Die Vertreter treten ab

Nicht nur die Allianz entlässt massenhaft Angestellte. Das gesamte Banken- und Versicherungswesen befindet sich im Umbruch. von anton landgraf

Sie demonstrieren mit Schlips und Kragen, Tausende von ihnen gehen auf die Straße. Während die Bilder enttäuschter Arbeiter vor den Werkshallen schon fast alltäglich sind, trifft die neueste Entlassungswelle eine Schicht, die sich bislang ihrer Arbeitsplätze sicher wähnte: die Angestellten bei den Banken und Versicherungen, diejenigen, die in den Schaltzentralen des Kapitals tätig sind.

Plötzlich protestieren auch sie gegen den Abbau von Arbeitsplätzen und Sanierungspläne. In Köln, Frankfurt, Hamburg und zahlreichen anderen Städten gingen in der vergangenen Woche die Mitarbeiter des Versicherungskonzerns Allianz auf die Straße, Tausende traten in einen Warnstreik. In dieser Woche sollen die Aktionen in vielen Städten weitergehen.

Rund 7 500 Beschäftigte will die Allianz entlassen. In einigen Regionen kommt die Entscheidung einer Unternehmensauflösung gleich. So will die Konzernleitung etwa den in Köln ansässigen Teil der Verwaltung abschaffen. Auch beim Tochterunternehmen Dresdner Bank müssen etwa 2 500 Angestellte gehen. Was die Mitarbeiter und die Gewerkschaften besonders wütend macht, ist der Umstand, dass der Konzern nicht etwa vor der Pleite steht, sondern enorme Gewinne macht, zuletzt weit über vier Milliarden Euro.

»Es gibt in Deutschland Unternehmen, denen der Profit wichtiger ist als die soziale Verantwortung, die sich als vaterlandslose Gesellen herausstellen«, schimpfte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer. Die Allianz sei dabei »nur ein trauriges Beispiel«, fügte er hinzu. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi forderte wegen der Massenentlassungen bei der Allianz gar ein gesetzliches Kündigungsverbot für profitable Unternehmen. »Wir erwarten, dass die Bundesregierung Stellung bezieht«, erklärte Uwe Foullong vom Verdi-Bundesvorstand dem Berliner Tagesspiegel.

Die vaterländischen Appelle muten jedoch reichlich hilflos an. Denn während bislang zumeist die ausländischen »Heuschrecken« als Symbol für einen skrupellosen Kapitalismus dienten, geht es nun um Unternehmen, die elementar mit der deutschen Wirtschaft verbunden sind. Der Allianz wie auch der Deutschen Bank gelang es bisher, so genannte feindliche Übernahmen abzuwehren. Stattdessen expandiert sie selbst international im großen Maßstab. Im vergangenen Jahr kaufte sie die italienische Versicherung RAS für 5,7 Milliarden Euro auf. Zudem hält die Allianz die Mehrheit bei einigen französischen und US-amerikanischen Firmen. Und daran soll sich auch in Zukunft nichts ändern.

»Das sind schmerzliche, aber notwendige Schritte, um die Wettbewerbsfähigkeit der Allianz nachhaltig zu sichern«, verteidigte ein Sprecher des Konzerns die Entlassungen. Schließlich habe der Versicherer in den vergangenen Jahren rund eine Million Kunden an die Konkurrenz verloren.

Tatsächlich sind die Entlassungen bei der Allianz nur ein kleiner Teil einer umfassenden Veränderung in der Finanzbranche. Zehntausende Stellen wurden in den vergangenen Jahren in der Branche gestrichen und viele weitere werden noch folgen. Erst kürzlich kündigte die Deutsche Bank tausende Entlassungen an, obwohl ihre Geschäfte florieren wie noch nie. Die Bausparkasse Wüstenrot teilte in der vergangenen Woche mit, dass sie jede vierte Stelle in ihrem Unternehmen abschaffen will. Die Ergo-Gruppe, die Nummer zwei in der Versicherungsbranche, will nach Angaben von Verdi tausende Arbeitsplätze streichen. Von Generali, der Nummer drei, sind ähnliche Pläne bekannt.

