Pink Floyd spielen

Die australische Coverband Beyond The Darkside kopiert die »Delicate Sound of Thunder«-Tour der Rocklegende Pink Floyd. von uli krug

Wenn man in der Berliner U-Bahn-Linie 5 Richtung Lichtenberg schwarz-weiß-rote Aufkleber mit schwerst proletarischer Symbolik sieht, verheißt das für gewöhnlich nichts Gutes. Doch der Sticker mit den beiden gekreuzten Zimmermannshämmern kündet von einem ganz und gar harmlosen musikalischen Retro-Spektakel. »Beyond The Darkside«, die »Nr. 1 Pink-­Floyd-Show« aus Australien, gastiert in Berlin. Die Show schleppt dafür nicht nur raue Mengen von Silvester-Party-Equipment mit sich herum (»150 Moving Lights, 150 000 Watt Laser-Lichtshow, 50 000-Watt-7.1-Surround-Sound, runde Videowand Cyclorama’ Pyro«), sondern bringt gleich auch noch »ihre eigene Arena mit 500 Sitzplätzen und 2 000 Stehplätzen« und »eine 130 Quadratmeter große Bühne« mit, wie die Veranstalter betonen.

Diese Werbung ist angesichts des Primats der Logistik konsequent und ehrlich. Genauso ehrlich wie die Musik, die »9 hoch­karätige Musiker« zu Gehör bringen, auch da keine Überraschungen: »3 Stunden, unterbrochen von einer 20minütigen Pause«, gibt es »1 zu 1 Replikationen von Pink ­Floyd Songs«, und zwar »die komplette ›Delicate Sound of Thunder‹-Tour aus dem Jahr 1989«.

1989?, wird sich da mancher fragen, gab es da Pink Floyd überhaupt noch? Eigentlich nicht. Was es damals gab, war eine höchst zweifelhafte Re­union von Rest-Pink-Floyd – nämlich ohne das einstige Band-Mastermind Roger Waters –, die 1987 eine noch viel zweifelhaftere Platte herausbrachten (»A Momentary Lapse Of Reason« – ein sehr treffender Titel übrigens), um dann gleich eine vollends dubiose Sta­dion-Tournee zu absolvieren, eben jene »Deli­cate Sound of Thunder«-Tour. Und weil die selber bloß die XXL-Version der Altherrenauftritte bei den allsommerlichen Oldie-Nächten in der Waldbühne (»mit mindestens drei Original-Mitgliedern von …«) war, bestand das Programm von »Delicate Sound Of Thunder« denn auch im Wesentlichen aus einem Potpourri der zwei mit Abstand schwächs­ten, aber kommerziell erfolgreichsten Alben von Pink Floyd: »The Dark Side Of The Moon« und »The Wall«. Be­yond The Dark­side bieten den Aufguss vom Aufguss, ein erfolgreich vorgetestetes Wellness-Listening, zu dem mittelalte Eltern gemeinsam mit ihren Pop hörenden Kindern gehen können.

Komplette Tourneen aus den glamouröseren Tagen des Rock originalgetreu nachzuspielen und nachzuinszenieren, ist aber nicht nur der Coverband Beyond The Darkside als Geschäfts­idee eingefallen – sie ist mit nahezu 15 Jahren Imitationspraxis nur die routinierteste dieser Sparte. Große Erfolge feiert auch der Genesis-Klon The Musical Box in den letzten Jahren mit den beiden auf die Note genau live dargebotenen Alben »Selling England By The Pound« und »Lamb Lies Down On Broadway« (1973 und 1974). Hier wird – Gipfel der Pseudo-Authentizität – sogar darauf geachtet, dass die Musiker den damaligen Mitgliedern von Genesis ähnlich sehen. Vom Prinzip her macht es eben nur einen einzigen unmittelbar erkennbaren Unterschied, ob nun ein Trupp Studiomusiker oder ein übrig gebliebenes Original wie Roger Waters (am 8. Juni 2006 in der Wuhlheide, natürlich mit dem Komplettprogramm der 1973/74er »The Dark Side Of The Moon«-Tour) die Replikation abliefert: Es besteht nämlich eine empfindliche Preisdifferenz.

