Einschreiben zum Protest

Folgt dem Sommer der Studentenproteste ein heißer Herbst? Die Gegner von Studiengebühren planen bereits neue Demonstrationen und proben die juristische Auseinandersetzung. von jörg kronauer

Sie waren so heftig wie schon lange nicht mehr: Die Proteste der Studierenden, die sich im Sommersemester gegen die Einführung von Studiengebühren richteten, überraschten durch ihre Intensität und auch durch ihre radikalen Aktionsformen. Überfüllte Vollversammlungen und gut besuchte Demonstrationen waren von Mai bis Juli in mehreren Bundesländern fast an der Tagesordnung. Studierende besetzten Rektorate, störten Senatssitzungen und blockierten Autobahnen. Das Ergebnis der Proteste aber ist ernüchternd: Kein einziges Bundesland nimmt bislang von der Einführung der Studiengebühren Abstand.

Illusionen macht sich niemand beim studentischen Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS). »Der politische Wille wird leider einfach durchgesetzt«, resümiert Christiane Schmidt, eine der Geschäftsführerinnen des Bündnisses. Und sie hat Recht: Die Entscheidung, an den Hochschulen Zwangsbeiträge für eine oft mangelhafte Lehre zu kassieren, ist im Grundsatz längst gefallen.

Dennoch wollen sich die Mitglieder des Aktionsbündnisses nicht geschlagen geben. Sie hoffen, dass sich mit Musterprozessen noch etwas erreichen lässt. Erst vor kurzem hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Bremen drei Studierenden Recht gegeben, die gegen Studiengebühren geklagt hatten. Das Bremische Studienkontengesetz sieht vor, dass, wer seinen Wohnsitz nicht in dem kleinsten Bundesland hat, sondern in der niedersächsischen Umgebung, 500 Euro im Semester zahlen muss. Dies verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz von Artikel drei des Grundgesetzes, urteilte das Verwaltungsgericht am 16. August.

Die Entscheidung hat freilich einen Haken: Das Gericht stellt ausdrücklich fest, dass »keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Einführung von Studiengebühren an bremischen Hochschulen« bestehen. In Bremen befürchten Studierende nun eine allgemeine Studiengebühr.

Diese wird neuerdings in Nordrhein-Westfalen erhoben. Ab dem Wintersemester müssen alle zahlen, die ein Studium beginnen, ab dem nächsten Sommersemester trifft es auch diejenigen, die heute schon studieren. Die Höhe der Gebühr können die einzelnen Hochschulen jeweils individuell festlegen, 500 Euro im Semester sind zulässig. Wie hoch auch immer der Betrag ist, 23 Prozent davon fließen in einen so genannten Ausfallfonds. Der soll – sein Name verrät es – Ausfälle decken, aber nicht etwa bei finanzschwachen Studierenden, sondern bei der landeseigenen NRW-Bank. Diese vergibt Studienbeitragsdarlehen an Bedürftige – unter der Voraussetzung, dass sie das Geld später verzinst zurückzahlen. Dabei entstehen Lücken: Rein statistisch gesehen werden nicht alle das Darlehen zurückzahlen können, weil manche zu wenig verdienen oder vor der vollständigen Rückzahlung sterben. Hier springt der Ausfallfonds ein und erstattet der NRW-Bank den Verlust.

Dabei ruft ein zunächst unscheinbares Detail beim Aktionsbündnis heftigen Unmut hervor: Auch Studierende, die aus Ländern außerhalb der EU kommen, müssen den 23prozentigen Anteil am Ausfallfonds zahlen. Das sei »ungerecht«, sagt Christiane Schmidt vom Bündnis. Denn Ausländer, die nicht aus einem Land der EU stammen, haben prinzipiell keinen Anspruch auf die Studienbeitragsdarlehen, die der Ausfallfonds absichert, sie finanzieren also die Darlehen für deutsche Studierende mit.

