Autoritäres Pilotprojekt

Hubschrauber sollen Sprayer jagen von jan langehein

Die Polizeigesetze werden permanent verschärft, die Zahl der abgehörten Telefongespräche erreicht jedes Jahr neue Höchststände, die Exekutive hat sich Zugang zu den Kontodaten der Bürger sichern lassen. Und da Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) nicht ruht, bläst er nun auch noch zum Angriff auf eine Szene, die den Spießern seit jeher schlaflose Nächte bereitet. Graffiti-Sprayer sollen zukünftig nachts mit Hubschraubern des Bundesgrenzschutzes gejagt werden, mit Wärmebildkameras soll aus der Luft nach Jugendlichen mit Spraydose gefahndet werden. Zu einem ersten Probelauf kam es in der vorigen Woche in Berlin. In zwei Nächten flogen Helikopter über der Stadt, vier Sprayer wurden erwischt.

Anlass für das Pilotprojekt bot ein »Anti-Graffiti-Kongress«, den eine ominöse Vereinigung mit dem Namen »Nofitti« vergangene Woche in Berlin ausrichtete. Die Veranstalter rechneten vor, dass die Entfernung von Sprühereien in Deutschland jährlich einen Schaden in dreistelliger Millionenhöhe verursache. Das war Grund genug für Schily, den »War on Graffiti« auszurufen.

Den Sprayern wird so eine Aufmerksamkeit geschenkt, die bisher nur Flüchtlingen an der deutsch-polnischen Grenze zuteil wurde. Jugendlichen, deren Aktionen juristisch gesehen gerade mal den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllen, wird das ganze Arsenal der Staatsgewalt entgegengesetzt. Der betriebene Aufwand ist gemessen an den Vergehen derart absurd, dass man mit der Kategorie der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu argumentieren braucht.

Der Zweck solcher Kampagnen ist auch nicht wirklich die Verfolgung von Straftaten, sondern vielmehr die Mobilisierung des autoritären Charakters. Regelmäßig wird dem so genannten kleinen Mann nahe gelegt, auf wen er seine Wut über die gesellschaftlichen Verhältnisse in der ökonomischen und politischen Dauerkrise projizieren kann. Im vergangenen Jahr war es die Jagd auf »Florida-Rolf«, der den Hass aufs gute Leben ohne Arbeit auf sich zog. Dann waren es die deutschen Manager, denen Vaterlandsverrat vorgeworfen wurde. Was in den beiden genannten Fällen jedoch auf Medienkampagnen beschränkt blieb, nimmt im Fall der Graffiti-Künstler die Form einer veritablen Menschenjagd an. Am Donnerstag vergangener Woche überfuhr eine Polizeistreife in Berlin-Marzahn auf der hysterischen Jagd nach Sprayern einen unbeteiligten Motorradfahrer, der Mann starb noch am Unfallort.

Genutzt werden derartige Kampagnen auch zur Verschärfung der Repression. Wenn es um die Jagd auf Steuersünder geht, akzeptieren viele Deutsche es offensichtlich, dass der Staat ihre Kontodaten einsehen darf, und auch gegen die nächtliche Überwachung von Großstädten mit Hubschrauber und Wärmebildkamera werden nur wenige etwas einzuwenden haben, wenn er nicht gerade über dem eigenen Hausdach kreist. Wer sich nichts zu schulden kommen lasse, so das sattsam bekannte antiliberale Argument, habe schließlich auch nichts zu befürchten.

Was in den siebziger und achtziger Jahren von Linken und Liberalen bekämpft wurde, wird heute unter der Ägide eines ehemaligen Anwalts der RAF schrittweise in die Tat umgesetzt: die Verwandlung einer leidlich liberalen Demokratie in einen autoritären Staat. Mit Massenprotesten gegen die autoritäre Formierung müssen Schily und seine Freunde derzeit nicht rechnen. Das gesellschaftliche Klima hat sich gewandelt, und die Bundesregierung darf gerade dort auf die Zustimmung der Bürger hoffen, wo sie die Freiheit dieser Bürger einschränkt.