Wild verloren

Einigung bei Opel von felix baum

»Europa ist nicht Texas«, warnte der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, das Management von General Motors Anfang Oktober. Zwei Monate später gibt die IG Metall Entwarnung. Der vom Management angekündigte Abbau von 10 000 Stellen in den deutschen Opel-Werken erfolgt »sozialverträglich«. Ein Drittel der überflüssigen Arbeiter soll in Altersteilzeit gehen, der Rest mit einer Abfindung freiwillig verschwinden und vor allem in »Auffanggesellschaften« geparkt werden. Die Gewerkschaft rühmt sich, Opel 750 Millionen Euro »aus den Rippen geschnitten« zu haben.

Für die Arbeiter dürfte das Verhandlungsergebnis keinen großen Unterschied zu den anfänglichen Plänen des Managements machen, und ob genügend von ihnen den Deal annehmen, um betriebsbedingte Kündigungen überflüssig zu machen, ist noch nicht ausgemacht. Anzunehmen ist dagegen, dass die Beschäftigungsgesellschaften für die meisten nur ein Zwischenaufenthalt auf dem Weg in die Arbeitslosigkeit sein dürften. Für die verbleibenden Beschäftigten stehen Lohnkürzungen und längere Arbeitszeiten an, und auch in dieser Frage wird Opel im Co-Management mit der Gewerkschaft seinen Sanierungskurs ungehindert fortsetzen können.

Lästig war dagegen, dass die Arbeiter bei Opel in Bochum Anfang Oktober auf gewerkschaftliche Rituale pfiffen und den ersten bedeutenden wilden Streik hierzulande seit den siebziger Jahren führten. Die Lähmung der Arbeiterklasse angesichts der täglich verkündeten Angriffe schien überwunden, und nach knapp einer Woche begann die spontane Aktion die Produktion in anderen Opel-Werken zu beeinträchtigen. Gut für Opel, dass die Gewerkschaft ihr Verhandlungsmonopol wieder herstellen konnte und der Spuk ein Ende fand. Einmütig behaupten nun linke Gewerkschafter, Trotzkisten und die stalinistische MLPD, mit etwas mehr Durchhaltevermögen und ohne Hintertreibung durch die Gewerkschaftsbürokraten hätte ein längerer Streik die Massenentlassungen tatsächlich abwenden können, anstatt sie nur sozialstaatlich zu kaschieren.

Anders als die wilden Streiks der sechziger und siebziger Jahre haben heute auch unkontrollierte Kämpfe meist defensiven Charakter. Damals drückten wilde Streiks die Abneigung gegen die monotone Fabrikarbeit aus und kommunizierten mit subversiven Tendenzen in anderen gesellschaftlichen Bereichen; zumindest konnten sie materielle Verbesserungen erkämpfen. Dagegen steht die Arbeiterklasse heute mit dem Rücken zur Wand.

In der Autoindustrie setzen die Überkapazitäten einen verschärften Verdrängungswettbewerb auf die Tagesordnung. Das Opel-Werk in Rüsselsheim, dessen Belegschaftszahl halbiert werden soll, erreicht eine Auslastung von nur 60 Prozent. Die Verteidigung unrentabler Arbeitsplätze aber ist ein chancenloses Unterfangen, dessen Erfolgsaussichten auch wilde Streiks nicht steigern. Forderungen nach einem »Verbot von Entlassungen« sind schlichtweg illusorisch.

Als militantere Kampfform zur Durchsetzung gewerkschaftlicher Ansprüche stoßen in der gegenwärtigen Krise auch wilde Streiks rasch an ihre Grenzen. Weiten sie sich aus und finden mit anderen sozialen Kämpfen zusammen, kann die Aufhebung des Arbeitsalltags und die Abschüttelung gewerkschaftlicher Kontrolle aber auch die Chance bieten, über begrenzte Forderungen hinauszugehen und den sozialen Frieden tatsächlich aufzukündigen. Dann könnte vielleicht auch der Widerspruch, dass die steigende Produktivität nur zu mehr Elend führt, aufgelöst werden.