Ärmer als die Grünen

Nach der Bundestagswahl 2006 will die unspaßige FDP wieder regieren. Mit einem neuen Generalsekretär und einem alten Programm. von thomas blum

Es gibt in diesem Leben sinnlose Dinge, die uns jede noch so kleine Freude am Leben nehmen wollen. Dinge wie den Berliner Winter, deutsche Filmkomödien oder Reinhard Bütikofer. Man leidet täglich unter ihnen, doch man muss, ob man nun will oder nicht, in diesem Land mit ihnen leben. Eine solche sehr quälende und dauerhafte Schmerzen verursachende Sache von dieser Sorte, die da ist und immer da war, so weit wir zurückdenken können, von der aber bis heute kein Mensch weiß, wozu sie da ist, ist auch die FDP.

Jahrzehntelang hat die selbst ernannte »Partei der Besserverdienenden«, von einer kleinen, radikalen Minderheit beharrlich unterstützt, das Land mitregiert, um als so genannte Bürgerrechtspartei tatkräftig beim Abbau der Bürgerrechte zu helfen. Jetzt streitet sie engagiert gegen den »ungerechten Verteilungsstaat«, der das Geld den Sozialschmarotzern in den Rachen wirft, und für die »faire Erwirtschaftungsgesellschaft«. Auch die Bekämpfung der »Forschungsfeigheit« liegt ihr am Herzen, soll wohl heißen: Solange sich mit Atomenergie und Genmanipulation Geld verdienen lässt, brummt der Laden.

Bis die Partei schließlich nicht wenige ihrer Wähler, die das radikal neoliberale Programm der FDP bei den Grünen in besseren Händen sahen, an Fischer & Co. verlor, deren Wählerklientel es mittlerweile »finanziell längst besser geht als dem liberalen«, wie der Wahlforscher Jürgen Falter festgestellt hat. Ihm zufolge haben die Grünen die FDP »auch bei den Spitzenverdienern überholt«.

Der Vorsitzende der FDP ist seit 2001 Guido Westerwelle, ein sich unbarmherzig optimistisch gebender Mann, der ununterbrochen spricht und permanent auf allen Kanälen im Fernsehen zu sehen ist. Als er in sein Amt gewählt wurde, unterstellte man ihm, die FDP zu einer »Spaßpartei« machen zu wollen, was ein bezeichnendes Licht darauf wirft, was hierzulande als Spaß verstanden wird, zumal die Partei nach wie vor ungefähr so spaßig ist wie eine Blasenentzündung.

Von den anderen Parteien unterscheidet sich die FDP also im Wesentlichen dadurch, dass sie kleiner ist, was jedoch niemanden zu der irrigen Annahme verführen sollte, sie sei deshalb weniger schlimm. Naturgemäß ist es mit den kleinen Parteien, den Grünen und der FDP, so: Zuerst unterschätzt man sie und bemerkt sie kaum, dann aber setzen sie sich umso unnachgiebiger fest auf der Regierungsbank.

Und genau dahin will die FDP, nach über sechs Jahren in der Opposition, 2006 zurück. Zu diesem Zweck hat ihr Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Wolfgang Gerhardt, der typische Mann ohne Eigenschaften, vorab schon mal ein viel beachtetes Wahlprogramm veröffentlicht. Denn nach der nächsten Bundestagswahl möchte er, ungeachtet seiner beängstigenden Leblosigkeit, die immer wieder mit Solidität und Bedächtigkeit verwechselt wird, Außenminister werden.

»Erklärung zur Verantwortung für Deutschland« heißt seine Schrift, mit dick aufgetragenem Pathos formuliert, und was auf den 37 Seiten steht, ist alles andere als neu: Die Hochschulen sollen endlich Studiengebühren erheben, mehr Atomkraft, radikale »Arbeitsmarktreformen«, eine Privatisierung des Gesundheitssystems und Steuersenkungen für Unternehmer müssen her, die Gewerkschaften sollen endlich Ruhe geben.

Im Übrigen herrscht der parteiübliche, marktschreierische Reklametonfall: Innovationskraft, Deregulierung, Eigenverantwortung, Blablabla, Deutschland! Marktwirtschaft ist die beste Sozialpolitik. Und wer nicht will, soll schauen, wo er bleibt. Dass die FDP als eine Art parlamentarischer Arm des BDI und der Arbeitgeberverbände fungiert, ist allgemein bekannt. Wozu also die ganze Aufregung um das Papier eines Fraktionsvorsitzenden?