Es wäre ein Leichtes, das Phänomen mit Spott über die Rückkehr der Dinosaurier aus der Retorte zu erledigen. Parallelen zum Rest der Retro-Welle liegen ja durchaus nahe. Tausende Ranking-Shows wie »Die besten Hits des Jahrhunderts«, »… der sechziger Jahre«, »… Deutschlands« oder gleich »… aller Zeiten« beweisen das endgültige Herabsinken des Repertoires von Rockmusik zu Kara­oke-Material für knödelnde Klassenkasper wie Dieter Bohlens »Superstars« – ein Prozess, den man bereits in der Vor-Casting-Ära kannte, damals aber noch vornehm »Dekontextualisierung« nannte.

Etwas ist aber anders beim Prog-Revival-Boom: die recycelte Musik selber nämlich. Kaum vorstellbar, dass es eines der besseren Stücke aus den Frühzeiten von Pink Floyd oder Genesis in die Phalanx der mitzuklatschenden Musikhäppchen schafft, die sonst so unter »Siebziger-Retro« firmieren. Mit der Sperrigkeit minutenlanger Orgel-Variationen oder schräger Töne aus den allerersten Moog-Synthesizern kokettieren wiederum die Retro-Shows und locken ihre Zuschauer mit dem, was einerseits wehmütig erinnertes Signum des Progressive Rock ist, aber garantiert nicht von diesen Shows geboten wird – und schon gar nicht von Beyond The Darkside, die aber trotzdem genau damit hausieren, unter dem Label »experimentell und innovativ«.

Denn so schlecht, wie die Show ausfällt, ist nicht unbedingt das Bedürfnis, das sie zu bedienen sucht - im Gegenteil. Nicht nur, dass es durchaus Höherwertiges in den Sieb­zigern gab als den genau auf die romantischen Bedürfnisse von Früh-Öko-Gymnasisasten berechneten Prog, den Pink Floyd, Genesis und Yes allzu häufig zum Besten gaben. Hörenswert beispielsweise sind die Muffin Men mit ihrem Zappa-Revival-Programm. Das Problem des Prog-Retro-Bedürfnisses liegt vielmehr einfach darin, dass die musikalischen Formen des Progressive Rock als »experimentelle und innovative« nicht wiederholbar sind.

Der Grund dafür ist zum einen, dass die musikalischen Produktivkräfte sich seit damals rasant entwickelt haben. Im Zeitalter nahezu unbegrenzter digitaler Möglichkeit kann der typische Siebziger-Jahre-Mellotron-Sound nicht mehr sein als ein Zitat. Strickt man aber das ästhetische Muster stur so weiter und verkauft das als progressiv, was es längst nicht mehr sein kann, wird das Ganze lächerlich oder reaktionär. Bestenfalls klingt eine solche Neo-Prog-Band dann wie eine Retro-Gruppe ohne Cover-Versionen (Motorpsycho) oder gleich wie Dream Theater, Porcupine Tree etc., deren Sound immer aus zwei je verschieden gemischten Grusel-Komponenten besteht: Marillion und Metallica nämlich.

Zum anderen ist der musikgeschichtliche Moment, in dem progressive Rockmusik entstand, verstrichen und kann nicht mehr zurückgeholt werden: der Moment zu Beginn der siebziger Jahre, in dem die Genre-Grenzen zwischen psychedelischem Underground, freien Spielformen des Jazz, moderner E-Musik und Rock überschreitbar schienen und in dem das Entstehen einer Menge heute noch atemraubend frech wirkender, wenn auch nicht immer gelungener Hybride möglich war.

Sollte beispielsweise jemand auf die Idee kommen, die Musik der Canterbury-Band Soft Machine live nachzuspielen, wäre dieser Hybriden-Retro aus Miles Davis’ »Bitches Brew« und britischem Psychedelic-Sound auf keinen Fall peinlich und würde obendrein daran erinnern, dass der Begriff Experiment nicht immer schon mit Personalabbau und Gesundheitsreform kontaminiert war. Aber ich will nicht gleich so unbescheiden sein. Eine Neuauflage des augenzwinkernden Prog-Sounds von Focus beispielsweise würde einen sicher auch bestens unterhalten, allein schon wegen der gejodelten Kirchenmusik-Adaption im Hard-Rock-Format: »HocusPocus«, die 1972 sogar ein echter Hit war, was man sich heute schlechterdings kaum noch vorstellen kann.