernunft«, wie sich die von mehreren Parteien im Parlament vertretene orthodoxe Kirche selbst bezeichnet, sträubte sich selbstverständlich gegen den Beschluss. Man brachte die Kirche schließlich dazu, die Gesetzesänderung nicht zu blockieren, indem man sie erpresste. In mehreren Fällen waren Erzbischöfe wegen sexueller Belästigung angeklagt. Aber wie der Zufall so spielt, wurden sämtliche Klagen unter den Teppich gekehrt.

Seit 1994 besteht zudem die Stiftung Accept, die der Homophobie entgegenwirken will. Sie bezieht Gelder von der EU, die für notwendige Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit bereitgestellt wird, um Homosexualität in der Gesellschaft zu thematisieren. Dass Accept regen Kontakt mit der Regierung hält, um die Rechte Homosexueller zu verteidigen, mag durchaus löblich sein, dennoch kümmert die Organisation sich in keiner Weise um ihre eigentliche Aufgabe. So fühlt sich der Inhaber des Clubs V von Accept im Stich gelassen. Seiner Meinung nach sollte die Stiftung mehr Aufklärungsarbeit unter den rumänischen Schwulen leisten, und es müsste einen regen Kontakt zwischen der Stiftung und den Clubs und Bars geben, die sich überall verstreut im Land befindenden. »Ein Vertreter der Stiftung hat sich seit der Eröffnung des Clubs im vergangen Mai hier nicht mehr gezeigt«, moniert Ene, obwohl sich die Lokalität durch Mundpropaganda zu einem wichtigen Bestandteil der Schwulenszene entwickelt hat.

Dan Enes größter Wunsch ist es, seinen Club in eine Stiftung zu verwandeln, um auch offiziell Hilfe und Beratung leisten zu können. Mit der Unterstützung von Accept kann er allerdings bei diesem Vorhaben nicht rechnen.