Selbst der Parteivorsitzende gibt bemerkenswert offen zu, dass in Gerhardts Schrift »nichts drinsteht, was von den Grundzügen unserer bisherigen Politik abweicht«. Es ist praktisch der alte Käse, neu verpackt.

Ganz abgesehen davon aber wird im Grunde ja die ganze Partei schon lange nicht mehr gebraucht, machen doch die CDU und die SPD schon längst »eine Politik, als wäre Graf Lambsdorff ihr Ehrenvorsitzender« (Süddeutsche Zeitung).

Etwas Neues aber (bzw. vielmehr einen Neuen) wird sich die FDP auf ihrem im Mai stattfindenden Bundesparteitag dennoch leisten: einen neuen Generalsekretär, der wie geschaffen dafür scheint, die Liberalen zu repräsentieren. Dirk Niebel heißt der Mann, und sein Lebenslauf könnte nicht aussagekräftiger sein: »Als er 14 war, klebte er (…) nachts Plakate für die Junge Union und fand das ungeheuer spannend.« (Frankfurter Rundschau) Dann will er Fallschirmjäger werden und verpflichtet sich für acht Jahre als Zeitsoldat bei der Bundeswehr, bevor er schließlich … na? … genau: Verwaltungswesen studiert, um hernach Arbeitsvermittler im Arbeitsamt zu werden und der FDP beizutreten, für die er seit 1998 im Bundestag sitzt. Ein beeindruckender, geradezu atemraubender Bilderbuchzombielebenslauf. Es scheint beinahe, als habe der Mann geradezu vorsätzlich und von einem masochistischen Bedürfnis angetrieben nacheinander die hierzulande unangenehmsten Vereine abklappern wollen: Junge Union, CDU, Bundeswehr, Arbeitsamt, und als Krönung schließlich die FDP. Im Nebenberuf ist er überdies, als sei das alles noch nicht genug, als Kolumnist der fragwürdigen Boulevard- und Sexpostille Praline tätig, wo er den Lesern engagiert »die Reformen rund um Hartz IV erklärt – ›Mit Niebel und Praline raus aus der Arbeitslosigkeit‹ lautet einer der letzten Arbeitstitel« (Die Welt).

Sich selbst charakterisiert der prototypische modern-dynamische Langweiler als »loyal« und »fleißig«. Ein Aktenträger also, der gerne kommandiert wird. In Interviews sagt er denkwürdige Sätze: »Ich bin ein lebensbejahender Mensch. Ich liebe meine Frau, meine Kinder, meinen Hund.«

Die für den Posten des Generalsekretärs unabdingbare Technik des sinnfreien Sprechens in euphemistischem Bürokratie- und Politreklameslang beherrscht der »scharfzüngige« (Frankfurter Rundschau) Redner auch schon perfekt: Seine Partei habe kein »programmatisches«, sondern ein »Vermittlungsdefizit«, sagt er.

Er hat auch eine Meinung, nämlich die, die alle anderen auch haben. Die Hartz-IV-Reformen, die ihm zufolge nichts anderes sind als ein »bisschen Schräubchen hier und Schräubchen da drehen«, gehen ihm nicht weit genug. Wie fest er bei arbeitsunwilligen Delinquenten die Schraube ziehen will, sagt er ganz ungeniert. Die Hartz-Reformen seien »ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir brauchen aber wesentlich mehr Veränderungen.«

Der Mann, dessen »lebensbejahendes, fröhliches Wesen« vom Parteivorsitzenden gelobt wird, wird Generalsekretär. Der stellvertretende Parteivizevorsitzende, Rainer Brüderle, nennt ihn eine »Kampfmaschine«. Man wird lernen müssen, mit ihm zu leben.

Die FDP, die auf ihrem Parteitag einen Autor der Praline zu ihrem Generalsekretär wählen wird, werde auch künftig »neue Wege mit unkonventionellen Mitteln gehen«, verspricht Guido Westerwelle. Welche Wege und Mittel das sein werden, lässt sich nur erahnen, doch wer schlimme Befürchtungen hegt, dem sei mitgeteilt, dass er nicht ganz falsch liegt.