Es war eine gute Zeit

Laurence Rees befragt deutsche Volksgenossen: "Die Nazis auf dem Weg zur Macht". Eine Produktion der BBC, die jetzt der NDR sendet

Während ZDF-Historiker Guido Knopp keine Anstrengung scheut, zu zeigen, große Männer beherrschten die Geschichte, die Nazis hätten die Macht ergriffen, und die Deutschen hätten damals gar nicht gewußt, wie ihnen geschieht, will eine Geschichtsserie des BBC genau auf das Gegenteil hinaus. "Die Nazis auf dem Weg zur Macht" von Laurence Rees zeichnet mit Hilfe von Zeitzeugen die Mentalität jener Volksgenossen nach, die die dreißiger Jahre in bester Erinnerung behalten haben.

Nicht die Dämonie Hitlers, sondern die "massenhafte freiwillige Kollaboration mit dem Naziregime, die glücklichen und zufriedenen Deutschen unter der Naziherrschaft der dreißiger Jahre, die Lügen der Mitglieder der Partei-Eliten, die nach dem Krieg behaupteten, sie hätten nur 'auf Befehl' gehandelt, die vielen Menschen, die allzu bereitwillig von der Vertreibung der Juden profitierten", stehen im Mittelpunkt von Rees' sechsteiliger Serie, deren erste Folge der NDR (N 3, Sonntag, 16. November) ausstrahlt. Die Serie zeigt Hitlers willige Vollstrecker. Manfred Freiherr von Schröder etwa, einen Bankierssohn aus Hamburg, der 1933 in die Partei eintrat: "Alles war wieder ordentlich und sauber, es war wie ein Gefühl der nationalen Befreiung, ein neuer Anfang." Karl Boehm-Tettelbach, während des Krieges Diensthabender in der Wolfsschanze, pflichtet dem Freiherrn bei: "Jetzt war jeder glücklich, Frauen und Töchter konnten in der Dunkelheit durch den Park gehen, ohne daß jemand sie belästigte. Heute ist das wieder gefährlich, damals war es sicher, das machte sie glücklich." Wie sie erklärten über 40 Prozent der Deutschen 1951 in einer Befragung, die dreißiger Jahre seien in ihrer Erinnerung "eine gute Zeit" gewesen - obgleich sie die Wahrheit über die Vernichtungslager kannten.

Mit eben diesem Volk arbeitete die Gestapo - die bis heute in der deutschen Mythologie als allmächtige und allgegenwärtige Terrortruppe figuriert, die die zivilisierte und widerständige Bevölkerung unterdrückte - hervorragend zusammen.

Z.B. in Würzburg - dort waren für den kompletten Regierungsbezirk Unterfranken, mit einer Bevölkerung von rund einer Million Menschen, gerade einmal 28 Gestapo-Beamte zuständig, von denen 22 in Würzburg stationiert und fast zur Hälfte ausschließlich mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt waren. Die Gestapo hatte es nicht nötig, das Volk auszuspionieren, war es doch ausgesprochen kooperativ. Die Denunziation wurde zum beliebten Mittel, wieder "Ordnung" zu schaffen. Wer eine neue Wohnung brauchte, suchte eine, in der Juden wohnten und zeigte die Bewohner bei der Gestapo an.

Rees besuchte noch lebende Denunziantinnen und Denunzianten. Er stieß u.a. auf Maria K.: "Zum Zeitpunkt unseres Interviews war sie 76 Jahre alt und unterschied sich in ihren äußeren Erscheinung nicht von anderen gutbürgerlichen älteren Damen in Würzburg, das selbst eine wohlanständige, gutbürgerliche Stadt ist." Er zitiert aus der Aussage, die K. freiwillig im Hauptquartier der Gestapo in Würzburg machte, folgenden Abschnitt: "Neben uns wohnt in einem Gartenhaus eine Sonja Totzke. Die Genannte ist mir aufgefallen, weil sie einen jüdischen Einschlag hat Ö und den deutschen Gruß niemals erwidert. Dagegen hat sie immer für Frankreich und auch für Juden sympathisiert. Ab und zu kommt eine Dame in Alter von etwa 36 Jahren, die das Aussehen einer Jüdin hat. Das Verhalten der Totzke ist mir auffällig. Und ich habe angenommen, daß sie sich vielleicht irgendwie zum Nachteile des Deutschen Reiches betätigen könnte." Frau K. bestreitet heute, die Aussage gemacht zu haben: "Die Adresse stimmt, meine Unterschrift stimmt, aber woher das kommt, weiß ich nicht." Am Ende des kurzen Gespräches fügt sie hinzu: "Daß Sie jetzt nach 50 oder 51 Jahren noch einmal anfangen! Ich hab keinen erschlagen, hab keinen ermordet."

