Jonas Rest im Gespräch über »Die Linke.SDS« und die Bildungsproteste in Deutschland

»90 Prozent der Studenten sind unzufrieden«

Jonas Rest ist Mitglied im Bundesvorstand von »Die Linke.SDS« – der Studentenorgani­sation der Partei »Die Linke«. Die im Mai 2007 gegründete Organisation steht im Ruf, nicht nur das Erbe des SDS in der Studen­ten­bewegung von ’68, sondern auch die ak­tuellen Bildungsproteste zu vereinnahmen.

»DieLinke.SDS« engagiert sich mit aller Kraft in den Bildungsprotesten – was erwartet Ihr euch von eurem Engagement?

Wir hoffen, dass wir dazu beitragen können, dass sich die Besetzungen ausweiten, damit ein grundsätzlicher Wandel in der Bildungspolitik erreicht werden kann. Jetzt wird zwar von allen Seiten Verständnis für die Proteste geäußert, aber andererseits fehlt nach wie vor die Bereitschaft, über prinzipielle Gebührenfreiheit oder radikale Reformen der Bachelor- und Masterstudiengänge zu sprechen.

Und die Hörsaalbesetzungen sollen zu einem bildungspolitischen Wandel führen?

Die Hörsaalbesetzungen können erstmal dazu bei­tragen, dass wir einen Raum haben, in dem wir über Strategien und Ziele sprechen können. Bisher nimmt an den Protesten leider nur eine Minderheit der Studierenden teil. Wenn wir grundsätzliche Veränderungen erreichen wollen, gelingt das nur, wenn wir mehr Studenten in die Proteste einbeziehen können.

Die Hörsaalbesetzungen stoßen nicht nur auf Zustimmung. Manche klagen, dass da ein paar linke Studenten Hörsäle besetzen und die anderen dafür Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen müssten.

Aufgrund des enormen Leistungsdrucks ist es unter den Studenten erstmal common sense, zu ver­suchen, durchs Studium zu kommen. Was sich jetzt aber im Rahmen der Proteste zumindest im Ansatz zeigt, ist, dass das auf Leistungsdruck basierenden System in Frage gestellt und damit eine andere Logik aufgezeigt wird. Wir müssen diejenigen Studierenden, die nicht nachvollziehen können, warum hier Hörsäle besetzt werden, von dieser Perspektive überzeugen.

Angesichts des Leistungsdrucks scheint es rationaler, die Zeit zum schnellen Fortkommen im Studium zu nutzen, als sie mit Plena in besetzen Hörsälen zu vergeuden.

Ich denke, es gibt eine Möglichkeit, die Proteste auszuweiten. 90 oder gar 95 Prozent der Studenten sind unzufrieden mit der Studiensituation. Diese Unzufriedenheit kann man in eine politische Perspektive verwandeln. Darum lohnen sich die Proteste.

Viele Studenten nehmen an den Bildungsprotesten teil, weil sie Angst haben, an der Universität nicht fit genug für den Arbeitsmarkt ge­macht zu werden. Sind die Bildungsproteste überhaupt ein linkes Anliegen – »links« jedenfalls in Ihrem Sinne?

Ich glaube nicht, dass es den Leuten darum geht, dagegen zu protestieren, dass sie nicht fit genug für den Arbeitsmarkt gemacht werden – auch wenn es richtig ist, dass der Bachelor nicht ausreichend qualifiziert, und das sagt mittlerweile auch die Kapitalseite. Den Studenten geht es durch­aus um ein anderes Studium – ein selbstbestimmtes Studium, in dem etwa auch kritische Wissenschaft einen Platz hat.

Man hört regelmäßig, »Die Linke.SDS« versuche, die Bildungsproteste zu vereinnahmen, indem sie in jedes Gremium und auf jedes Podium so viele Vertreter schicke wie nur möglich. Sind das Gerüchte böswilliger Konterrevolutionäre oder geht der SDS tatsächlich so vor?

So gehen wir nicht vor. Wenn man sich die Realität in den besetzen Hörsälen ansieht, ist das schlicht nicht so. Die Kritik, der Bildungsstreik sei eigentlich nur eine Aktion des SDS, hörte man vor den Protesten im Juni noch öfters. Als dann 270 000 Studierende und Schüler auf die Straße gingen, wurde deutlich, dass die »Die Linke.SDS« nur eine Organisation unter vielen ist, die sich hier engagiert.

Ihr Verband bekommt nach Medienangaben jährlich 100 000 Euro von der Partei »Die Linke«. Zum Vergleich: Die Grüne Hochschulgruppe bekommt 3 000 Euro von den Grünen. Insofern ist es doch naheliegend, dass es der Studen­tenorganisation »Die Linke.SDS« um mehr geht als nur um Verbesserungen im Bildungswesen.

Richtig ist, dass »Die Linke« für uns ein wichtiger Bezugspunkt als sozialistischen Akteur ist, der auch außerhalb des Elfenbeinturms Universität agiert. Und diese Verbindung ist uns wichtig, denn nur wenn Studierende nicht alleine, isoliert und für sich kämpfen, haben sie eine Chance, die Gesellschaft zu verändern. Wir formulieren als eigenständige Organisation auch Kritik an der Politik von »Die Linke«, denken aber, dass sie die einzige Partei ist, die für die Forderungen der Bildungsstreikbewegung im parlamentarischen Raum streitet. Diesen parlamentarischen Raum kann man nicht ignorieren, wenn man gesell­schaft­liche Veränderungen erreichen will. Ent­schei­dend ist für uns aber die außerparlamentarische Bewegung, die Opposition auf der Straße. Grundlegende gesellschaftliche Veränderung kann unserer Meinung nach nicht stellvertretend über das Parlament erreicht werden, sondern nur durch Selbstaktivität.

Auch innerhalb der Partei »Die Linke« gibt es Stimmen, die in Ihrer Studentenorganisation ein Sammelbecken von Trotzkisten von SAV, Linksruck und dem Netzwerk Marx21 sehen.

Das stimmt nicht. Nur ein Bruchteil der Leute im SDS ist bei Marx21 organisiert, die anderen Or­ganisationen sind in Wirklichkeit gar nicht bei uns aktiv. Diese Aussagen sind Teil einer bewussten Strategie von Rechten, die Politik des SDS zu diskreditieren. Das sieht man daran, dass solche Vorwürfe meist im Rahmen der Kritik, der SDS solle sich auf Hochschulpolitik beschränken, formuliert werden. In unserer Perspektive hat Hochschulpolitik auch mit Kapitalismus zu tun, und daher muss man beides betrachten

»Die Linke.SDS« knüpft an den SDS der sechziger Jahre an, der damals als Kopf der Studentenbewegung galt – darin ist doch der Anspruch des heutigen SDS, wieder Sprachrohr aller linken Studenten zu sein, schon impliziert?

Diesen Anspruch formulieren wir nicht. Wir knüp­fen an den SDS der sechziger Jahre an, weil wir in ihm ein Beispiel einer Bewegungsorganisation sehen, die zum Aufbau einer Bewegung beiträgt, das hat der SDS der 68er getan.