Trautes Heim im Kriegsgebiet

Irakische Kurden, die ihr Recht auf Familienzusammenführung in der BRD wahrnehmen wollen, müssen mit der Aufhebung ihres Duldungsstatus rechnen

"Im Zuge der Mißbrauchsbekämpfung sind zum Nachweis Speicheltests erforderlich." Was wie die Arbeitsanweisung eines Kommissariats für Sexualdelikte klingt, stammt aus einem Brief des Bonner Innenministeriums. Bekämpft werden sollen nicht etwa, wie die Rhetorik vermuten ließe, Sexualstraftäter, sondern Flüchtlinge; vornehmlich Kurden, die nach überstandener Flucht aus dem Nordirak nun mit ihren Familien in der BRD leben wollen.

Rund ein halbes Jahr nach seiner Einführung ist der umstrittene Speicheltest zum wichtigsten Beweismittel bei Familienzusammenführungen avanciert. Wer sich als Flüchtling weigert, sein Speichelpröbchen den Mitarbeitern der deutschen Botschaft in Ankara anzuvertrauen, kann gleich in der Türkei bleiben. Pässe, Personalausweise und Heiratsurkunden aus dem Nordirak werden von deutschen Ausländerbehörden nicht mehr als beweisrelevant anerkannt, da sie, so die Deutsche Botschaft in Ankara, "zumeist ver- oder gefälscht" sind.

Während die deutsche Auslandsbürokratie in Ankara den Nachzug weiterer Kurden aus dem Nordirak verhindern will, versuchen die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte in der BRD im nachhinein den längst erteilten, legalen Aufenthaltsstatus der Geflohenen wieder aufzuheben. Mit dem Ansteigen der Anerkennungsquoten irakischer Flüchtlinge auf über siebzig Prozent im vergangenen Jahr stieg auch die Angst der Bonner Bürokraten vor Flüchtlingsströmen aus der Schutzzone der Vereinten Nationen im Norden Iraks.

Seit Oktober letzten Jahres sinken für irakische Flüchtlinge die Chancen, anerkannt zu werden, wieder. Im raffinierten Zusammenwirken von veränderten Lageeinschätzungen des Auswärtigen Amts, restriktiveren Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und schärferen Weisungen des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) an die lokalen Ausländerbehörden nähert sich die Quote inzwischen dem deutschen Standard. Bei Asylbewerbern aus dem Irak war bis Ende April die Zehn-Prozent-Marke erreicht.

Die Zahlen für die große Gruppe der irakischen Kurden, denen wegen vorübergehender Abschiebehindernisse, bzw. fehlender Abschiebemöglichkeiten eine Duldung erteilt wurde, liegen noch nicht vor. Aber ein zufriedenes Grinsen wird Innenminister Manfred Kanther (CDU) bei der Veröffentlichung der Halbjahreszahlen diese Woche jedenfalls aufsetzen können.

Sein neuester Angriff gilt der Gruppe von Flüchtlingen, die nichts weiter als ihr gesetzlich verbrieftes Recht auf Familienzusammenführung wahrnehmen, ein "Anspruch der Antragenden", wie selbst das Innenministerium einräumt. Ein theoretischer Anspruch: "Die Innenminister und Senatoren der Länder haben zwischenzeitlich eine bundeseinheitliche Regelungsweise vereinbart, wonach der Familiennachzug zu Inhabern einer Aufenthaltsbefugnis von der vorhergehenden Überprüfung des aufenthaltrechtlichen Status durch das BAFl abhängig gemacht wird" - so die Auskunft des Innenministeriums.

Im Klartext: Wer es wagt, den Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen, muß sich künftig auf Widerrufverfahren einstellen. Das einmal erteilte Aufenthaltsrecht zählt nicht mehr, weil die Mißbrauchslogik deutscher Asylpolitik im Antragsteller nur den "Sozialschmarotzer" erkennen mag.

In ihren Widerrufsbegründungen erzählen die Beamten des BAFl den Flüchtlingen etwas von der "grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Ihrem Heimatland" und behaupten, jetzt gebe es Sicherheit im nordirakischen Kriegsgebiet - was vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und amnesty international mit Berichten über neue Kampfhandlungen allmonatlich widerlegt wird. Um die Zielsetzung des Widerrufs wird nicht lange herumgeredet: "Angestrebt wird die Aufhebung der Duldung."

Verbliebe der Bundesregierung als einziges Problem eigentlich nur noch die "fehlende Abschiebemöglichkeit" in den Irak - das letzte Land, gegen den ein bundesweit gültiger Abschiebestopp verhängt ist. Da allein die Asylantragstellung in Deutschland zur Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung im Irak führt, konnten bislang keine Flüchtlinge zurückgeschoben werden. Direkte Auslieferungen in die kurdischen Gebiete im Norden des Landes sind weiterhin nicht möglich.

Doch auch daran wird gearbeitet: Neben Geheimverhandlungen mit kurdischen Milizenführern (Jungle World, Nr. 45/97) eruieren Bundesbeamte nun neue Abschiebewege auf dem Landweg über Syrien. Fällt nach weiterer Bonner Wühlarbeit die "fehlende Abschiebemöglichkeit" erst einmal weg, fände die Familienzusammenführung dann eben im Herkunftsland statt.