So viel ist sicher

Dem Hamburger Justizsenator Roger Kusch gebührt die Ehre, den Strafvollzug in seinem Land vollständig umgekrempelt zu haben. von gaston kirsche

Sicherheit ist nicht mehr allein das Markenzeichen süddeutscher Vollzugspolitik. Das frühere Laisser-faire im Hochsicherheitsbereich des Hauses II der Justizvollzugsanstalt Fuhls­büttel, das der Unterdrückung, der Gewalt und dem Drogenhandel unter den Gefangenen Vorschub leistete, wurde beendet«, heißt es in der neuesten Broschüre der Hamburger Justizbehörde. Unter der Überschrift »Soviel ist sicher« ist nachzulesen, was der Justizsenator Roger Kusch (CDU) und seine Mitarbeiter seit seinem Amtsantritt im Herbst 2001 alles geleistet haben.

So seien etwa der offene Vollzug »auf das erforderliche Maß zurückgefahren« und die Gnadenerweise und Vollzugslockerungen stark eingeschränkt worden, während der Anteil arbeitender Gefangener stark gestiegen sei. »Wer nicht mitzieht, erhält eine solide Grundversorgung, verbunden mit allen Einschränkungen für den Tagesablauf«, heißt es zum Wandel »vom Angebots- zum Chancenvollzug«. Alle Änderungen dienen selbstverständlich der Sicherheit der Bürger, die unter der rot-grünen Regierung »oft auf der Strecke« geblieben sei.

In »schmutzigen und heruntergekommenen Zellen« müssten die inhaftierten Männer und Frauen leben, der Zustand der Abschiebeabteilung in der Untersuchungshaftanstalt sei »extrem schlecht«. Das steht in einem vorige Woche veröffentlichten Bericht einer Delegation des Anti-Folter-Komitees des Europarates (CPT). Unter der Leitung der britischen Präsidentin des CPT, Silvia Casale, hatte die Delegation im November letzten Jahres meh­rere Bundesländer besucht. Die Zustände in der Hamburger Abschiebehaft rügte sie als »völlig inakzeptabel«.

So würden in der Untersuchungshaft­anstalt Holstenglacis Frauen und Männer »allein oder zu zweit 23 Stunden pro Tag in ihren Zellen eingeschlossen, wo sie fast nichts haben, mit dem sie sich beschäftigen könnten« – keine Bücher, kein Fern­sehen. Im Bericht der CPT ausdrücklich genannt werden weiterhin die »systema­tische Zensur der Korrespondenz, keine Möglichkeit zu telefonieren, Besuche nur für eine halbe Stunde alle 14 Tage« sowie Fälle von »grober Behandlung« und »verbalen Beschimpfun­gen« durch die Schließerinnen und Schließer. Deshalb forderte das Komitee, spezielle »Gewahrsamseinrichtungen« für Abschie­bungen zu schaffen, um den internationalen Standard einzuhalten.

Roger Kusch, ansonsten gerne in den Medien präsent, befand es nicht für nötig, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Lapidar sagte Carsten Grote, der Sprecher der Justizbehörde: »Der Bericht hat keinen Anspruch darauf, als Bibelzitat bewertet zu werden.« Er betonte, die vom Europarat geforderte Unterbringung der Abschiebehäftlinge in eigenen »Gewahrsamseinrichtungen« könne die Stadt nicht bezahlen.

Gemeint war wohl, dass Hamburgs Justiz­behörde ihr Geld lieber für die Schaffung weiterer Haftplätze ausgibt als für verbesserte Haft­bedingungen für Flüchtlinge, deren Abschiebung erzwungen werden soll. So kündigte Grote an, die Zahl der Plätze für Abschiebehäftlinge in der Justizvollzugsanstalt Fuhls­büttel auf 98 zu erweitern.

Quantität hat auch im allgemeinen Strafvollzug Priorität. Die Zahl der Gefangenen in Hamburg ist unter Kusch stark angestiegen. Allein im neuen Hochsicherheitstrakt der JVA Billwerder, die Anfang Februar in Betrieb genommen wurde, sind 384 neue Plätze entstanden.

