Der Boykott von Durban II

Should I stay or should I go?

Außer Italien konnte sich bislang kein EU-Staat dazu entschließen, der Durban-Folge­konferenz fernzubleiben. Auch die Bundesregierung zögert weiterhin. Mit jedem Tag, den die Versammlung näher rückt, wird ein Boykott unwahrscheinlicher.

Eigentlich wollten sich die Außenminister der Europäischen Union bei ihrem Treffen im tschechischen Hluboka Ende März auf eine gemeinsame Position zur Durban-Folgekonferenz verstän­digen. Drei Wochen zuvor hatte sich die italienische Regierung den Regierungen Israels, Kanadas und der USA angeschlossen und ihre Teilnahme an der Veranstaltung abgesagt, weil sich in deren geplantem Abschlussdokument »aggressive und antisemitische Aussagen« fänden. Dadurch waren die übrigen EU-Staaten in Zugzwang geraten, da sie stets betont hatten, in Bezug auf Dur­ban II einen Konsens finden und mit einer Stimme sprechen zu wollen. Doch die Versammlung in Hluboka endete ohne eine gemeinsame Erklärung zu Durban II. Bis heute ist unklar, ob EU-Mitglieder nach Genf reisen oder der Veranstaltung fernbleiben.
Dabei gab es vor allem im vergangenen Jahr diverse Stellungnahmen europäischer Politiker, die darauf hindeuteten, dass Durban II ohne EU-Staaten vonstatten gehen und so einen erheb­lichen Legitimationsverlust erfahren könnte. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy beispielsweise sagte im Februar 2008, Frankreich werde »eine Wiederholung der Exzesse und Missbräuche«, die es auf der Antirassismuskonferenz von Durban im September 2001 gegeben habe, nicht zulassen und die Versammlung in Genf notfalls boykottieren. Drei Monate später kündigte der damalige britische Europaminister Jim Murphy an, Großbritannien wolle nicht an einer Konferenz teilnehmen, »die neuerlich zu ei­nem Schauplatz des Antisemitismus zu werden droht«. Kurz darauf machte der niederländische Außenminister Maxime Verhagen deutlich, sein Land könne Versuche, Israel auf einer UN-Konferenz als rassistischen Staat zu brandmarken, nicht akzeptieren. Und sein dänischer Amtskolle­ge Per Stig Möller bemerkte im Oktober 2008, die islamischen Staaten dürften nicht mit einer Teilnahme europäischer Staaten rechnen, wenn sie an ihrem Entwurf für die Abschlusserklärung festhielten.

Die Bundesregierung hingegen äußerte sich lange Zeit überhaupt nicht zu dem Thema, weshalb man davon ausgehen konnte, dass sie als Mitglied des UN-Menschenrechtsrats an der Durban-Folgekonferenz teilzunehmen gedachte. Verschiedene Aufrufe, die Versammlung zu boykottieren – etwa durch den Zentralrat der Juden in Deutschland, den Koordinierungsrat deutscher Nichtregierungsorganisationen gegen Antisemitismus und eine Initiative zahlreicher Publizisten, Wissenschaftler und Künstler –, ignorierte sie schlicht­weg. Anfang März kam jedoch Bewegung in die Sache, als die innenpolitische Berichterstatterin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Islamismus und Antisemitismus, Kristina Köhler, unum­wunden forderte: »Deutschland muss dieses antisemitische und antiwestliche Spektakel boykottieren. Entweder gemeinsam mit den EU-Partnern – oder notfalls auch alleine.« Der Antirassismus werde »für den Kampf gegen Israel, für den Kampf gegen den Westen und nicht zuletzt für den Kampf gegen Meinungs- und Pressefreiheit missbraucht«, hieß es in einer Presse­mitteilung. Wie schon in Durban gehe es auch auf der Folgeveranstaltung in Genf »wieder nur gegen Israel«.
Zu solch deutlichen Worten mochten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier nicht durchringen. Zwar zogen sie einen Boykott nun in Erwägung, behiel­ten sich aber eine Teilnahme vor: Merkel kündigte an, die Bundesregierung werde an Dur­ban II nicht teilnehmen, falls es keine »signifikanten Ver­besserungen« im Entwurf für die Abschlusserklärung gebe. Fast gleichlautend äußerte sich Stein­meier: »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt plädiere ich dafür, dass wir die Teilnahme bei der anstehenden Konferenz absagen, wenn es in den nächsten Stunden, in den nächsten Tagen zu keiner wirklich substanziellen Änderung der Dokumente kommt.« Was sie unter »signifikanten Ver­besserungen« und »substanziellen Änderungen« verstehen, ließen sie offen. Doch als der Entwurf für die Abschlusserklärung Mitte März in einer überarbeiteten und um einige der heftigsten antiisraelischen Passagen gekürzten Fassung präsentiert wurde, zeigte sich der deutsche Außenminister zufrieden: »Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, das will ich ausdrücklich beken­nen.« Er habe aber »mit dem niederländischen Kollegen, dem italienischen Kollegen und einigen anderen darauf hingewiesen, dass das noch nicht ausreichend ist, und klar gestellt, dass weitere Veränderungen für dieses Abschlussdokument erforderlich sind«.

