Mäuse vor der Falle

Während Faradj Sarkuhi aus dem Iran ausreisen durfte, ´droht dem Journalisten Mortesa Firusi der Tod durch Steinigung

"Die Gefangenschaft macht den Menschen stärker für die Freiheit, der Alptraum, der einen das ganze Leben verfolgen wird, aber bleibt." Nun ist er frei: Faradj Sarkuhi, iranischer Literaturkritiker und Regimekritiker, durfte in der vergangenen Woche nach einem einjährigen Gefängnisaufenthalt den Iran verlassen. Seit dem 6. Mai befindet er sich bei seiner in Berlin lebenden Familie.

Für seine Ausreise war von vielen Seiten Druck gemacht worden. Besonders die Menschenrechtskommission der UNO, aber auch Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international und die Internationale Liga für Menschenrechte setzten sich für den 51jährigen ein. Durch eine Initiative der Organisation Reporter ohne Grenzen und der tageszeitung angeregt, appellierten zuletzt im März 39 prominente Autoren, Journalisten und Islamwissenschaftler an den iranischen Staatspräsidenten Mohammad Khatami, dem am 28. Januar aus der Haft entlassenen Sarkuhi nun auch die Ausreise zu ermöglichen.

Im Dezember 1996 war Sarkuhi bei einer inszenierten Pressekonferenz von der iranischen Geheimpolizei VEVAK gezwungen worden, den internationalen Medien die Mär von seiner angeblichen Reisefreiheit zu erzählen. Zwar wollte der Literaturkritiker im November tatsächlich nach Deutschland reisen, doch Freunde und Verwandte warteten vergeblich auf ihn. Im Januar 1997 wurde er schließlich unter dem Vorwurf verhaftet, den Iran illegal verlassen zu wollen, für Deutschland spioniert und die Islamische Republik Iran verunglimpft zu haben.

In einem Brief, der aus dem Gefängnis geschmuggelt werden konnte, schrieb Sarkuhi an seine Frau, daß er zu Falschaussagen über seine angebliche Spionagetätigkeit und zum Ehebruch gezwungen worden sei. Seine Verhaftung wertete er als politischen Gegenzug der iranischen Staatsführung auf den Mykonos-Prozeß.

Kurz vor seiner Verhaftung war Sarkuhi einem Mordanschlag entkommen. Gemeinsam mit anderen Schriftstellern war er auf dem Weg nach Armenien, als der Busfahrer nachts auf einer steilen Bergstraße den Bus plötzlich verließ. Ein Insasse, der zufällig noch wach war, konnte im letzten Moment das Fahrzeug stoppen.

Bereits 1986, als noch Massenhinrichtungen üblich waren, hatte Sarkuhi den Versuch unternommen, einen langsamen Wandel für mehr Freiheit herbeizuschreiben. Dabei entschied er sich für den Weg der legalen Kritik, den er bis heute beibehalten hat. Doch sogar sein kurz vor der Verhaftung gezogener Vergleich, daß Intellektuelle bei ihrer Arbeit die Freiheit so riechen würden wie Mäuse den Käse vor der Falle, galt dem Regime als Kritik gegen den Staat.

Sarkuhi ist im Iran kein Einzelfall: Die Ermordung Tausender von Oppositionellen zeigen genauso wie die Fatwa gegen Salman Rushdi, wie repressiv das Regime gegen Kritiker vorgeht. Und erst recht gegen gefangene Kritiker: In der jüngsten Ausgabe des Spiegel berichtet Sarkuhi, wie er im Teheraner Gefängnis mehrfach mit Elektrokabeln geschlagen wurde, und daß man ihn auch psychisch gefoltert habe: "Sie hämmerten mir ein, daß ich für meine Familie, meine Freunde und Schriftstellerkollegen längst ein toter Mann sei, verschollen irgendwo auf dem Weg von Teheran nach Berlin."

Auf einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche wies Sarkuhi auf das Schicksal von Mortesa Firusi, dem früheren Chefredakteur der Zeitung Iran News hin, dem Ehebruch und Spionage gegen die Islamische Republik vorgeworfen wird und den, wie am vergangenen Wochenende bekannt wurde, ein Gericht zum Tode durch Steinigung verurteilt hat: "Ich bin froh, hier zu sein, aber ich bin erst dann glücklich, wenn meine Schriftsteller-Kollegen im Iran, unter ihnen Mortesa Firusi, das sagen können, was sie möchten."

Den Kritischen Dialog bewertete Sarkuhi als positiv, solange die öffentliche Meinung so stark sei, daß Regierungen gezwungen werden könnten, "den Dialog der Kulturen zu fördern". Im Gegensatz zur Arbeit westlicher Intellektueller müßten iranische Intellektuelle zu subtilen Protestformen greifen: Sie hätten mittlerweile eine Methode entwickelt, zwischen den Zeilen zu schreiben und zu lesen. Dies sei auf die "östliche Despotie" zurückzuführen, die seit Jahrhunderten im Iran vorherrsche. Unter diktatorischen Verhältnissen hätten die Leser gelernt, "auf das zu achten, was nicht geschrieben, und nicht auf das, was geschrieben wurde".