Erst vor zwei Wochen war bekannt geworden, dass Gefangene in drei verschiedenen Knäs­ten – dem Untersuchungsgefängnis, Santa Fu und Billwerder – 20 Stunden lang nackt und gefesselt auf Pritschen gelegen hatten. Roger Kusch lobte ausdrücklich die Arbeit der Mitarbeiter des Strafvollzugs. »Ihre Arbeit in den Kontext menschenunwürdiger Zustände in ausländischen Gefängnissen zu stellen, ist schwer erträglich«, sagte er, nachdem der Gal-Politiker und Anwalt Ernst Medecke geäußert hatte, die Zustände erinnerten ihn an Guantánamo.

Vor der Hamburger Bürgerschaft sagte Kusch: »Es gibt zwei Maximen im Strafvollzug: bestmöglicher Schutz für die Bediensteten und volle Wahrung der Rechte der Gefangenen. Beides ist gleich­rangig und bei den Vollzugsbediensteten in den besten Händen.« Ausführlich las er aus dem inter­nen Bericht zum Fall des 50jährigen Niederländers vor, der im November in der Untersuchungshaft nackt gefesselt worden war. Das Fazit lautete: Die Bediensteten hätten den randalierenden Gefangenen auf der Suche nach Waffen entkleiden und fesseln müssen. Somit sei alles rechtens gewesen.

»In Hamburg wird so verfahren wie in den meisten anderen Bundesländern auch. Es geht bei den Maßnahmen um den Schutz von Bediensteten«, sagte auch der als liberal geltende Bürgermeister Ole von Beust (CDU) zur Verteidigung seines Senators, der sich Anregungen für die »Modernisierung des Hamburger Strafvollzugs«, wie er damals zitiert wurde, in einem berüchtigten US-amerikanischen Wüstengefängnis geholt hatte. Im Jahr 2002 besuchte er Sheriff Joe Arpaio, den die Zeit schlicht »einen Sadisten aus Arizona« nannte. Zurück von seiner Reise regte Kusch gleich an zu prüfen, ob Gefangene nicht auch zu zweit in Gefängniszellen untergebracht werden könnten.

Kusch, der wegen seiner Personalpolitik auch als »lächelnde Guillotine« bezeichnet wurde, erfährt Unterstützung von der Hamburger CDU. Die geäußerte Kritik an ihm betraf kaum je den Law-and-Order-Kurs, sondern vielmehr seine wohl in­sze­nier­ten »Tabubrüche« wie die Forderung nach Abschaf­fung des Jugendstrafrechts oder das Eintreten für die Legalisierung der Sterbehilfe. Sogar in diesen Fällen ging es den Kritikern mehr um die Form als um den Inhalt: Obwohl die CDU beschlossen hatte, das Thema Sterbehilfe vorerst intern zu diskutieren, trat Kusch im Januar in einem Artikel der Neuen Juristischen Wochenschrift weiter für die Straf­freiheit bei der aktiven Sterbehilfe ein und gab Interviews. Im Februar folgte ein Beitrag in einer anderen Fachzeitschrift mit der Forderung nach der Abschaffung des Jugendstrafrechts, der zunächst auf Widerspruch stieß, etwa beim parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft, Klaus-Peter Hesse.

Mittlerweile haben sich Kusch und seine Kritiker geeinigt: Hamburg schließt sich der Bundesratsinitiative Baden-Württembergs an, nach der 18- bis 21jährige künftig wie Erwachsene abgeurteilt werden sollen. Hinzu kommen eine Erhöhung der Höchststrafe von zehn auf 15 Jahre sowie ein »Warn­schussarrest« für Minderjährige. Wer auf Bewährung verurteilt wird, kann trotzdem einige Tage eingesperrt werden. »Der Bundesratsbeschluss geht in die richtige Richtung«, sagte Hesse. »Eine kontroverse Diskussion zwischen dem Justizsenator und mir auf dem Parteitag ist daher entbehrlich.«