Sicherheit im Kinderknast

Härter, effektiver, schneller - das ist die parteiübergreifende Linie gegen straffällige Jugendliche

Selbst bei den Grünen ist man sich nicht mehr sicher. Hatte sich die Partei bislang an weniger autoritären Modellen zur Bekämpfung von Kriminalität orientiert, so wollte am vergangenen Wochenende deren rechtspolitischer Sprecher im Bundestag, Volker Beck, dem allgemeinen Trend nicht mehr widerstehen: Geschlossene Heime für straffällige Minderjährige seien "selbstverständlich" kein Tabu.

Der Raubmord an einem Hamburger Lebensmittelhändler durch zwei 16jährige letzte Woche brachte das Thema in die Schlagzeilen. Waren die beiden Beschuldigten doch kurz vor der Tat aus der Jugendhaft entlassen und in einem offenen Wohnprojekt für vorbestrafte Jugendliche untergebracht worden. Aber schon seit Veröffentlichung der neuesten Kriminalstatistik denken Sicherheitspolitiker aller Couleur über härtere Strafen nach. Die Zahl tatverdächtiger Kinder ist nach dieser Statistik im letzten Jahr um rund zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, bei Jugendlichen um 5,4 Prozent.

Die Zahlen sagen allerdings wenig aus, handelt es sich dabei doch vor allem um Ladendiebstähle. Zumindest in Hannover hat die Gewalttätigkeit unter Jugendlichen sogar abgenommen, so das Ergebnis einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Nichts als eine "hysterische Wahlkampfdebatte" ist deshalb der Ruf nach härteren Strafen für den KFN-Leiter Christian Pfeiffer.

Die Politik läßt sich von solchen Erkenntnissen nicht bremsen: So unterschiedlich Forderungen nach Maßnahmen gegen die Jugendkriminalität sind, so klar ist die Richtung: härter, effektiver, schneller. Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) fordert, kriminelle Kinder "als letztes Mittel" in geschlossene Heime einzuweisen. Dabei gehe es nicht darum, sie "einfach wegzuschließen, sondern um einen letzten Versuch der erzieherischen Einwirkung". FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle setzt auf "rechtsstaatliche Härte" und kritisierte aufwendige Resozialisierungsprogramme.

Während die meisten der geschlossenen Heime in den achtziger Jahren abgeschafft worden waren, sind "Kinderknäste" inzwischen auch bei PolitikerInnen der SPD wieder salonfähig. SoziologInnen und PädagogInnen sprechen sich jedoch deutlich gegen diesen Ansatz aus. Professor Wulf Rauer, Vorsitzender des Deutschen Kinderschutzbundes, verweist auf die hohe Rückfallquote von etwa 90 Prozent. Diese Einschätzung bestätigt auch Wolfgang Nescovic der Jungle World: "Viele Heime wurden Ende der achtziger Jahre geschlossen, da sie keine Wirkung gezeigt haben und aus haushaltstechnischen Gründen nicht länger vertretbar waren."

Einen nur scheinbar neuen Weg zur Bekämpfung der Jugendkriminalität haben zwei SPD-Minister aus Schleswig-Holstein ersonnen: Innenminister Ekkehard Wienholtz und Justizminister Gerd Walter stellten Anfang Juli den "Erlaß zur Polizeidiversion" vor, der PolizeibeamtInnen zusätzliche Mittel für den Umgang mit "erstmals auffällig gewordenen" jugendlichen StraftäterInnen an die Hand gibt. Ohne zuvor Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft halten zu müssen, sollen sie nun zunächst mit den Beschuldigten ein "Erziehungsgespräch" führen und ihnen "gegebenenfalls weitere Sofortmaßnahmen vorschlagen": Den auf frischer Tat Ertappten könne beispielsweise "nahegelegt" werden, sich beim Opfer zu entschuldigen oder den Schaden - etwa durch ein Graffito - sofort zu beheben. Kurze telefonische Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft genügt, um sogar die Verrichtung gemeinnütziger Arbeit oder die Zahlung kleinerer Geldbeträge an gemeinnützige Einrichtungen "empfehlen" zu können.

Die Neue Richtervereinigung (NRV) übte starke Kritik an diesem Erlaß. Es sei zur Erziehung ungeeignet, wenn die Jugendlichen eine eher unkontrollierte Staatsmacht kennenlernten. Die Verordnung widerspreche dem Prinzip der Unschuldsvermutung. "Wie bei einem Inquisitionsprozeß liegen dabei die Straftatermittlung und die Sanktionskompetenz in der Hand nur eines Menschen."

Die "Anregungen" der PolizeibeamtInnen erzeugen zudem einen faktischen Druck auf die Jugendlichen. "Die Beschuldigten müssen befürchten, mit einem richtigen Strafverfahren konfrontiert zu werden, wenn sie diese sogenannten Empfehlungen nicht annehmen", kritisiert Neskovic, der ebenfalls Mitglied im NRV-Sprecherrat ist.

Einfachere Lösungen favorisiert man in Bayern. So will die Münchener Regierung mit einer "Sicherheitsoffensive" die Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität verstärken. Zusätzlich zu den bereits vorhandenen geschlossenen Anstalten für straffällig gewordene Jugendliche in Gauting und Rummelsberg will Sozialministerin Barbara Stamm ein weiteres bauen lassen. Bei MehrfachtäterInnen und Drogenabhängigen soll die Unterbringung in solchen geschlossenen Erziehungsanstalten auch gegen den Willen der Eltern möglich werden.

Ein entsprechender Gesetzesentwurf sieht auch die Verschärfung des Jugendstrafrechts vor: Anhebung der Jugendhöchststrafe von zehn auf 15 Jahre, Beschränkung der Anwendung des Jugendstrafrechts auf 18- bis 21jährige und Ausweitung des Jugendarrests. Unter den militärischen Begriff der "Sicherheitsoffensive" fällt neben kleineren Maßnahmen wie "richterlichen Erziehungsgesprächen" der Vorschlag, auch die Eltern von ausländischen jugendlichen sogenannten "Intensivtätern" abzuschieben.

Weitgehende Einigkeit unter den verschiedenen Parteien besteht in der Beschleunigung von Strafverfahren gegen Jugendliche. Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) fordert schnellere Verfahren, "damit die Strafe schneller auf dem Fuße folgt". Die Kieler Landesregierung will mit ihrem Diversionserlaß die "unbürokratische Abkürzung" des bisherigen Verfahrens, denn es gehe "um Erziehung statt Strafe". Eine Herabsetzung des Alters der Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre taucht in der Diskussion zwar auch immer wieder auf, ist jedoch mittlerweile in den Hintergrund getreten. Diese hält selbst Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) "für einen völlig falschen Ansatz, Kinder- und Jugendkriminalität zu verhindern". Frühe Freiheitsstrafen könnten dazu führen, daß Kinder und Jugendliche erst recht "in einem kriminellen Umfeld versacken".