Ausschlaggegend dafür sind die Rationalisierungsprozesse im Banken- und Versicherungssektor, die an die Massenentlassungen in der Autoindus­trie erinnern. Die Unternehmen werden »verschlankt«, viele Arbeitsprozesse an Zulieferer ausgelagert. Die Automatisierung erfasst die ganze Branche. So hat die Ergo-Gruppe ihre Policen für Kfz standardisiert, die von den vier Tochter­unternehmen jeweils unter anderem Namen angeboten werden. In jeder einzelnen Firma der Versicherungsgruppe werden hunderte Mitarbeiter überflüssig.

Die Zeiten, in denen die Vertreter der Allianz noch von Haus zu Haus gingen, um bei einem Tässchen Kaffee ihre Versicherungen feilzubieten, sind längst vorbei. Heute werden diese Geschäfte, wie andere Dienstleistungen auch, immer häufiger virtuell abgewickelt. Wer beispielsweise einen Kredit aufnehmen möchte, kann sich über die entsprechenden Suchmaschinen informieren und zu Hause am Computer das beste Angebot auswählen. Unternehmen wie die Postbank oder die Citibank haben die Abläufe bereits weitgehend automatisiert und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschafft.

Die Banken können deswegen einen großen Teil ihrer Personalkosten einsparen – Filialen werden geschlossen, der Kundenkontakt wird auf ein Minimum reduziert. Für das einzelne Unternehmen ist es dabei sinnvoll, in wirtschaftlich erfolgreichen Zeiten Investitionen zu tätigen und anschließend die überflüssigen Mitarbeiter zu entlassen. Wer damit wartet, bis die Kunden zur günstigeren Konkurrenz überlaufen, hat bereits verloren – wie etwa die Hypovereinsbank, die vom italienischen Finanzhaus Unicredito geschluckt wurde und daraufhin 1 800 Stellen streichen musste.

Was für einzelne Unternehmen nahe liegend ist, zeigt gesamtgesellschaftlich eine verheerende Wirkung: Wenn selbst die größten und profitabelsten Unternehmen nicht auf Massenentlassungen verzichten, dann steigt die Summe der staatlichen Transferleistungen für die Verlierer unaufhörlich weiter. Selbst die angekündigten Steuererhöhungen können diese Verluste auf Dauer nicht ausgleichen. Und die Beträge, die durch immer neue Gesetzesverschärfungen bei den Arbeitslosen eingespart werden, sind Peanuts im Vergleich zu den Steuerausfällen, die wegen der Massenentlassungen entstehen.

Diese Entwicklung könnte die Große Koalition noch in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Wie will man auch Leistungskürzungen und höhere Belastungen auf Dauer rechtfertigen, wenn selbst dem bislang treuesten Wähler aus dem Mittelstand möglicherweise bald eine Karriere als Spargelstecher droht? Dass Menschen zusehends nur noch als Kostenfaktor behandelt werden, so wie ein Maschinenpark, gefährde die Prinzipien der »Sozialen Marktwirtschaft« und stelle letztlich auch den Kapitalismus als System in Frage, sagte Wolfgang Gerke, Professor für Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Bank- und Börsenwesen an der Universität Nürnberg.

Für Oskar Lafontaine, den Vorsitzenden der Linkspartei im Bundestag, liegt indes eine simplere Antwort näher. Seiner Meinung nach liegt der Fehler nicht im System, sondern an der unmoralischen Haltung einzelner Akteure. »Die Manager kriegen den Hals nicht voll«, kommentierte er in der vergangenen Woche die Pläne des Allianz-Konzerns. »Um die Börsenkurse steigen zu lassen und so den eigenen Reichtum zu mehren, betreiben die Manager einen unverantwortlichen Stellenabbau.« Für einige der ehemaligen Schlips- und Kragenträger eine vielleicht durchaus attraktive Erklärung.