Feuerwerk für den Präsidenten

Der Machtwechsel in Kolumbien ist gar keiner, findet die Guerilla und geht in die Offensive

So hatte sich Präsident Andrés Pastrana seine Amtsübernahme sicher nicht vorgestellt. Sein Dienstantritt am vergangenen Wochenende wurde von Bauernprotesten und Guerilla-Angriffen überschattet; im politischen Establishment Kolumbiens herrscht Krisenstimmung. Offensichtlich hat die Armee die Kontrolle über einige Regionen verloren.

Schon in der letzten Juli-Woche war klar geworden, daß die Friedensgespräche von Mainz mit der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) keine schnelle Beilegung des Konflikts bringen würden. (Jungle World, Nr. 30/98) Unmittelbar nach Beendigung des Treffens zwischen Zivilgesellschaft und Guerilla im Kloster Himmelspforten besetzten etwa 40 000 kolumbianische Bauern aus Protest gegen die Paramilitärs Städte in den Erdölzentren von Arauca und Santander. In Barrancabermeja, der wichtigsten Stadt der Region, wurde erneut der Generalstreik ausgerufen. Nach einem Massaker an zehn Oppositionellen und obwohl die Armee versuchte, die Kriegsflüchtlinge in der Region durch Morddrohungen einzuschüchtern, gingen die Aktionen am Wochenende unvermindert weiter.

Zum ersten Mal seit langem werden die Proteste auch in die Hauptstadt getragen. Vor der US-Botschaft in Bogot‡ fordern mehr als 100 Flüchtlingsfamilien Maßnahmen gegen den US-Multi Corona Goldfields, der - wie BP, Texaco und Nestlé - Todesschwadronen finanziert.

Am Montag vergangener Woche eskalierte auch die militärische Situation im ganzen Land. Zunächst entführte die ELN den ehemaligen Parlamentspräsidenten Espinosa Faciolince und verlangte ein sofortiges Treffen einer Senatskommission mit den Vertriebenen. Kaum hatte die öffentliche Empörung darüber eingesetzt, gab es weitere Schläge: Autobomben zerstörten die Kaserne der IV. Brigade in Medell'n und ein Polizeigebäude in Cœcuta. In Buenaventura wurde der wichtigste Überseehafen des Landes angegriffen, gleichzeitig besetzten ELN und die Revolutionären Bewaffneten Streitkräfte (FARC) mehr als zehn Kleinstädte im ganzen Land, darunter auch den strategisch wichtigen Ort San Carlos/Antioquia, in dessen Nähe sich das größte Wasserkraftwerk des Landes befindet. Der schwerste Schlag für die Regierung war jedoch, daß die FARC gleichzeitig drei große Militärbasen angriff und dabei mehr als 150 Gefangene machte. Die Stützpunkte von La Uribe, Miraflores und Paviorond- sollen jeweils von 500 bis 1 000 Rebellen zerstört worden sein.

Die kolumbianische Presse ist sich einig, daß es eine vergleichbare Häufung von Aktionen noch nicht gegeben hat. Die Armeespitze bezeichnet bereits alle Militärstützpunkte im Süden des Landes als "extrem gefährdet". Die FARC gehen dazu über, Einheiten zu konzentrieren und die direkte militärische Konfrontation zu suchen, wobei die Armee in den vergangenen 18 Monaten immer verloren hat. Neu ist außerdem, daß selbst Großstädte wie Medell'n vor spektakulären Guerilla-Aktionen nicht mehr sicher sind.

Rafael Hern‡ndez, der Generalinspekteur der Streitkräfte, sprach daher am vergangenen Donnerstag davon, daß die Strategie der Armee grundsätzlich überdacht werden müsse. Präsident Pastrana kündigte eine komplette Erneuerung der Militärspitze an. Und im US-Kongreß wurden Stimmen laut, die eine Erhöhung der Militärhilfe für Kolumbien forderten. Der Kampf gegen die Drogen sei nur zu gewinnen, wenn die Subversion besiegt werde, hieß es. Der Friedensplan von Präsident Pastrana sei wegen der Guerilla-Aktionen schon jetzt zum Scheitern verurteilt.

Trotzdem sollen die Gespräche weitergehen. Zunächst sagte die ELN letzte Woche das Treffen mit dem Nationalen Friedensrat (CNP) ab, nachdem dieser ein Abkommen mit dem Oberkommando der Paramilitärs unterzeichnet hatte. ELN-Sprecher Francisco Gal‡n forderte den Rat zu einer Stellungnahme auf, ob man den Paramilitärs damit einen politischen Status zubillige. Immerhin seien Massaker an der Zivilbevölkerung und andere schwere Kriegsverbrechen gängige Praxis der Paramilitärs.

Die CNP-Sprecher, darunter der Unternehmerchef Sabas Pretelt de la Vega, verteidigten das Abkommen damit, die Paramilitärs sollten zur Einhaltung der Menschenrechtskonventionen verpflichtet werden. Auch ein Kommandant der Todesschwadronen erklärte in der Presse, sie würden versuchen, "Massaker so weit wie möglich zu vermeiden". Das Abkommen mit den Paramilitärs laufe jedoch nicht auf ihre politische Anerkennung hinaus, so die Erklärung der CNP, die von der ELN als Bedingung für weitere Gespräche gefortert worden war.

Konkrete Forderungen wurden bereits formuliert: Die FARC wollen 250 gefangene Soldaten gegen politische Gefangene eintauschen. Die Regierung hält dies zwar aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht für möglich; aber der Präsident steht unter Druck. Schon vor Wochen hatten sich Angehörige von im Dezember gefangen genommenen Soldaten auf eigene Faust mit den FARC getroffen.

Auch die im ganzen Land entstandenen "Versammlungen der Zivilgesellschaft", die den Dialog mit der ELN weiterführen sollen, lassen Pastrana wenig Spielraum. In vielen Regionen forderten die Versammlungen als erstes Maßnahmen gegen den Paramilitarismus. Der rechtskonservative Präsident wird es schwer haben, sein Image als Friedensstifter zu erhalten. Pastrana gehört zu einem traditionellen Oligarchen-Clan des Landes und war als Bürgermeister von Bogot‡ Anfang der neunziger Jahre für seinen Rechtskurs bekannt.

Er hat bereits angekündigt, die neoliberale Politik seiner Vorgänger fortsetzen und ausbauen zu wollen. Trotzdem versucht Pastrana, sich verhandlungsbereit zu geben, erklärte FARC-Sprecher Juan Antonio Rojas kürzlich in einem Interview: "Zwischen Pastrana und Samper besteht keinerlei Unterschied."