Die kommende Landtagswahlen in Baden-Württemberg

Landesopa für alle

Am 13. März wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. Trotz der großen Beliebtheit des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann steht die Fortsetzung der grün-roten Koalition in Frage, weil die SPD schwächelt. Die AfD drängt den Regierungsparteien unterdessen ihre Agenda auf.

»Verantwortung und Augenmaß«, »Menschlich und mutig handeln« und »Regieren ist eine Stilfrage«. Würde der baden-württembergische Ministerpräsident am 13. März direkt gewählt, müssten die Grünen keine Wahlplakate mit solchen Sprüchen kleben. Winfried Kretschmann könnte sein Amt mit komfortabler Mehrheit weiterführen. Stattdessen droht den Grünen bei den bevorstehenden Landtagswahlen, trotz eigener Spitzenwerte, infolge der historisch schlechten Wahlprognosen von unter 15 Prozent für den Koalitionspartner SPD, der Verlust der Regierungs­mehrheit. Da jedoch auch viele CDU-Anhänger Kretschmann ihrem eigenen Spitzenkandidaten, Guido Wolf, vorziehen, setzen die Grünen alles auf einen personalisierten Wahlkampf: Wer eine Fortsetzung grün-konservativer Politik will, muss Kretschmann wählen, so die Botschaft.
Auf strikte Ablehnung stößt die Aussicht auf eine weitere Legislaturperiode mit von den Grünen geführter Landesregierung allein bei der AfD, der derzeit zehn Prozent prognostiziert werden – Tendenz weiter steigend. Kretschmann bezeichnet den Wahlkampfstil der Rechtspartei als »völlig unerträglich« und »widerwärtig«. Zustimmung erhält er von Landesarbeitgeberpräsident Rainer Dulger, der um das Ansehen Baden-Württembergs fürchtet und warnt, die AfD sei für die »exportorientierte Wirtschaft völlig ungeeignet«. Nach den jüngsten Äußerungen der Bundesvorsitzenden Frauke Petry zur Grenzsicherung durch Schusswaffengebrauch nannte schließlich auch der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl die AfD eine »rechtsextreme Partei, die sich offensichtlich radikalisiert«. Dagegen hatte der CDU-Spitzenkandidat Wolf noch Anfang des Jahres die Weigerung der grün-roten Landesregierung, sich in einer vom Südwestrundfunk (SWR) geplanten TV-Sendung mit fremdenfeindlichen und rassistischen Vertretern der AfD auf eine Bühne zu setzen, als »ziemlich borniert« bezeichnet.
Die Aufregung um die abgesagte Spitzenkandidatenrunde hat sich inzwischen gelegt. Auf Einladung der beiden regionalen Tageszeitungen Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung wollen sich Ende des Monats doch noch alle Spitzenkandidaten auf ein Podium setzen und mit dem AfD-Landesvorsitzenden Jörg Meuthen über die Positionen seiner Partei diskutieren. In einer gemeinsamen Mitteilung kündigten Kretschmann und SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid außerdem an, man werde bei einem Konzept, das die AfD nicht als »normale demokratische Partei« darstelle, sondern ihren »rechtsradikalen Kern« offenlege, auch für eine sogenannte Elefantenrunde des SWR zur Verfügung stehen.
Ungeachtet dieser lautstarken Distanzierungen hat die AfD den Regierungsparteien längst ihre Agenda aufgedrängt. Die »Flüchtlingskrise« ist zum Hauptwahlkampfthema geworden. Noch im Sommer vergangenen Jahres hatte Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) nach dem Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlings­unterkunft in Remchingen beteuert, das sei »ein absoluter Ausreißer« und nicht die »Regelstimmung« im Land. Am Ende des Jahres zählte das Innenministerium fast 70 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, ­darunter acht Brandanschläge. Auch wenn der Handgranatenanschlag auf die Erstaufnahmeeinrichtung in Villingen-Schwen­nigen, bei der Ende Januar nur durch einen glücklichen Zufall niemand zu Schaden kam, nach den jüngsten Ermittlungsergebnissen keinem »fremdenfeindlichen Motiv« geschuldet sein soll, sondern einem Konflikt unter Sicherheitsleuten, die möglicherweise der Rockerszene angehören, lässt sich die Zunahme rechtsextremer Schmierereien und Gewalttaten nicht mehr leugnen.
Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer reagierte auf die neue Stimmung im Land mit Anbiederung an die Rechtspopulisten. Mit seinem Facebook-Eintrag »Wir schaffen das nicht!«, in dem er den möglichen Zuzug von Flüchtlingen für das neue Jahr auf »3,65 Millionen Menschen« hochrechnet, schaffte er es in die überregionale Berichterstattung, ebenso wie mit seiner alten Forderung, die EU-Außengrenzen endlich zu sichern, »notfalls auch bewaffnet«. Solche Parolen gehören nicht zu Kretschmanns Regierungsstil. Er lehnt Palmers »Politik mit Überschriften« ab und wirbt stattdessen nicht nur in Aschermittwochsreden für die »Krisenmanagerin« Angela Merkel. Seine Lobrede auf deren Politik aus »Humanität und Pragmatismus« ist ernstgemeint. Realpolitisch überwiegt freilich die pragmatisch organisierte Unmenschlichkeit, wie sich an der im Wahlkampf stolz verkündeten Effizienz des von der Landesregierung eigens eingerichteten »Rückführmanagements« zeigt. Seitdem im Herbst die Liste der mutmaßlich sicheren Herkunftsländer mit den Bundesratsstimmen der Grünen um den Kosovo, Albanien und Montenegro erweitert wurden, kommt es am Karlsruher Flughafen schon den ganzen Winter über regelmäßig zu Sammelabschiebungen. Und noch ehe Kretschmann versprach, zu prüfen, ob die aktuellen Pläne der Bundesregierung, auch Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, plausibel seien, hatte Innenminister Reinhold Gall (SPD) angekündigt, man wolle die Rückführungen in nordafrikanische Länder im laufenden Jahr deutlich erhöhen. Bereits jetzt soll nach Aussage des Leiters der Lenkungsgruppe für die Flüchtlingsaufnahme, Wolf-Dietrich Hammann, die »teilweise problematische Klientel« nicht mehr auf die Landkreise verteilt werden, sondern in Erwartung beschleunigter Asylverfahren in den Erstaufnahmestellen des Landes bleiben. Die Regionalzeitung Südwest-Presse kritisierte das als »Kasernierung«.
Einziges großes Wahlkampfthema jenseits der Flüchtlingsdebatte ist die Schul- und Familienpolitik. Während sich die FDP dabei vornehmlich für den Erhalt der Schulform Gymnasium einsetzt, geht es der »Demo für alle« um nichts weniger als die »seelische Unversehrtheit der Kinder«. Dahinter steht ein Aktionsbündnis aus mehreren fundamentalchristlichen Gruppen, die sich nach dem Vorbild der französischen »La Manif pour tous« zusammengeschlossen haben. In Frankreich brachte die 2012 gegründete Bewegung mehrmals Hunderttausende Menschen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe auf die Straßen. Die »Demo für alle« in Baden-Württemberg protestierte zunächst gegen vermeintliche »schulische Sexualisierung« der grün-roten Bildungsreform unterstellte, hat inzwischen aber ihr Themenspektrum erweitert. Im Wahlprogramm der AfD lassen sich ihre jüngsten Forderungen nach einer »Willkommenskultur für Un- und Neugeborene« und ihre Hetzreden gegen die »pseudowissenschaftliche Gender-Ideologie« nachlesen. Dennoch zeigen die Christdemokraten immer weniger Berührungsängste mit dem Aktionsbündnis. Ende Januar nahmen in Stuttgart an einem von Hedwig von Beverfoerde, einer Mitbegründerin der »Demo für alle«, koordinierten Symposium gegen »Gender und Sexualpädagogik« mehrere evangelische Arbeitskreise von CDU-Kreisverbänden und der bundesweite Arbeitskreis »Christdemokraten für das Leben« teil. Eine weitere »Demo für alle« zwei Wochen vor der Landtagswahl ist bereits angekündigt.
Nachdem die Landesregierung dem fundamentalchristlichen Protest nachgegeben und »sexuelle Vielfalt« nur als eine »Leitperspektive« in den Bildungsplan aufgenommen hat, hält sie sich mit Kritik an den antifeministischen und homophoben Attacken der »Demo für alle« auffällig zurück. Im Gegenteil: Die Grünen versprechen auf ihren Wahlplakaten, genau auf jene traditionelle Ehe- und Familienkonstellation zu bauen, die sich die christlich-konservative Wählerschaft wünscht. So heißt es auf einem Wahlplakat »Wir bauen auf Familien«. Zu sehen sind: Vater, Mutter, Kind. Man solle »Grün wählen für Kretschmann«, lautet die Aufforderung. Passend dazu mimt Kretschmann den Landesopa für alle.