Demnach belastet auch Nordrhein-West­falen Studierende aus Entwicklungs- und Schwellenländern in besonderer Weise – genauso wie Hessen. Die dortige Landesregierung hält hartnäckig an einer Regelung fest, die es einzelnen Hochschulen ermöglicht, von Nicht-EU-Ausländern Studiengebühren in dreifacher Höhe zu kassieren ( Jungle World, 20/2006). Das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren prüft derzeit, ob die nordrhein-westfälische Ausfallfonds-Regelung wegen der Benachteiligung von Studierenden aus nicht zur EU gehörenden Ländern Gegenstand einer weiteren Musterklage werden könnte.

Größere Hoffnungen setzen die studentischen Aktivisten auf eine überregionale Boykottkampagne, die im kommenden Semester beginnen soll. Die Studiengebühren sollen nicht an die Hochschulen überwiesen, sondern auf ein Treuhandkonto eingezahlt werden. So lasse sich vielleicht verhindern, dass das Geld für etwas ausgegeben werde, das seiner offiziellen Bestimmung entspricht, lautet die Hoffnung.

Genau das steht in Wuppertal bevor. Mit den Studiengebühren solle »die Verbesserung der Qualität der Lehre« erreicht werden, teilte das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium kürzlich mit. In Wuppertal hingegen hat die Universitätsleitung kürzlich beschlossen, die künftigen zusätzlichen Einnahmen für die Finanzierung eines neuen Gebäudes zu verwenden. »Kaum sind die Studiengebühren eingeführt, schon werden sie zweckentfremdet«, empört sich der studentische Zusammenschluss »Ueberge­buehr«, der die gleichnamige Webpage betreibt.

Wird es auch im nächsten Semester wieder Proteste geben? »Ja, ganz sicher«, meint Christiane Schmidt optimistisch. Sie möchte die soziale Basis der Proteste erweitern. »Wir versuchen, nicht nur Studierende und Schüler auf die Demonstrationen zu bekommen«, sagt sie; auch Auszubildende etwa sollen dazu motiviert werden, an den Protesten teilzunehmen. »Wir allein können die Studiengebühren nicht kippen«, bekräftigt Fredrik Dehnerdt, ebenfalls Geschäftsführer des Bündnisses. »Wir schaffen das nur, wenn wir gemeinsam mit einem breiten Bündnis aus Gewerkschaften und prekär Beschäftigten auf die Straße gehen.«

Bis dahin wird versucht, mit Protestcamps die Bewegung in Bewegung zu halten. Ein Sommercamp in Bochum ist gerade zu Ende gegangen, für den 11. bis 14. September lädt ein studentisches Bündnis zu »Protestkultur-Tagen« nach Wiesbaden ein. In diesem Zeitraum soll im hessischen Landtag die zweite Lesung des so genannten Studienbeitragsgesetzes stattfinden. Für den 13. September schließlich ist eine Demonstration in Berlin angekündigt. Berliner Schüler wollen an diesem Tag gemeinsam mit Studierenden unter anderem gegen die Einführung von Studiengebühren protestieren.

Für das größte Aufsehen sorgen derzeit allerdings die Ereignisse in Bielefeld. Dort kam es Mitte Juli während einer Senatssitzung, in der die professorale Mehrheit die Einführung der Studiengebühren beschloss, zu größeren Tumulten: Lautsprecherbeschallung und Feueralarm machten die Abstimmung des höchsten Gremiums der Universität fast unmöglich.

Als verhängnisvoll für die Universitätsleitung erwies sich, dass in dem Durcheinander einem Mitglied des Sicherheitspersonals der Universität ein Generalschlüssel für rund 10 000 Schlösser gestohlen wurde. Bald danach wurde das Büro eines Professors, Mitglied des Senats, geöffnet und mit Kuhfladen bestückt. Zudem kommt es immer wieder zu Feueralarm. Kürzlich brannte sogar das Auto des Rektors. »Die Aktionen treiben leider einen Keil zwischen die Studierenden«, meint die Gruppe Uebergebuehr. Denn: »Keiner will an einer Hochschule studieren, die plötzlich brennt oder stinkt.«