Wie im echten Krieg

Skandal oder normale Härte? In der Bundeswehrkaserne in Coesfeld gehörte Folter zur Grundausbildung, doch niemand sprach darüber. von frank brendle

Im vergangenen Sommer erlitt die Bundeswehr ihren bislang größten Verlust: Rund 80 Rekruten gerieten in einen Hinterhalt arabischer Terroristen und wurden gekidnappt. In der Geiselhaft wurden sie getreten, geschlagen, mit Wasser abgespritzt, einige erhielten Stromstöße. Das Codewort »Tiffy« hätte ihnen die Freiheit gebracht – doch bis auf einen schwiegen alle. Ein deutscher Soldat kennt keinen Schmerz.

Zwischen Juni und August mussten sich in insgesamt vier Gruppen von Soldaten dieser Prüfung unterziehen. Bei den Terroristen handelte es sich um 20 Unteroffiziere und einen Offizier der Bundeswehr, die auf recht grobschlächtige Weise die Grundausbildung ihrer Untergebenen abschlossen.

»Deutsche Soldaten foltern nicht«, hatte Wehrminister Peter Struck noch im Mai verkündet. Vorgänge wie in den US-Militärknästen im Irak seien hier undenkbar. Nun ist Struck sauer: »Wer Untergebene misshandelt, muss seine Uniform ausziehen«, erklärt er. General Ernst Heinrich Lutz vom zuständigen Heerestruppenkommando zeigt sich »geplättet«, und der grüne Militärpolitiker Winfried Nachtwei findet die Vorfälle »sehr beunruhigend«. Übereinstimmend wird betont, das Verhalten der Unteroffiziere sei nicht hinnehmbar, die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen fünf Haupttäter und mindestens 16 Mitwisser.

Bundeswehrangehörige lassen ihren Gewaltphantasien häufiger freien Lauf, einige hundert »Vorkommnisse« meldet der Wehrbeauftragte des Bundestages jährlich. Wenn Soldaten mit angelegten ABC-Schutzmasken 20 Minuten lang die Nationalhymne singen müssen, wirkt das noch eher kurios. Aber auch die Disziplinierung mittels Fesselung und Schlägen wird gerne praktiziert.

Ein derart brutales Vorgehen wie in der Ausbildungskompanie Coesfeld aber ist bislang noch nicht öffentlich geworden. Politiker und Militärs reden von einem »Einzelfall« – nach einem Bericht des WDR vom vergangenen Freitag soll sich in Ahlen Ähnliches zugetragen haben – und rätseln, warum sich von den 80 Soldaten kein einziger beschwert hat. Helmuth Prieß von der kritischen Soldatenvereinigung »Darmstädter Signal« wies die Berliner Zeitung darauf hin, dass über die Betroffenen hinaus Hunderte von Soldaten »beim Gespräch in Kantinen und Gemeinschaftsräumen« von den Vorgängen erfahren haben müssten. Auch der Militärjurist, der schließlich die Misshandlungen anzeigte, hörte beim Kaffeetrinken davon. Für die »Armee der Staatsbürger in Uniform« seien die Vorfälle »ein Schlag ins Gesicht«, erklärt Winfried Nachtwei. Der Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Robert Bergmann, nähert sich dem Kern des Skandals, wenn er resümiert, dass viele Soldaten die Misshandlungen hingenommen hätten, »ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, wie schwer wiegend das ist, was man da mit ihnen gemacht hat«.

Eben: Schlagen und geschlagen werden gehört nun mal zu einer Angriffsarmee und der geforderten »einsatznahen Ausbildung«. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien wurde bereits vor über zehn Jahren gefordert, sich »an den realen Bedingungen von Krieg, Gefahr und menschlichem Elend« zu orientieren. Deswegen äußern Oberst Bernhard Gertz vom Bundeswehrverband und der oberste Erziehungsbeauftragte im Verteidigungsministerium, General Alois Bach, Verständnis für die Misshandler. Sie hätten »in dem irrigen Glauben, die Ausbildung gut und interessant zu gestalten«, gehandelt, nur etwas zu eigenmächtig, sagt General Bach. Andere suchen die Schuldigen lieber im Ausland: Struck gab die Order zu prüfen, ob die Soldaten im Auslandseinsatz verrohten – durch die Gewalt, der sie ausgesetzt sind, nicht etwa durch die, die von ihnen ausgeht. Der Wehrbeauftragte gab einem Bericht der taz bedenken, die Misshandler hätten sich möglicherweise an jenen US-Soldaten ein Beispiel genommen, die irakische Gefangene misshandelt haben.