Wie, was, rechtsextrem?

Mutmaßliche Mitglieder des Plauener »Jungsturms« wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Obwohl es um einen besonders brutalen Überfall ging, sieht das Gericht in den Tätern keine Gefahr mehr. von markus müller

Begegnet man einem der jungen Männer allein auf dem Flur, senkt er den Blick. Sitzen sie nebeneinander auf der Anklagebank, rollen sie gelangweilt die Augen, schlagen genervt die Hände überm Kopf zusammen und schütteln demonstrativ die Köpfe ob des vermeintlichen Unsinns, den sie da so zu hören bekommen.

Die meisten von ihnen sind im Plauener Wohngebiet Chrieschwitzer Hang aufgewachsen, einem typischen Plattenbauviertel. Maximilian Hayn, mit 18 Jahren der jüngste der Angeklagten, macht eine Ausbildung. Andere halten sich mit Hartz IV und Gelegenheitsjobs über Wasser. Ihre Vorstrafen lesen sich wie das Inhaltsverzeichnis des Strafgesetzbuches, ihre Zukunftsaussichten scheinen nicht rosig. Gemeinsam aber sind sie stark.

Sie sollen dem »Jungsturm« angehören, einer Gruppe rechter Jugendlicher im vogtländischen Plauen, die weniger durch politische Agitation als durch rohe Gewalt aufgefallen ist. In der Nacht zum 25. Dezember 2005 hatte die Truppe – Zeugen sprachen von knapp 20 Personen – den »Tanz unterm Weihnachtsbaum« im als alternativ geltenden Veranstaltungszentrum »Alte Kaffeerösterei« in Plauen überfallen. Der Überfall sorgte wegen seiner Brutalität für Aufsehen.

Bereits auf dem Weg zur »Röste« waren Passanten bewusstlos getreten worden. Dort folgten handfeste Auseinandersetzungen, die Mitglieder des »Jungsturms« brüllten »Sieg Heil«, schlugen mit allem zu, was sich finden ließ, Flaschen und Biergläser flogen, Fensterscheiben gingen zu Bruch. Die Polizei sprach von neun Verletzten, tatsächlich dürften es erheblich mehr gewesen sein. An »blutüberströmte Leute, reihenweise«, erinnerte sich einer der Gäste.

Als die Polizei eintraf – den ersten Notruf soll lediglich ein Anrufbeantworter entgegengenommen haben –, waren die Aggressoren aus dem Haus gedrängt. Einige wurden festgenommen, andere später mit Hilfe von Fotos identifiziert. Sechs von ihnen müssen sich wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch verantworten. Die Anklagebank im Sitzungssaal des Amtsgerichts Plauen ist für so viele Klienten nicht vorgesehen.

Das Vogtland im Südwesten Sachsens gilt dem Verfassungsschutz des Landes trotz zweier Kreisverbände der NPD nicht gerade als braune Keimzelle. Beobachter des Antifa-Recherche-Teams registrieren jedoch zahlreiche Aktivitäten der Szene. Sechs Nazi-Konzerte zählten sie im Jahr 2006 im Vogtland, mehrere Übergriffe, Propagandaaktivitäten, im September eine Demonstration der Jungen Nationaldemokraten (JN) mit 200 Teilnehmern in Plauen. Die sächsische NPD hat einen Landesparteitag im nahen Bergen abgehalten. Der Szeneladen »Ragnarök« in der Kleinstadt Mylau und der Clubraum »Braune Teufel« beschäftigten regelmäßig die Lokalpresse. Und der dortige Stadtrat musste eingestehen, dass Angehörige der rechten Szene eine Immobilie nach der anderen kaufen.

Der 22jährige Sven Krüger, der beim Überfall auf die »Röste« vorn mit dabei war, und der gleichaltrige Mitangeklagte Sebastian Georgi betrieben einen einschlägigen Laden namens »Broken Dreams« in Plauen. Zum Sortiment zählten T-Shirts mit der Aufschrift »good night left side«. Mittlerweile musste der Laden schließen.

Nach dem Überfall auf die »Röste« riefen die Antifa, die städtischen Jugendarbeiter und das von Jusos geprägte Jugendparlament das »Netzwerk Buntes Vogtland« ins Leben. Sie organisierten eine Demonstration gegen Rechtsextremismus, die mit 1 000 Teilnehmern ein Erfolg war. Es folgte ein Workshop für Jugendliche gegen Rechts.

Kritiker sprachen später von folgenlosem Aktionismus. »Wir haben darüber gesprochen, wie man verhindern kann, dass junge Leute in die Szene abdriften«, berichtete ein Teilnehmer, »was Konkretes ist nicht entstanden.« Als das Bündnis zu Aktionen gegen die Demonstration der JN in Plauen aufrief, war die Resonanz in der Bevölkerung gering. Die Plauener sorgen sich zurzeit mehr um die drohende Aberkennung des Status einer kreisfreien Stadt. Politiker, nach dem Überfall höchst empört, nahmen am Prozess keinen Anteil. Für den Staatsanwalt Jörg Rzehak liegt der rechte Hintergrund des Überfalls auf der Hand. Dennoch beschäftigte er sich nicht mit den lokalen rechtsextremen Strukturen. Offenbar war es mühsam genug, die Angeklagten trotz zahlreicher Zeugen konkret zu belasten. »Wenn Sie am Boden liegen und auf Sie eingedroschen wird, ist es schwer, sich Gesichter zu merken«, sagte ein Opfer.

Dass vier der Angeklagten – neben Krüger, Georgi und Hayn auch Marco Ullrich (23) – seit dem Überfall nicht durch weitere Straftaten aufgefallen sind, sprach nach Auffasung des Gerichts für eine »günstige Sozialprognose«. Von ihnen gehe »keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr aus«. Deshalb setzte es die Haftstrafen für schwere Körperverletzung zwischen neun Monaten und einem Jahr und acht Monaten auf drei Jahre zur Bewährung aus. Lediglich Manuel Bach, der wegen einer anderen Körperverletzung bereits eine Haftstrafe verbüßt, wurde zu einer Gesamtstrafe von zweieinhalb Jahren ohne Bewährung verurteilt. Grinsend nahmen alle ihre Urteile entgegen.

René Weber von Amal, einer Initiative, die Betroffene rechter Gewalt berät, kritisierte, die »rechtsradikale Einstellung der Täter« sei von der Staatsanwaltschaft »nur schleppend«, vom Gericht »überhaupt nicht« in den Prozess »eingebracht« worden. Dass nach wie vor entsprechende Kontakte bestehen, beweisen Fotos, die drei der Schläger bei der JN-Demonstration im September zeigen.

Ein Urteil steht noch aus. Christian W., der sechste junge Mann auf der Anklagebank, hat seine verurteilten Kumpels in den Zeugenstand gerufen. Sie sollen aussagen, dass er beim Überfall nicht dabei war. Dabei kann sich ein Zeuge an ihn erinnern, ein weiterer Zeuge an Tätowierungen, die seinen sehr stark ähneln – ein Skinhead mit Pistole am Hals, der Schriftzug »Skinhead« am Kopf. So könnten die frisch Verurteilten beim nächsten Prozesstermin am 26. Februar in der Zwickmühle sein: Bei einer Falschaussage würden sie gegen ihre Bewährungsauflagen verstoßen. »Hoffentlich machen Sie sich nicht unbeliebt«, kommentierte Rzehak den Antrag des Angeklagten.