Sonja Totzke kam nach einem gescheiterten Versuch, zusammen mit einer Freundin in die Schweiz zu flüchten (sie wurde von Schweizern gefaßt und den deutschen Behörden überstellt), in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.

Der Historiker Ian Kershaw sucht nach Erklärungen dafür, warum so viele Deutsche sich aktiv an der Vernichtungspolitik der Nazis beteiligt haben. Er analysiert eine Rede von Werner Willikens, Staatssekretär im Reichsministerium, vom 21. Februar 1934. Darin erklärt Willikens, der Führer könne nicht alles, was er früher oder später zu tun gedenke, von oben anordnen. Bis jetzt hätten die Amtsträger des neuen Deutschland im Gegenteil dann am besten gedient, wenn sie dem Führer sozusagen zugearbeitet hätten; es habe jeder geradezu die Pflicht, "zu versuchen, im Sinne des Führers ihm entgegen zu arbeiten". Hinter dieser Formulierung stehe eine kuriose Vorstellung von politischer Organisation, interpretiert Kershaw. Nicht nur die Machthaber erteilen Befehle, sondern auch Beamte am unteren Ende der Hierarchie: Sie betreiben eine Politik, die in ihren Augen dem Geist des Regimes entspricht, und verfolgen diese so lange, bis sie korrigiert werden. Diese Praxis widerspricht der von Deutschen gerne angeführten Entschuldigung, sie hätten nur "auf Befehl gehandelt". Tatsächlich versuchten sie vorwegzunehmen, was ihrer Meinung nach von ihnen verlangt wurde.

Als die Nationalsozialisten im Mai 1928 an den Reichstagswahlen teilnahmen und nur 2,6 Prozent der Stimmen erhielten, war Hitler seit fast sieben Jahren Führer der NSDAP, aber das Volk war offensichtlich damals von seinen übermenschlichen Fähigkeiten noch nicht überzeugt. Hitlers Argumentation, daß die Juden schuld am verlorenen Krieg und der darauf folgenden Erniedrigung und Demütigung des deutschen Volkes seien und die deutschen Soldaten, die im Kampf ihr Leben opferten, von linken Politikern, den sogenannten "Novemberverbrechern", betrogen worden seien, wandte sich an die Konservativen und Rechten in Deutschland. Der Historiker Christopher Browning bringt es auf den Punkt: "Die Juden wurden zum Symbol für linke Politik, kapitalistische Ausbeutung, avantgardistische Experimente, Säkularisation, all die Dinge, die einen großen Teil des konservativen politischen Spektrums beunruhigten. Der Jude war ein ideales politisches Schlagwort." Dazu der spätere Stabschef der SA, Ernst Röhm: "Grausamkeit imponiert, die Leute brauchen den heilsamen Schrecken. Sie wollen sich vor etwas fürchten. Sie wollen, daß man ihnen bange macht und daß sie sich jemandem schaudernd unterwerfen." Die Ziele und die Methoden der Partei waren von Beginn an klar: Die erlittene Schmach Deutschlands nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu tilgen, die angeblich Verantwortlichen zu bestrafen und den Marxismus auszurotten.

Zur Beantwortung der Frage beigetragen zu haben, wie dieses Programm auf so große Gegenliebe in der Bevölkerung stoßen konnte, ist nicht das geringste Verdienst von Laurence Rees.