Staat voller Gnade

In der Diskussion um die Freilassung Brigitte Mohnhaupts wird betont, wie souverän sich der Rechtsstaat zeige. Bei der Bekämpfung der RAF spielten rechtsstaatliche Prinzipien eine geringe Rolle. von ron steinke

Wer der begehrteste Talkshow-Gast des Jahres 2007 wird, scheint bereits festzustehen. Für Brigitte Mohnhaupt, die am 27. März aus dem Gefängnis entlassen werden soll, »stehen die TV-Talker Schlange«, verkündete Bild am Sonntag. Nur Sandra Maischberger und Reinhold Beckmann von der ARD wollen das ehemalige Mitglied der RAF nicht in ihre Sendung einladen.

Für den Fall, dass die Fernsehhonorare nicht ausreichen, ruft eine selbst ernannte »Brigitte-Mohnhaupt-Foundation« schon einmal zu Geldspenden für die aus der Haft Entlassene auf. Und im »Brigitte-Mohnhaupt-Forum« im Internet, das ein findiger Domain-Händler im Januar einrichtete, diskutieren die Teilnehmer bereits über die Frage, ob man die Domain nicht an die »eigentliche« Namensträgerin »zurückgeben« müsse. Ob Brigitte Mohnhaupt, die seit November 1982 im Gefängnis sitzt, überhaupt mit irgend­einer der genannten Personen etwas zu tun haben möchte, ist unterdessen völlig offen.

Dass sie statt im Gefängnis möglicherweise bald in Fernsehstudios sitzen könnte, kritisierte vor allem Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU). Weil sie schweige, seien heute noch immer Straftaten der RAF unaufgeklärt, sagte er. »Vor diesem Hintergrund ist für mich die Vorstellung, dass Brigitte Mohnhaupt nach ihrer Haftentlassung mit diesem Wissen durch Talkshows tingelt und womöglich den RAF-Terrorismus nostalgisch verklärt, nur schwer erträglich.« Stattdessen solle Mohnhaupt so lange inhaftiert bleiben, bis sie zu einer Aussage bereit sei – notfalls bis an ihr Lebensende.

Die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, hingegen geriet ins Schwärmen. Die vorzeitige Haftentlassung, zu deren Genehmigung das Oberlandesgericht Stuttgart ohne Ermessensspielraum verpflichtet war, nachdem ein Gutachter keine Wiederholungsgefahr bei Mohnhaupt hatte feststellen können, ist nach Roths Ansicht ein »starkes Signal der Aussöhnung«. Mehr noch, die Entscheidung demonstriere die »Stärke und Kraft« des Rechtsstaats. Die »Gnade« für Brigitte Mohnhaupt stelle einen der Gründe dar, »auf dieses Land stolz zu sein«, fügte die Süddeutsche Zeitung in einem Kommentar hinzu.

Offensichtlich stellt es schon eine Sternstunde des Rechtsstaats dar, wenn ein Gericht einfach das geltende Bewährungsrecht anwendet. Nicht erwähnenswert erschien es den ausgewiesenen Kennern des Rechtsstaats jedoch, dass der Umgang der Bundesrepublik mit den Taten der RAF in den siebziger Jahren zunächst von der Demontage selbigen Rechtsstaats geprägt war. Zahlreiche Gesetzesverschärfungen, mit denen der Gesetzgeber seinerzeit auf die Taten der RAF reagierte, gelten auch heute noch. Sie sind inzwischen zur Normalität geworden.

Zu erinnern ist etwa an die bis heute bestehenden Spezialgerichte für Staatsschutzdelikte, an welche besonders staatstreue, geeignete und erfahrene Staatsanwälte und Richter berufen werden. Auf der Grundlage eines Gesetzes von 1976 können sie das Grundrecht des Angeklagten auf vertrauliche Kommunikation mit einem Anwalt schlicht aufheben. Kurz nach der Entführung Hanns-Martin Schleyers im Jahr 1977 wurde in nur vier Tagen ein Gesetz verabschiedet, das eine völlige Kontaktsperre zur Außenwelt ermöglichte. Daneben führte der Gesetzgeber erweiterte Möglichkeiten der Untersuchungshaft bei Staatsschutzdelikten ein. Die Isolationshaft verhängte der Staat schon zu Beginn der siebziger Jahre ohne eigene Rechtsgrundlage.

