marion bergermann

Kein Sex ohne Regierung

Der 17. Februar ist ein großer Tag für Belgien: Es stellt einen neuen Weltrekord auf als das Land, das am längsten regierungslos ist. Seit 249 Tagen gelingt es den Belgiern nicht, eine neue Regierung zu bilden. Dadurch wird der bisherige Rekordhalter Irak auf Platz zwei verbannt. In der Not empfahl das Senatsmitglied Marleen Temmerman kürzlich den Frauen der uneinigen Politiker, nicht mehr mit ihren Männern zu schlafen: »Habt keinen Sex mehr, bis die neue Regierung auf den Stufen des Palastes posiert!« Ihr Aufruf zum Sexstreik in nationaler Sache kam bei den Kolleginnen und Kollegen wohl nicht sonderlich gut an, diese hielten sich eher bedeckt zu dem Vorschlag. Anders verhielt es sich mit der Reaktion der Öffentlichkeit. 80 Prozent der Anrufe, die in ihrem Büro eingegangen seien, hätten sie unterstützt, die restlichen Anrufer seien aufgebracht, berichtete die Senatorin, die auch als Dozentin für Geburtshilfe an verschiedenen Universitäten arbeitet. Die Inspiration für die Aktion »Kein Friede, keine Befriedigung!« lieferte das etwa 2 400 Jahre alte Stück »Lysistrata«, eine Antikriegskomödie von Aristophanes, in der die Frauen aus Athen und Sparta sich verbünden, um ihre Männer mit der Verweigerung körperlicher Kontakte zum Friedensschluss zu zwingen. Zudem war die Senatorin begeistert von einem inoffiziellen Sexstreik der Ehefrauen kenianischer Politiker im Jahr 2008, bei dem auch den aus Solidarität streikenden Prostituierten ein finanzieller Ausgleich angeboten wurde. Ein Sexstreik schien Temmerman das geeignete Mittel zu sein, auch die zerstrittenen Belgier zur Regierungsbildung zu bewegen. Der flämische und der wallonische Teil Belgiens sind sich seit April 2010 uneinig, wie es politisch weitergehen soll. In einem Land ohne Regierung machen sich Politiker jedoch selbst überflüssig, mit dem Aufstellen des Weltrekords arbeiten sie auch an ihrer eigenen Abschaffung. Das hat Frau Temmerman wohl schon erkannt: »Die Ereignisse in Ägypten lassen einsehen, dass Demokratie etwas ist, das besonders gehegt werden muss.« Ob ihre Kollegen das schon begriffen haben, ist fraglich. Auch die Protestaktion des Schauspielers Benoît Poelvoorde ignorierten sie. Er hatte vorgeschlagen, alle belgischen Männer sollten sich einen Bart wachsen lassen, bis es wieder eine Regierung gebe. Die Belgier sind weiterhin glattrasiert. Und so glaubt nicht einmal die zum Streik aufrufende Senatorin, »dass mein Aufruf irgendetwas beenden wird, aber zumindest reden die Leute darüber«.