Ein Profil wird erstellt

Hartz IV ist nicht das einzige Übel. Aus der Welt der Maßnahmen berichtet robert richter

Eine Einladung zu erhalten, die man nicht ohne negative Konsequenzen ablehnen kann, ist eine wenig erquickliche Angelegenheit. Ohnehin verspricht die Bundesagentur für Arbeit nichts Gutes: »Die Trainingsmaßnahme informiert seit kurzer Zeit arbeitslose (…) Personen über die Möglichkeit der Reintegration im Rahmen der Reformen am Arbeitsmarkt. In einer zeitlich komprimierten Form werden dem Teilnehmer die dazu erforderlichen Kenntnisse vermittelt.« Reintegration, das klingt wie eine Drohung.

Am Montagmorgen um sechs Uhr heißt es, sich aus dem Bett quälen, nach Moabit zur Akademie für Betriebswirtschaftliche Weiterbildung fahren und seine körperliche Anwesenheit zeigen. Das kennt man ja noch aus der Schule. Der Kreis der akademischen Teilnehmerinnen besteht nicht nur aus den üblichen Verdächtigen. Neben Sozialpädagogen und Geisteswissenschaftlerinnen hat es auch Informatiker, Juristen, Geologen und Maschinenbauingenieure sowie vier Ärztinnen nach Alt-Moabit 91C verschlagen. Unter dem Punkt »Ihre Rechte und Pflichten als Arbeitslose« wird das Arsenal an Schikanemöglichkeiten, welche das Sozialgesetzbuch der Agentur für unwillige Leistungsbezieherinnen bereitstellt, in komprimierter Form vorgestellt. Erwerbslose dürfen Berlin nur mit Zustimmung der Agentur verlassen, oder – welch ein Wunder – die Bezüge werden gekürzt; sie müssen »Eigeninitiative« nachweisen, sonst gibt es 20 Bewerbungen monatlich als Strafarbeit. Alles, was man will, muss vorher beantragt werden, wobei die Bewilligung im Ermessen des Arbeitsvermittlers liegt; nach vier Monaten muss jede »zumutbare« Arbeit im Bundesgebiet angenommen werden usw. usf. Ein kleines Trostpflaster: Da in Berlin gegenwärtig noch 700 Arbeitssuchende auf eine Arbeitsvermittlerin kämen, sei die Wahrscheinlichkeit, besonders heftig schikaniert zu werden, gering.

Was folgt, ist nichts weniger als die Regression von Akademikern zu willigen Objekten. Der nahende soziale Abstieg in Form von ALG II macht es möglich. »Profiling, berufsfeldübergreifend« heißt die Lektion. Jede Teilnehmerin soll vor der Gruppe darstellen, wie sie gedenkt, ihre Arbeitslosigkeit zu überwinden. Das hört sich dann in etwa so an: »Ich bin Dr. Soundso, ich war an der TU wissenschaftlicher Mitarbeiter. Meine persönliche Strategie ist die Aktivierung meines sozialen Netzwerkes, ich werde bei meinem ehemaligen Arbeitgeber anrufen und Kontakte zu den dort noch Beschäftigten aufrechterhalten, um Neues im Hinblick auf eine etwaige Stellenbesetzung zu erfahren. Außerdem werde ich telefonische Initiativbewerbungen starten …« Die monotone Stimme, mit der solche Sätze vorgetragen werden, erinnert ebenfalls an die Schule, an mehr oder weniger auswendig gelernte Gedichte, die verstockt aufgesagt werden.

Dann prasselt es Ratschläge für Bewerbungen, die tatsächlich von manchen Teilnehmerinnen begierig aufgenommen wurden. Welche Papierstärke sollte optimalerweise für ein Bewerbungsschreiben benutzt werden, und wie vermarkte ich mich telefonisch am besten? Anschließend hat jeder Teilnehmer auf einem Zettel sein berufliches, persönliches und wirtschaftliches Traumziel niederzuschreiben. »Damit Ihnen bewusst wird, was Sie erreichen wollen.«

Schließlich ist noch ein Bogen mit den beruflichen Qualifikationen auszufüllen, der bei der Agentur für Arbeit bleibt. 18 Fähigkeiten und Kenntnisse dürfen genannt werden. Von der Agentur wurde offensichtlich jede von ihren Mitarbeitern denkbare Qualifikation aufgeschrieben, alphabetisch geordnet und mit einer Schlüsselnummer versehen. Von Almauftrieb über Joghurtkulturen bis Zuaheli ist alles dabei, nur Kleinigkeiten wie etwa ein Diplom fehlen in der telefonbuchstarken Liste.

Damit sich auch niemand vorzeitig abseilt, werden erst zum feierlichen Abschluss des Profiling die Fahrtkosten erstattet. Für einen aus Kreuzberg anreisenden Teilnehmer fallen 5,76 Euro für vier U-Bahnfahrten an. Gerade genug, um in der nächsten Kneipe zwei Bier zu trinken und sich in die Gesellschaft zu reintegrieren.