Lauter Freunde Israels

Auch nach 50 Jahren ist das Verhältnis Deutschlands zu Israel höchst ambivalent

Die Resonanz, die der fünfzigste Jahrestag der Gründung Israels in Deutschland gefunden hat, ist überwältigend. Sämtliche Medien brachten Sonderbericht um Sonderbericht, Sonderseiten um Sonderseiten, in Berlin jagte eine Veranstaltungsreihe die nächste, und die Bundesregierung veranstaltete einen offiziellen Festakt mit fast allem, was in der deutschen Politik Rang und Namen hat. Die deutsche Öffentlichkeit scheint derzeit mit größerem Interesse denn je auf Israel zu schauen und an seinem Schicksal Anteil zu nehmen.

Daß es sich dabei - jedenfalls von politischer Seite - durchaus nicht nur um Lippenbekenntnisse handelt, zeigte der Festakt der Bundesregierung am vergangenen Donnerstag im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt. Helmut Kohl betonte in seiner Rede, daß Israel in Deutschland auch in Zukunft einen engen Verbündeten haben werde. Dies gelte gerade dann, wenn sich andere Freunde abwendeten. Zweifellos sprach Kohl hier aus ehrlicher Überzeugung, und nicht zuletzt deshalb sollte man dem Bundeskanzler ein langes Leben wünschen und sich vor der Machtübernahme der profilierungssüchtigen Diadochen christ- und sozialdemokratischer Provenienz grausen.

Die pflichtschuldige Bekundung des israelischen Botschafters Avi Primor, Deutschland sei nach den USA der größte Freund Israels, wies jedoch auf die zweite Seite dieser Freundschaft hin: Je prononcierter die Kritik der westlichen Staaten bis hin zur USA an der israelischen Politik wird, desto mehr wittert Deutschland seine Chance, in die Bresche springen zu können. Die Bundesregierung hofft offensichtlich, auf diese Weise in Zukunft eine wichtigere und eigenständigere Rolle in der Region spielen zu können.

Doch die exponierte pro-Äisraelische Haltung der Bundesregierung verfolgt noch ein weiteres Ziel. Während sich in der deutschen Bevölkerung eine breite rassistische und rechtsradikale Bewegung formiert und erst vergangene Woche wieder eine Gedenkstätte für die Opfer der Shoah geschändet wurde, will die Bundesregierung alles daran setzen, Deutschland nicht als den Hort des Antisemitismus erscheinen zu lassen, der es ist. Schon von Anfang an hatte die deutsche Israelpolitik diese Funktion zu erfüllen. Die von Kohl anläßlich des Staatsjubiläums so offensiv bekundete Freundschaft bleibt also eine ambivalente Angelegenheit.

Während der Berliner Festakt ungestörte Harmonie ausstrahlte, wurde von zahlreichen hiesigen Medien die offiziellen Feierlichkeiten in Jerusalem als ein einziger großer Streit präsentiert, der die Zerrüttung der israelischen Gesellschaft repräsentiere. Daß die meisten Israelis den Tag als die größte Grillparty der Geschichte erlebten, schrumpfte angesichts der durchaus symbolträchtigen Auseinandersetzungen um das Programm des Festaktes zu einer Fußnote. Breit kolportiert wurden hingegen die Streitigkeiten in und um die Veranstaltung.

So bestimmt zum 50. Geburtstag Israels das Bild eines zerrissenen Landes die öffentliche Meinung in Deutschland. "50 Jahre Israel - eine gespaltene Nation" lautet etwa der Titel einer Reportage, die die ARD am 29. April ausstrahlte.