Eine zentrale Rolle in der politischen Justiz spielte der im Jahr 1976 in das Strafgesetzbuch eingefügte Paragraf 129a. Er stellt neben der Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung« auch jegliche Form der Sympathiebekundung als »Unterstützung« oder »Werbung« unter Strafe. Der Straftatbestand sollte, so erklärte der Bundesgerichtshof seinerzeit, »eine Strafbarkeit bereits im Vorfeld der Vorbereitung konkreter strafbarer Handlungen« begründen, also: Handlungen kriminalisieren, die an sich erlaubt sind. In der Regel sind dies verbale »Taten«.

Mit dem Ausdruck »Rechtsstaatlichkeit« sind die Folgen dieses strafrechtlichen Novums freilich ungenau umschrieben. Eine Münchnerin, die das Georg-Büchner-Zitat »Krieg den Palästen« und einen fünfzackigen Stern an die Wand einer U-Bahnstation gesprüht hatte, erhielt im Frühjahr 1983 zwölf Monate Gefängnis ohne Bewährung wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung – für eine Tat, die ansonsten eine bloße Sachbeschädigung dargestellt hätte. Ihr Begleiter, der sie »per Sichtdeckung bei ihrem Tun abgeschirmt« hatte, wurde mit sechs Monaten Freiheitsentzug bestraft.

Daneben erwies sich der Paragraf 129a vor allem als Ausforschungsparagraf. Eine Reihe von Verschärfungen im Strafprozessrecht, die zwischen 1975 und 1978 erlassen wurden, erlaubten es der Polizei und den Nachrichtendiensten, bereits bei ihren Ermittlungstätigkeiten zum Schutz des Staats großzügig von neu eingeführten Überwachungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Die einzige juristische Hürde für Maßnahmen wie etwa die umfassende Telefonüberwachung oder die Personenfahndung mithilfe von Verkehrskontrollen bildete der so genannte Anfangsverdacht. Mit der Behauptung eines Anfangsverdachts konnten die Überwachungsmaßnahmen bei allen Menschen angewendet werden, die die Ermittler für Sympathisanten der RAF hielten. Für ein Gerichtsverfahren reichten die Beweise in weniger als fünf Prozent der Fälle aus.

Diese Gesetze aus den siebziger Jahren sind nicht etwa wieder abgeschafft, sondern noch auf weitere Bereiche ausgedehnt und verschärft worden. Im Jahr 2002 kam der Paragraf 129b hinzu, in dem es um »terroristische Vereinigungen im Ausland« geht. »Lausch­angriffe« sind heute nicht mehr nur bei spektakulären Straftaten zugelassen. Gerne wird auch auf Großbritannien verwiesen, das Land mit der höchsten Dichte an Überwachungskameras. Im Abhören von Telefongesprächen aber hält derzeit die Bundesrepublik den Weltrekord.

Interessant an der gegenwärtigen Diskussion um die Freilassung von Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar ist unterdessen die Funktion, die darin den Opfern zuteil wird. Eine Freilassung der beiden RAF-Mitglieder komme nicht in Frage, meinte Markus Söder, der Generalsekretär der CSU, weil sie einen »Schlag ins Gesicht der Opfer und ihrer Angehörigen« bedeuten würde. Dahinter steht der Gedanke, dass der Staat eine Art Vergeltungsservice anbieten müsste, den die Opfer in Anspruch nehmen können. Dass ein institutionalisiertes Strafverfahren gerade die bewusste Absage an private Rachegelüste darstellt, wird dabei unterschlagen.

Der rhetorische Trick scheint jedoch zu funktionieren: Wenn Innenpolitiker heute in strafrechtlichen Debatten immer öfter die Perspektive der Opfer ins Spiel bringen, dann kommen auch autoritäre Aussagen plötzlich menschenfreundlich daher. Insofern erfüllen die Hinweise auf die Witwe Rohwedder oder die Kinder von Hanns-Martin Schleyer ihren ganz aktuellen Zweck.