Urteil mit Hintertürchen

Das Bundesverfassungsgericht hat die niedrigen Knastlöhne für verfassungswidrig erklärt. Das heißt nicht, daß Häftlinge künftig mehr Geld bekommen
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Für Konrad Kruis verbietet sich die "Ausbeutung" von "zum Objekt degradierten Menschen". Häftlinge müßten schon wegen der vom Staat zu garantierenden Menschenwürde angemessen entlohnt werden, erklärte der Richter am Bundesverfassungsgericht. Ihm ging das Urteil seiner KollegInnen zur Häftlingsentlohnung nicht weit genug.

Für die anderen VerfassungsrichterInnen ergab sich eine "angemessene" Entlohnung der arbeitenden Strafgefangenen nur aus dem Resozialisierungsgebot. Den Gefangenen, so das Gericht, solle "der Wert regelmäßiger Arbeit" für ein künftig straffreies und selbstverantwortliches Leben vor Augen geführt werden.

Eine Definition für das, was eine "angemessene Entlohnung" sein soll, lieferten die Karlsruher RichterInnen nicht mit. Im Gegenteil: Die Präsidentin des Verfassungsgerichts, Jutta Limbach, machte bei der Verkündung des Urteils alle Hintertürchen für die Justizbehörden auf. Die geforderte "Anerkennung", die dem arbeitenden Gefangenen zuteil werden solle, müsse nicht unbedingt durch einen höheren Lohn gezollt werden. Es seien statt dessen auch eine Einbeziehung in die Rentenversicherung, Hilfen zur Schuldentilgung oder auch andere "neuartige Formen der Vergütung" denkbar.

Das Gericht hatte festgestellt, daß die bisherige Vergütung, die sechs Prozent des durchschnittlichen Verdienstes aller abhängig Beschäftigten beträgt, verfassungswidrig sei. Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, bis Ende des Jahres 2000 Abhilfe zu schaffen.

Bisher bekommen Häftlinge, die im Knast einen Job ausüben, Stundenlöhne zwischen 1,70 und zwei Mark. Teilweise arbeiten Häftlinge direkt für den öffentlichen Dienst, was dazu führt, daß sie zum Beispiel Roben für RichterInnen nähen, in der Knastküche arbeiten oder Haftbefehle und Formulare für die Justizbehörden drucken. Andere Häftlinge arbeiten bei in den Knästen oder aber auch außerhalb angesiedelten Privatbetrieben. Die Unternehmen zahlen für die Arbeitskraft der Häftlinge verhältnismäßig normale Löhne, die Vollzugsanstalten behalten jedoch den größten Teil ein. Nur Freigänger, die im offenen Vollzug sind, dürfen draußen zu tariflichen Löhnen arbeiten, müssen jedoch 600 Mark als sogenannten "Haftkostenbeitrag" abführen.

Für die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, die sich seit Jahren gegen die organisierte Ausbeutung der Häftlinge engagiert, ist die Karlsruher Entscheidung ein "Schritt in die richtige Richtung". Allerdings sei sie überzeugt, daß es auch nach einer Reform bei dem "Dumping-Hungerlohn" für Gefangene bleiben werde. "Der Kampf um tarifliche Entlohnung und die Einbindung der Gefangenen in die Renten- und Sozialversicherung geht weiter", sagte Jelpke der Jungle World. Nur gleiche Arbeitsverhältnissen für Inhaftierte und Nichtinhaftierte entsprächen dem Resozialisierungsgedanken. Mit dem Karlsruher Urteil werde die Ungleichheit jedoch festgeschrieben.

Unmut über das Urteil der VerfassungsrichterInnen kam auch aus der anderen Richtung: Bayerns Justizminister Hermann Leeb (CSU) kritisierte, daß die zusätzlichen Kosten von den Ländern getragen werden müssen. Das Justizministerium in Bonn beruhigte jedoch die Länder: Daß wirklich Mehrausgaben anfallen, sei noch nicht gesagt. Man werde prüfen, ob Häftlinge zum Ausgleich für einen besseren Lohn in anderen Bereichen finanziell herangezogen werden könnten, zum Beispiel bei Opfer-Entschädigungen oder Unterhaltspflichten.

Daß eine bessere Entlohnung der Gefangenen volkswirtschaftlich nicht unbedingt höhere Kosten bedeutet, hatten Strafgefangene in Straubing bereits vor Jahren ausgerechnet. In einem "Straubinger Manifest" wiesen sie nach, daß die Einsparungen bei den Löhnen die öffentlichen Haushalte in Form von Sozialhilfe und Verfahrenskosten für Prozesse nach erneuter Rückfälligkeit belastet. Häftlinge werden in der Regel mit einem durchschnittlichen Schuldenberg von 50 000 Mark, ohne Chance auf eine feste Arbeit und ohne Renten- und Sozialversicherungsansprüche aus der Haft entlassen. Die Rückfälligkeit ist da schon fast programmiert.