So taucht in mehreren Beiträgen die Vorstellung auf, daß der Zerfall Israels unmittelbar bevorstehe. Georg Baltissen etwa schreibt in der taz, daß von einem Schmelztiegel Israel nicht mehr die Rede sein könne. Israel befinde sich auf dem Weg von einer säkularen zu einer religiösen Gesellschaft und versinke in Korruption und politischen Intrigen. Nun drohe ein biblisches Schicksal: "Vor knapp 3 000 Jahren zerbrach das hebräische Königreich und zerfiel in die Staaten Israel und Juda. Ganze 73 Jahre hat die Einheit der israelitischen Stämme unter den Königen David und Salomon gehalten." Israel bleiben noch 23 Jahre, so lautet die unausgesprochene Konsequenz. Fast identisch ist die Prophezeiung von Josef Joffe in der Süddeutschen Zeitung. Er erklärt den Staat Israel zu einem Unternehmen, das zum Scheitern verurteilt sei. "Israel sollte einst Nation, Staat und Religion in einer Normalität vereinen, die den Juden 2 000 Jahre lang nicht vergönnt war; geworden ist daraus ein Mosaik, dessen Teile nicht zusammenpassen wollen."

Heimlich und durch die Hintertür, immer in bester pro-israelischer Absicht, versteht sich, schleicht sich so eine Sichtweise in die deutsche Medienöffentlichkeit, nach der für die Existenz Israels immer weniger zu sprechen scheint. So gibt der Spiegel seinen Beiträgen zum fünfzigsten Jahrestag der Staatsgründung die Titel "Ein Mythos bröckelt" und "Vom Traum zum Trauma". Am Schicksal Israels bestätigen sich schließlich doch sämtliche Vorurteile, die man über die Juden hegte, etwa über ihre "berühmte Streitlust" oder, daß es sich bei Israel um ein "Kunstgebilde von Land" handele - im Gegensatz zu den natürlichen nichtjüdischen Staaten. Ganz zweifellos sind die inneren Konflikte Israels an seinem fünfzigsten Geburtstag so ausgeprägt wie seit langem nicht mehr. Wenn jedoch darüber das Ende des Staates herbeigeschrieben wird, so ist, bewußt oder unbewußt, der Wunsch Vater des Gedankens.

Darüber verschwand in den Berichten weitgehend die Tatsache, daß es sich mit Israel um eine moderne und lebendige Gesellschaft handelt, deren innere Konflikte zu einem gehörigen Teil die notwendige Folge eben dieser Modernität sind. Der erstaunliche Umstand, daß sich unter der ungeheuren Hypothek des Holocaust und der ständigen äußeren Bedrohung ein durchaus stabiler Staat etablieren konnte, wird kaum mehr zur Kenntnis genommen. Daß eine Gesellschaft keineswegs formiert sein muß, um bestehen zu können, wird deutschen Köpfen so schnell nicht zugänglich sein. Einen weitaus besseren Einblick in den Zustand der israelischen Gesellschaft boten da die verschiedenen kulturellen Veranstaltungsreihen, in denen sich zeitgenössisches israelisches Kino, Theater und Musik präsentierte.

Trotz alledem ist die große Zahl an Berichten und Veranstaltungen über Israel für den interessierten Leser durchaus erfreulich - selten hat man so viel zum Thema gelesen und gesehen wie in den letzten Wochen.

Mitunter ist auch ein gelungenes Produkt darunter, beispielsweise die Sonderbeilage der Frankfurter Rundschau vom 29. April. Sie profitiert davon, daß gleich eine ganze Reihe israelischer Autoren ausführlich zu Wort kommen, darunter auch Vertreter der linken Opposition wie Uri Avneri vom "Friedensblock" (Gush Shalom) oder Azmi Bishara, Knesset-Abgeordneter des Linksbündnisses Hadash. Der wichtigste Artikel jedoch stammt zweifellos von dem Historiker Tom Segev. Segev betont darin, daß Israel und seine Probleme nur verstehen kann, wer sich mit dem Holocaust auseinandersetzt. Das mangelnde Wissen und das mangelnde Interesse vieler Palästinenser in dieser Frage sieht Segev als schweres Hindernis auf dem Weg zu einem Frieden.

Doch auch in der deutschen Berichterstattung über die Situation Israels an seinem fünfzigsten Geburtstag ist davon nicht viel zu spüren. Wenn es in Deutschland um Israel geht - auch dies ist eine deutsche Kontinuität -, dann geht es zumeist in erster Linie um die Befriedigung der eigenen ideologischen Bedürfnisse.