Erst zwei Tage vor Beginn der Konferenz soll die letzte Abstimmung über die Erklärung erfolgen. Bis dahin könnte sie noch manchen Veränderungen unterzogen werden, und es ist alles andere als ausgeschlossen, dass die unmittelbaren Attacken auf Israel und die Passagen, in denen die »Islamophobie« als besonders schwere Form des Rassismus kritisiert wird, erneut Eingang in das Dokument finden. Erst kürzlich hat der mit der Organisation und Durchführung von »Durban II« beauftragte UN-Menschenrechtsrat auf Initiative von Pakistan zum wiederholten Mal eine Resolution verabschiedet, in der die »Diskriminie­rung von Religionen« – insbesondere des Islam – scharf verurteilt wurde. Nicht zuletzt deshalb ist unwahrscheinlich, dass die islamischen Staaten und die sie unterstützenden »Blockfreien« darauf verzichten werden, ihre Agenda auf der Durban-Folgekonferenz durchzusetzen.
Ähnlich unwahrscheinlich wird mit jedem Tag, den die Konferenz näherrückt, ein gemeinsamer Boykott durch die EU-Staaten. Vielmehr dürften die europäischen Delegationen mit allerlei Erklärungen aufwarten, in denen sie beteuern, durch ihre Teilnahme und die Verhandlungen mit despotischen Regimes Schlimmeres verhindert zu haben. Dabei wird das Abschlussdokument mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit indirekt weiterhin Verurteilungen Israels enthalten – etwa durch die explizite Bezugnahme auf die Beschlüsse von Durban I aus dem Jahr 2001, die im Entwurf zur Erklärung von Durban II als »nicht verhandelbar« bezeichnet werden. In den Beschlüssen von Durban I war Israel als einziger Staat angegriffen und delegitimiert worden. Schon dass die damalige Abschlussresolution nun bekräftigt werden soll, sollte Grund genug für einen Boykott sein.
Ein Grund dafür, dass sich die Bundesregierung scheut, der Genfer Konferenz fernzubleiben, könn­te auch sein, dass Deutschland 2011 für einen der zehn nicht ständigen Sitze im UN-Sicherheitsrat kandidiert. Weil allein die afrikanischen Staaten über 50 Stimmen verfügen, könnte bei einem Boykott eine Abstimmungsniederlage drohen – zumal, wenn nicht die gesamte EU, sondern bloß Deutschland die Konferenz boykot­tieren und Deutschlands Hauptkonkurrent Portugal teilneh­men sollte. Allerdings bewirbt sich auch Kanada um einen Platz im Sicherheitsrat – was die kanadische Regierung nicht davon abgehal­ten hat, bereits frühzeitig ihre Teilnahme in Genf abzusagen.

Der Autor ist Mitorganisator der Initiative »Boykottiert Durban II«. Im Internet unter: http://boycottdurban2.wordpress.com/