Die Krieger der Ökonomie

Mit Tenno, Tojo und Mitsubishi - der Aufstieg Japans zur Wirtschaftsmacht. Ein Interview mit dem Historiker Stefan Knirsch

In Japan ist der Film "Stolz - ein schicksalhafter Augenblick" über den General und Premierminister Hideji Tojo, der als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde, derzeit ein Kassenschlager. Nun wird er mitten in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit wiederentdeckt - als aufrechter Patriot.

Tojo war ein hoch angesehenes Mitglied der japanischen Armee und Politik. Er steht als Symbol für ein selbstbewußtes Japan. Daß er als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde, galt als Schande für das gesamte Volk. Ein großer Teil der japanischen Gesellschaft sieht das heute noch so. Zumal die Person Tojos eng mit der jüngeren Geschichte verbunden ist - die Armee war als Modernisierungsfaktor für Japan ganz entscheidend. Die gesamte alte wirtschaftliche Führungsschicht wurde militärisch sozialisiert und im Geist des Bushido, dem Geist des Kriegers, ausgebildet.

Woher kommt diese enge Verbindung zwischen Wirtschaft, militärischer Tradition und Politik?

Die Verflechtung zwischen Wirtschaft und Politik begann schon nach Meji-Restauration von 1868. Die führende Oligarchie wollte die Feudalstrukturen überwinden und einen modernen Staat schaffen, aber ohne Beteiligung der Bevölkerung. Die damaligen Familienunternehmen hatten nicht das Kapital, um Großprojekte wie Eisenbahnbau oder Fabriken zu finanzieren. Der Staat hat dann seine gesamten Ressourcen in einige Modellprojekte gesteckt und sie anschließend an Privatunternehmer übergehen - eine Art frühe Form der Existenzgründung. Und das lief über persönliche Kontakte zwischen politischer Oligarchie und Privatunternehmern; beide Eliten rekrutierten sich aus dem gleichen feudalistischen Milieu der Samurai-Kriegerkaste.

Aber die Basis für den wirtschaftlichen Aufstieg Japans waren nicht nur die Krieger, sondern auch die Kriegsproduktion.

Der Durchbruch erfolgte während des ersten Weltkriegs, als Japan zu einem wichtigen Zulieferer der Entente für Rüstungsgüter wurde. Über diesen neuen Markt sind auch die großen Industriekonglomerate, die Zaibatsus, entstanden. Nach dem Krieg wurde versucht, diesen Erfolg nach dem Vorbild der siegreichen liberal-kapitalistischen Staaten auszubauen. Der Begriff "Dumping" stammt aus dieser Zeit: Japan überschwemmte die Märkte anderen Länder mit billiger Massenware. Allerdings war dies eine Modernisierung auf Pump, da die Produktionkapazitäten ausschließlich über Kredite ausgebaut worden war. Mit der Weltwirtschaftskrise brach der Boom zusammen. Japan hatte damals ganz ähnliche Probleme wie heute: ein riesiger Berg fauler Kredite führte zu einer Pleitewelle bei den Banken.

Wie reagierte die Eliten auf den gescheiterten Versuch, die kapitalistischen Staaten einzuholen?

Der Ausweg wurde in staatssozialistischen Ideen gesucht - ähnlich wie in Deutschland beim "linken" Strasser-Flügel der NSDAP, oder wie in Italien unter Mussolini. Die staatliche Lenkung sollte den Aufbau der Schwerindustrie zum Wohle der Nation und der Armee garantieren. Dieses Konzept diente beispielsweise als Vorbild für die wirtschaftliche Ausbeutung der besetzten Mandschurei. Für die Armee war die Kolonie ein Experimentierfeld für den späteren Umbau Japans, und Hideji Tojo, der spätere Kriegspremier, war als Offizier daran maßgeblich beteiligt. Das Problem war allerdings, daß die militärische Führung von wirtschaftlichen Entscheidungen wenig Ahnung hatte. Sie propagierten zwar den Staatssozialismus; die Konzerne wirtschafteten jedoch in ihre eigene Tasche.

Nach dem Krieg wurde die Armee faktisch bedeutungslos. Welche Strukturen wurden dennoch beibehalten?

Die Tradition besteht vor allem im Organisationsmodell fort. Im zweiten Weltkrieg wurde das Ministerium für Munition und Bewaffnung gegründet, das die Entscheidungen zwischen den Zaibatsus, der Politik und der Armee koordinierte. Der Leiter dieser Institution wurde zum ersten Premierminister nach dem Krieg ernannt, seine Behörde als allmächtiges Ministerium für Industrie und Handel (Miti) fortgeführt. Die alten Seilschaften der Ministerialbürokratie wurden damit bruchlos übernommen. Die Versuche der USA, nach dem Krieg mit Anti-Trust-Gesetzen die engen Verflechtungen zu zerschlagen, erwiesen sich als völlig wirkungslos; von den 300 wichtigsten Unternehmen wurden nicht mal zehn entflochten. An der Verbindung zwischen Wirtschaft und Staat hat sich wenig geändert.

Die Wirtschaftskrise Japans wird gerne auf seinen "Ethno-Kapitalismus" zurückgeführt. Das Land könne sich im Zeitalter der Globalisierung nationale Besonderheiten nicht mehr leisten und müsse seine Ökonomie schleunigst nach westlichen Vorbild deregulieren.

Es dürfte Japan schwer fallen, sich auf die westlichen Spielarten einzustellen. Das ganze System läßt sich nur in sehr engen Grenzen verändern. Historisch hat die Gesellschaft in Krisenzeiten immer sehr aggressiv auf eine vermeintliche Bedrohung von außen reagiert. Das ist heute nicht mehr denkbar, weil die Armee keine Rolle spielt. Aber langfristig wird vermutlich kaum eine Anpassung an das westliche Modell erfolgen. Im Gegenteil, es wird immer häufiger die Forderung erhoben, die spezifisch japanischen Eigenschaften zu retten, die als eine Art Heilsideologie betrachtet werden. Das gesamte Gefüge von Staat und Familie basiert ja auf diesen Werten. Wenn nun gefordert wird, die wirtschaftlichen Gepflogenheiten zu ändern, wird dies als Bedrohung für der ganzen Gesellschaft empfunden.

Stefan Knirsch ist Assistent am Historischen Seminar in Freiburg für ostasiatische Geschichte