Siawash Modarresi iranischen Journaliste

»Beten für Khatami«

Faradj Sarkuhi betont, daß iranische Intellektuelle sich ihre eigenen Mittel und Wege suchen, um ihre Opposition auszudrücken: Welche Grenzen werden den Akteuren des Wandels vom islamischen Staat gesetzt?

Die Mullahs sehen die Herrschaft der Regierung schon in Frage gestellt, wenn eine Frau den Schleier ablegt. Für einen Wandel müßte, als erster Schritt, die Geistlichkeit die staatliche Verfassung annullieren. Khatami spricht von der Pflicht, die Gesetze zu befolgen, deswegen ist er aber nicht gleich liberal. Ohnehin fehlt im Iran die Tradition einer liberalen Bourgeoisie. Auch unter Khatami wird weiter gesteinigt. Während Khamenei jedoch die Republik mit Repressionen retten will, verspricht Khatami, daß er selbst die Interessen der Bevölkerung umsetzen werde. Er versucht, die Proteste zu kanalisieren. Khatami, Sahabi, Sorusch, all die sogenannten Liberalen, wollen das Ende der Islamischen Republik nur verzögern. Diese Republik wird aber verschwinden müssen.

Viele westliche Medien gehen davon aus, daß die islamische Regierung nichts anderes als eine Konsequenz der Revolution ist.

Das stimmt mit den Parolen des Regimes überein. Jene, die 1979 dabei waren, wissen, daß die Islamische Republik im Namen der Islamischen Revolution die Revolution zerschlug. Heute ist die Republik in einer wirtschaftlichen und politischen Sackgasse angekommen, kann aber als Ausweg nicht einfach einen bürgerlichen Staat organisieren. Nicht einmal die Bourgeoisie kann wachsen. Und diese Übergangsphase bringt natürlich einen gesellschaftlichen Wandel mit sich. Aber keineswegs Glasnost; und Khatami ist auch kein Gorbatschow.

Trotz aller Repressionen werden in der Diktatur immer wieder politische und gesellschaftliche Widersprüche sichtbar. Wie erklären Sie sich das?

Keine Diktatur kann die Menschen gänzlich zum Schweigen zwingen. Das gesellschaftliche Klima hat sich nach zwanzig Jahren Gewaltherrschaft verändert. Frauen, Jugendliche und Arbeiter machen Druck gegen den Staat. Gleichzeitig wurde aber vor wenigen Wochen ein Gesetz erlassen, daß Bilder von europäischen Frauen ohne Schleier in Frauenzeitschriften verbietet. Aber nicht alles läßt sich verbieten: Viele Menschen benutzen illegal Satellitenschüsseln, auch iranische Jugendliche hören gerne Madonna und Michael Jackson. Eine Art von Modernismus setzt sich auf gesellschaftlicher Ebene durch, nicht aber bei den Herrschenden. Dennoch ist die Anzahl der Selbstmorde immens gestiegen, besonders bei Frauen.

Genauso, wie Faradj Sarkuhi das Regime mit seinen Mitteln kritisierte und die islamische Frauenzeitschrift Zanan die herrschende Gewalt gegen Frauen thematisiert, stellen auch die Arbeiter ihre Forderungen. Erst vor wenigen Wochen haben in Rascht, im Norden des Iran, Arbeiter vor ihrer Fabrik demonstriert. Im März traten Arbeiter einiger Baufirmen in Gilan und anderen Städten in einen Streik und verlangten Lohnerhöhungen. Sie lehnen eine von Staat und Arbeitgeberrat beschlossene 18prozentige Lohnerhöhung ab und fordern für das Jahr 1998 mindestens 50 Prozent mehr, weil die Inflationsrate immens steigt. Zwar hat die iranische Zentralbank das Existenzminimum auf umgerechnet 376 Mark im Monat festgelegt, doch spricht das islamische Regime von nur 100 Mark, die ein Mensch zum Leben brauche.

Gibt es noch Ansätze einer unabhängigen Arbeiterbewegung im Iran?

Die Arbeiterbewegung im Iran geht auf das Jahr 1900 zurück. Die anhaltende Unterdrückung hat dieser Bewegung jedoch nicht erlaubt, sich zu entwickeln. Dennoch spielte sie immer eine entscheidende Rolle, zum Beispiel beim Sturz des Schah, als sie den Ölhahn zudrehte und in vielen Städten den Strom abschaltete. Nach dem Aufstand gegen den Schah haben die Arbeiter ihre gewerkschaftlichen Aktivitäten verstärkt und in Teheran das "Haus des Arbeiters" gegründet. Die Islamische Republik zerschlug jedoch den Aufstand und die Arbeiterbewegung, die Führung der Arbeiterbewegung wurde hingerichtet, ins Exil gezwungen oder neutralisiert.

Haben linke Organisationen und Parteien bei der Organisierung der Arbeiter früher eine Rolle gespielt?

Die meisten Organisationen waren populistisch und konnten die Arbeiterschaft nicht organisieren. Die Linke stritt damals darüber, ob Khomeini kleinbürgerlich, bürgerlich, fortschrittlich, antiimperialistisch sei. Obwohl die radikale Linke eine starke Kraft darstellte, war ihre Führung kaum an der Basis oder in den Fabriken präsent. Ihre Hauptarena war die Universität, die Ziele waren nationalistisch und demokratisch.

Wie gehen heute die islamischen Gewerkschaften mit Arbeitern um?

Ein Beispiel: Das islamisierte "Haus des Arbeiters" in Teheran hat dieses Jahr zum 1. Mai alle Arbeiter aufgerufen, für Khatami zu beten.

Die Islamische Republik hat die Arbeiterbewegung zerschlagen. Aus dem "Haus des Arbeiters" wurde ein Organ zur Kontrolle und Unterdrückung des Arbeiters. Während linke Arbeiterräte abgeschafft wurden, sind islamische Arbeiterräte gegründet worden, in denen auch viele Hizbollah-Mitglieder organisiert sind, die ihre Kollegen bespitzeln sollen. Dafür bekommen sie Privilegien und Geld. Die islamischen Arbeiterräte sind aber, um bei den Arbeitern glaubwürdig zu sein, gezwungen, auch genossenschaftliche Strukturen aufzubauen. Diese dienen jedoch nur zur Kontrolle der Arbeiterschaft.

Siawash Modarresi ist Redakteur bei International, der Zeitung der Arbeiterkommunistischen Partei des Iran, und Herausgeber der Zeitschrift Pusheh, einem Exil-Magazin für Politik und Kultur